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Eisenbahn in AlbanienKommt sie – oder nicht?

Die Eisenbahn war mal der Stolz von Albanien. Heute ist kaum noch etwas von ihr übrig. Unser Autor ist mitgefahren, von Elbasan in die Stadt Durrës.

Immerhin die Aussicht ist schön, wie hier am Bahnhof in Elbasan Foto: Matthias Meisner

Tirana taz | Und dann fährt sie doch! Am Bahnhof der einstigen Industriestadt Elbasan, ziemlich genau in der Mitte Albaniens, trifft an diesem Samstag im September um kurz nach 18 Uhr ein Zug aus der Hafenstadt Durrës ein. Unter lautem Pfeifen und fast pünktlich.

Freunde in Tirana hatten gewettet, dass in Albanien überhaupt keine Bahn mehr verkehren würde. Zu marode ist das einspurige Streckennetz, zu häufig passieren Unfälle. Tatsächlich sind die meisten Abschnitte des zu Hochzeiten 447 Kilometer langen Netzes stillgelegt: nach Shkodra im Norden des Landes, nach Pogradec nahe der Grenze zu Mazedonien im Osten, nach Vlora im Süden. Und längst auch der in die Hauptstadt, nach Tirana.

Die staatliche Bahngesellschaft HSH tut ihr Übriges, dass man ihrem Angebot eher skeptisch gegenübersteht. Laut dem extrem ausgedünnten Fahrplan soll auf der Strecke Durrës–Elbasan nur in den Sommermonaten und nur an den Wochenenden in beide Richtungen ein Zug unterwegs sein. Unter der im Internet angegebenen Rufnummer heißt es vom Band, dass die Verbindung nicht existiere. E-Mails mit Fragen zum Fahrplan bleiben unbeantwortet. Aber offenbar gibt es eben doch noch ein letztes Aufbegehren der Bahn: Zu 99 Prozent werde der Zug an diesem Samstagabend ankommen, verspricht der Herbergsvater in Elbasan.

Er tut es. An der Spitze eine in der Tschechoslowakei gebaute Diesellok, dahinter zwei über und über mit Graffiti besprühte Waggons, welche die HSH in den 2000er Jahren von der DB Regio übernommen hat. Sie stammen noch aus DDR-Beständen, gefertigt in Halberstadt. Fünf Fahrgäste steigen aus. Es wird noch kurz rangiert, bald danach schließt das Tor zum weiträumigen Bahnhofsgelände, auf dem auch ein paar alte Waggons stehen.

Die Fahrt in die Gegenrichtung beginnt am nächsten Morgen um sechs Uhr. Eine Mitarbeiterin verkauft am geöffneten Schalter Fahrscheine, die in ihrer Aufmachung denen aus kommunistischer Zeit entsprechen. Nur der Preis hat sich selbstredend geändert: umgerechnet knapp 1,50 Euro für Erwachsene. Kinder zahlen die Hälfte.

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„Hajde, hajde!“

In der Bahnhofsbar gibt es einen frühen Espresso, doch die Schalterbeamtin mahnt zur Eile: „Hajde, hajde!“ Es ist noch immer dunkel draußen, und durch das unbeleuchtete Bahnhofsgebäude geht es zum ebenso unbeleuchteten Zug. Die prekäre Ausstattung bleibt trotzdem nicht verborgen. Ein Teil der Fenster an den Waggons fehlt, die Türen schließen nicht richtig. Es zieht mächtig. Nur sechs Reisende sind im Zug, nach sieben Unterwegshalten werden es ein gutes Dutzend sein.

Die vier Zug­be­glei­te­r:in­nen haben sich in einer Waggonhälfte verschanzt. Aus Mitleid öffnen sie ihren Bereich, in dem die Fenster noch schließen, die schmuddeligen Sitze mit Stofftüchern überhängt sind und mit einem Bunsenbrenner Kaffee gekocht werden kann. Etwa drei Stunden soll die Fahrt auf den rund 75 Kilometern dauern, manchmal geht es nur im Schritttempo voran. Die Aussicht entschädigt: beschauliche Hügellandschaften im Licht der aufgehenden Sonne. Granatapfel-, Oliven- und Feigenbäume säumen die Strecke, ab und an eine Industriebrache.

