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EinzelkämpferinnenNicht einsam, eher frei

Seit 100 Tagen sitzen Nebahat Güçlü und Dora Heyenn fraktionslos im Parlament. Ein Gespräch über weniger Rechte und Ex-Kollegen, die nicht mehr grüßen.

Nicht einsam, eher frei, wenn auch in letzter Reihe: die fraktionslosen Bürgerschaftsabgeordneten Nebahat Güçlü (l.) und Dora Heyenn Foto: Miguel Ferraz
Interview von Sven-Michael Veit

taz: Frau Güçlü, Frau Heyenn, seit 100 Tagen sitzen Sie beide als Fraktionslose in der Hamburger Bürgerschaft- fühlen Sie sich einsam?

Dora Heyenn: Nein. In einer Fraktion kann man sich gelegentlich einsam fühlen, aber jetzt … nein.

Nebahat Güçlü: Anfänglich war es etwas schwierig, aber das hat sich gegeben. Es ist jetzt eher ein Gefühl von Freiheit, nur nach meinem Gewissen handeln zu können und das zu tun, was ich politisch für richtig halte. Das ist ein Gewinn.

Also ohne Fraktionszwang.

Güçlü: Ja, man muss nicht mehr aus Loyalität zur Fraktion etwas mittragen, was man eigentlich nicht richtig findet.

Frau Heyenn, ist es nicht gerade für Sie ein besonders tiefer Fall – von der langjährigen Fraktionsvorsitzenden zur Einzelkämpferin. Gibt es da nicht einen Bedeutungsverlust?

Heyenn: Das empfinde ich nicht so. Das Amt als Fraktionschefin darf man auch nicht überbewerten. Es ist nicht so, dass ich in ein Loch gefallen wäre, gar nicht.

Und wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren jeweiligen Ex-Fraktionen? Werden Sie noch gegrüßt?

Im Interview: Dora Heyenn

66, pensionierte Lehrerin, war bis 1999 Mitglied der SPD. Von 2008 bis 2015 war sie Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft, jetzt ist sie fraktionslose Abgeordnete.

Güçlü: Das ist schon von den Personen abhängig. Der menschliche Kontakt ist zu zwei, drei Leuten aus der grünen Fraktion noch da, mit den anderen eher nicht. Da ist Funkstille. Bei der ersten Bürgerschaftssitzung im März war ich sehr überrascht, wie herzlich aber Abgeordnete aus anderen Fraktionen, die mich noch von früher kannten, mich begrüßten und mir den Wiedereinstieg erleichtert haben. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Heyenn: Wir grüßen uns, klar. Und mit einigen Abgeordneten der Linken gibt es auch eine politische Zusammenarbeit. Aber das ist punktuell und von den Personen abhängig. In einem Fall wollten ein Abgeordneter der Linksfraktion und ich eine gemeinsame Presseerklärung herausgeben, das hat dann aber der Fraktionsvorstand der Linken verhindert. Haben wir eben zwei einzelne Pressemitteilungen gemacht.

Aber angeblich stehen die Türen bei den Linken für Sie weiterhin offen.

Im Interview: Nebahat Güçlü

49, Politologin, war von 2004 bis 2010 grüne Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft, 2008 bis 2010 deren Vizepräsidentin, seit 2015 ist sie dort fraktionslose Abgeordnete.

Heyenn: Das ganze Gerede, wieder mit mir sprechen zu wollen, dass ich gerne zurückkommen könne, das ist doch Getue. Dazu ist die Distanz in Wirklichkeit viel zu groß.

Aber die Linke beklatscht Ihre Reden in der Bürgerschaft meist demonstrativ und lautstark.

Heyenn: Ich frage mich auch, warum.

Güçlü: Vielleicht haben die ein schlechtes Gewissen?

Heyenn: Einige vielleicht, von allen glaube ich das nicht.

Aber einige Linke würden Sie doch gerne zurückhaben?

Heyenn: An der Basis ja. Da habe ich immer noch Termine in den Ortsvereinen, ich bin ja auch weiterhin in der Partei.

Gibt es denn einen Weg zurück für Sie?

Heyenn: Zur Zeit nein.

Güçlü: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Werte wie Menschlichkeit oder Solidarität in der Politik immer mehr an Bedeutung verlieren.

Gibt es für Sie einen Weg zurück zu den Grünen?

Güçlü: Die Frage stellt sich nicht.

Aber die taz stellt sie.

Güçlü: Ich lebe vorwärts. Ich bin und bleibe ein politischer Mensch, im Parlament und außerhalb, mit oder ohne Partei. Einen Weg zurück zu den Grünen sehe ich nicht.

Wie durchsetzungsfähig ist man im Parlament als fraktionslose Einzelkämpferin?

Güçlü: Man ist schon etwas beschränkt. Ich darf keine Debatten anmelden und keine Anträge stellen, Dora darf das auch nicht. Wir dürfen Kleine Anfragen an den Senat stellen, aber keine Großen. In zwei Ausschüssen dürfen wir mitarbeiten, haben dort aber kein Stimmrecht. In Bürgerschaftssitzungen dürfen wir fünf Minuten in der Aktuellen Stunde sprechen und fünf Minuten in den Debatten.

Sind Sie faktisch Abgeordnete zweiter Klasse?

Heyenn: Ja, schon, aber es gibt viel politischen Spielraum.

Güçlü: Ist leider so, weil wir in unseren Möglichkeiten beschnitten werden.

Also doch ein Bedeutungsverlust?