Die Zug­be­glei­te­r:in­nen haben sich in einer Waggonhälfte verschanzt. Aus Mitleid öffnen sie ihren Bereich

Zu kommunistischer Zeit war die Eisenbahn der Stolz Albaniens, das nicht länger zurückgebliebenes Agrarland sein wollte. Die Strecke von Durrës Richtung Elbasan war die erste nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt. Die italienischen Besatzer waren mit ihr nur halb fertig geworden, sie wurde von 1947 an vollendet. Diktator Enver Hodscha ließ es sich nicht nehmen, beim Beginn der Bauarbeiten wie auch bei der Eröffnung zugegen zu sein.

1948 widmete die albanische Post der Eisenbahn eine ganze Briefmarkenserie. Sie zeigt Arbeiter mit Spitzhacken, an der Front der Dampflokomotive ein großer roter Stern. Zehntausende „Freiwillige“, vor allem Jugendliche, waren zum Bau der Bahn abkommandiert worden. Über die Jahrzehnte spielte die Eisenbahn in der kommunistischen Propaganda eine Rolle.

„Ein Zug, der leer von Durrës kommt“

In seinem Roman „Der große Winter“ beschreibt der albanische Autor Ismail Kadaré den Bruch seines Landes mit der Sowjetunion in den Jahren 1960/61. In einer Szene geht es um den Güterzug Nr. 743 AZ 09, der damals aus Durrës auf Tirana zusteuerte – die Schiffe mit Warenlieferungen aus den sozialistischen Ländern hatten vor der Küste kehrtgemacht: „Ein Zug, der leer von Durrës kommt, dachte der Maschinist im Rhythmus der Radstöße. Ein Zug fährt leer. Ein Zug zurück. Ein Zug, der leer zurückfährt. Ein Zug zurück. Ein leerer Zug. Ein toter Zug. Ein leerer Zug. Ein toter Zug.“

Doch damals war das Eisenbahnwesen in Albanien noch nicht tot. Um 1980 wurde in den Fremdsprachenprogrammen von Radio Tirana gefeiert, dass die erste internationale Strecke ins Ausland entstand, die letztlich nur für den Güterverkehr genutzt wurde: von Shkodra ins damalige jugoslawische Titograd, die heutige montenegrinische Hauptstadt Podgorica.

Bilder aus den frühen 1990er Jahren zeigen noch immer volle Bahnsteige, so wie in kommunistischer Zeit. Erst anschließend wurde die Bahn mehr und mehr vom Bus verdrängt, ein Schicksal, das Albanien mit vielen Balkanländern teilt.

1947, als alles so hoffnungsfroh begann, hatte Albanien eine große Lotterie zugunsten des Eisenbahnbaus aufgelegt. Das kann heutzutage als metaphorisch gelten. Wird der spärliche Zugverkehr in den Sommermonaten 2025 überhaupt wieder aufgenommen? Wird die mit EU-Hilfe begonnene Neubaustrecke Durrës–Tirana wie versprochen noch in diesem Jahr fertig oder absehbar gar nicht? Die geplante Fahrzeit zwischen den beiden größten Städten des Landes würde dann nicht mehr als 22 Minuten betragen, und eine Anbindung an den internationalen Flughafen wäre auch geplant. Bisher ist von den Bauarbeiten aber nur wenig zu sehen.

Und wie steht es erst um den 2022 zwischen Kosovo und Albanien vereinbarten Bau einer Zugverbindung von Durrës über Shkodra nach Pristina? Es wäre nicht das erste gescheiterte millionenschwere Projekt.

„BALKAN 2024“

Zugreisen als Lotterie. Am Ende dauerte die Reise von Elbasan nach Durrës fast eine Stunde länger als vorgesehen. Nach heftigen Regenfällen war der Schienenstrang an einer Stelle überschwemmt. Der Schaden musste erst notdürftig beseitigt werden, wie die Zugbegleiterin mit Hilfe des Google-Übersetzers erläutert.

Auch das historische Bahnhofsgebäude von Durrës wird nicht erreicht, der Zug fährt nur bis zur Haltestelle Plazh am südlichen Stadtrand. Hier werden die Fahrscheine improvisiert aus einem Container verkauft. Jemand hat auf die Fassade gesprüht: „BALKAN 2024!“

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