Heyenn: Persönlich nicht, aber man hat eben weniger Rechte. Die Frage ist, ob das so bleiben muss.

Güçlü: Aber das wussten wir ja vorher. Und in den Medien kommt man auch nur noch sehr selten vor.

Dieses Interview beweist das Gegenteil.

Güçlü: Danke.

Heyenn: Ich sehe das auch so, und meine Pressemitteilungen werden regelmäßig veröffentlicht. Da kann ich mich nicht beschweren.

Sie erwähnten vorhin die größere Freiheit für politische Entscheidungen, auch bei Abstimmungen. Bei der Wahl von SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und des rot-grünen Senats im April gab es mehr Ja-Stimmen, als SPD und Grüne Abgeordnete haben. Haben vielleicht Sie für diese Koalition gestimmt?

Heyenn: Ich nicht. Olaf Scholz ist der Architekt der Agenda 2010, wegen der ich aus der SPD ausgetreten bin. Für mich ist er nicht wählbar. Und die rot-grünen SenatorInnen auch nicht.

Güçlü: Ich habe beide gewählt.

Den Bürgermeister? Und anschließend auch den Senat?

Güçlü: Ja, beide. Leider kann man bei den SenatorInnen nur alle akzeptieren oder keinen. Sonst hätte ich nur die SPD-SenatorInnen gewählt, die Grünen aber nicht.

Warum haben Sie das getan?

Güçlü: Es gab erstens keine Alternative. Und außerdem will ich keine Fundamentalopposition machen, sondern konstruktiv mitarbeiten. Das ist ja meine Freiheit: Ich kann einem Antrag der Linken zustimmen, wenn ich ihn für richtig halte, ich kann bei der FDP klatschen, wenn jemand eine gute Rede zum Beispiel über Bürgerrechte oder Datenschutz hält, ich kann auch der rot-grünen Koalition zustimmen, wenn sie mal was richtig macht. Ich gehe das rein inhaltlich an.

Frau Güçlü, wie bewerten Sie den Sturz von Dora Heyenn durch die Linksfraktion?

Güçlü: Es hat mich traurig gemacht, dass eine Fraktion mit ihrer langjährigen, hoch engagierten und profilierten Vorsitzenden so umgeht. Menschlich war das eine ganz miese Nummer. Was ich vorhin schon sagte: Der Umgang untereinander in der Politik wird immer schlimmer. Und Dank darfst Du für nichts erwarten.

Heyenn: Dankbarkeit gibt es da nicht. Gerade in der Linkspartei heißt es ja immer, wir sind die Partei der Menschlichkeit und der Solidarität und so. Und dann begeht die Fraktion Wählerbetrug. Danach habe ich hunderte Mails bekommen und alle waren darüber entsetzt.

Frau Heyenn, wie bewerten Sie die Auseinandersetzung in den Grünen um Nebahat Güçlü?

Heyenn: Ich habe das gar nicht verstanden, wie man wegen diesem einen Auftritt so ein Theater veranstalten kann. Ich hatte sofort den Eindruck, dass das für einige nur ein Vorwand war, um Nebahat loszuwerden und aus der Partei zu werfen. Sachlich gab es für so ein hartes Vorgehen keine Begründung.

Aber ihr Auftritt vor diesem rechtsnationalistischen türkischen Verein war ein Fehler, Frau Güçlü, oder?

Güçlü: Darüber kann man in der Tat streiten. Aber mich sofort aus der Partei werfen zu wollen, ist ein Beleg dafür, dass Animositäten dahinterstecken. Das Ausschlussverfahren ist ja auch gescheitert, das Parteischiedsgericht hat mich gerügt, fertig. Aber: Ich mache seit 30 Jahren in Hamburg antirassistische und multikulturelle Arbeit, ich war zehn Jahre Mitglied der Grünen und zwei Legislaturperioden Abgeordnete in der Bürgerschaft – da ist es das Mindeste, dass man offen und meinetwegen kontrovers mit mir diskutiert, statt gleich mit der ganz großen Keule zu kommen.

Aber wenigstens Sie beide reden offenbar miteinander?

Heyenn: Klar.

Güçlü: Ja, natürlich. Ich schätze Dora sehr, auch früher schon, als ich Vizepräsidentin der Bürgerschaft war und sie Fraktionsvorsitzende.

Heyenn: Danke gleichfalls. Schon damals haben wir oft und gut zusammengearbeitet, jetzt tun wir das wieder.

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1 Kommentar

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  • Also Güçlü hat sich auf einer Veranstaltung als Kandidaten für die Partei Die Grünen angeboten, die randvoll mit türkischen Faschisten war. Dieses 'Spektrum' gilt nicht zu unrecht als gewaltbereit, intolerant und leicht durcheinander. Ich kann bei einer studierten, erfahrenen Politologin und Politikerin leider nicht Toleranz für solche Auftritte walten lassen - das war voll daneben und m.M. einzig und alleine dem Wunsch geschuldet, sich wieder ins Parlament wählen zu lassen. Und hier im Interview vermeidet sie das Thema. Hätte man sie so belassen, wäre die Botschaft gewesen: Die Grünen sind offen für türkische Nazis - sie umwerben diese für Wahlen.

     

    Bei Heyenn sehe ich das anders: Sie ist das Opfer einer Partei, die offenbar Politik nicht beherrscht. Das ist schade, denn Hamburg braucht linke Kräfte, braucht eine starke provokante linke Partei - hier sieht man eben, wie schlecht es um das Innenleben dieser Partei bestellt ist und was das für eine einzelne Frau aus dieser Partei bedeuten kann.