Einzelhandel erpresst Medien: "Wir sind doch nicht blöd"
Discounter versuchen vermehrt Einfluss auf Medien zu nehmen. Der jüngste Fall: Weil eine Lokalzeitung negativ über einen Elektrohandel schrieb, stellte dieser seine Werbung ein.
Wenn Sie neben Ihrer unverzichtbaren, tagtäglichen taz noch einer oder mehreren Lokalzeitungen die Ehre geben, wissen Sie, womit wir Sie verschonen: Mit den mehrmals wöchentlich geschaltenen Anzeigen der Discounter von Aldi bis Schlecker. Mit ganzen Seiten voller Sonderangebote oder Beilagenprospekten der Elektrogroßkaufhäusern von "Ich bin doch nicht blöd" bis "Geiz ist geil".
Doch solche Reklame wird in Zeiten der Krise vor allem für konventionelle Zeitungen, die sich weiter zu einem großen Teil aus der Werbung finanzieren, immer wichtiger: Wo die Zahl der Stellenanzeigen mangels freier Jobs weiter schrumpfen und/oder ins Internet abwandern, die Banken und Fondsanleger neuerdings andere Sorgen haben, als supersichere Renditen per Announce anzupreisen, schlägt die Stunde der Discounter. Sie profitieren von der Krise so gelich doppelt.
Denn bei den meisten Blättern sind die Anzeigenerlöse seit dem Herbst prozentual in zweistelliger Höhe eingebrochen. Würden jetzt auch noch Aldi, Lidl & Co schlapp machen, wäre das vor allem für kleinere Titel dramatisch - und für manche, befürchten Branchenanalysten, sogar das baldige Aus.
Entsprechend steigt die Macht der Inserenten - zum Nachteil des Journalismus.
Das jüngste Beispiel spielt in Wolfsburg, wo die Lokalzeitung Wolfsburger Nachrichten über eher rüde Praktiken im Umgang mit den MitarbeiterInnen der dortigen Media-Markt-Filiale berichteten. Denen hatte, so das Blatt Anfang Februar, die Geschäftführung mit einem DNA-Test gedroht, um zu ermitteln, wer von den Angestellten die Herrentoilette verunreinigte - indem er seine Nasenpopel an die Tür schmierte. "Auf solche Schweinereien reagieren wir genauso eiskalt wie auf Ladendiebstähle", begründete die Geschäftsführung gegenüber der Zeitung ihr durch keinerelei Arbeitsrecht auch nur annährend gedecktes Vorgehen.
"Unsaubere Mittel", kommentierten die Wolfsburger Nachrichten, die ein Ableger der Braunschweiger Zeitung ist und wie diese zum Essener WAZ-Konzern gehört. Auch die Braunschweiger Zeitung berichtete über den "drastischen Brief der Geschäftsführer". Allein: Vom Media Markt stand in beiden Berichten - nichts. Vielmehr war in merkwürdiger Zurückhaltung von einem "Wolfsburger Einzelhandelsgeschäft" die Rede. Doch dort ist man bekanntlich - Vorsicht, Kalauer! - "nicht blöd".
Die Folge: Anzeigenstorno des Wolfsburger Media Markts bei den Wolfsburger Nachrichten. Sollte der Boykott bis Ende des Jahres anhalten, gingen dem Blatt rund 300.000 Euro durch die Lappen. "Eine schöne Summe für ein Blatt unserer Größenordnung in so einer Zeit" sagt Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung.
Ein bedauerlicher Einzelfall, wie es der wie Saturn zum Einzelhandelsriesen Metro gehörende Media-Markt-Dachkonzern darstellt? In Sachen Elektrokaufhaus vielleicht, doch das Prinzip hat längst Schule gemacht: 2005 drohte der Discounter Lidl den Badischen Neuesten Nachrichten mit Werbeentzug wegen zu kritischer Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen beim Discounter. "Lidl hat unsere Geschäftsführung einbestellt", so damals der Betriebsrat, und dann mit dem Hinweis auf die zweimal pro Woche geschalteten Anzeigen Druck gemacht.
Das Blatt kroch zunächst zu Kreuze, die Mitarbeiterin, die den fraglichen Artikel geschrieben hatte, wurde gekündigt, dann durfte sie nach einer offiziellen Entschuldigung weiterarbeiten. Im Ruhrgebiet stornierte Lidl wegen kritischer Artikel Anzeigen bei den Titeln des WAZ-Konzerns, in München legte sich Aldi mit der Süddeutschen Zeitung an.
Der kleine, feine Unterschied: Die großen Blätter, die zumeist auch noch einen Großkonzern im Rücken haben, können sich noch einigermaßen gegen die längst nicht mehr nur gefühlte Macht der Einzelhandelsriesen stemmen. Bei den vielen kleineren Titeln in der noch erfreulich vielfältigen deutschen Zeitungslandschaft sieht das anders aus: Kritische Berichterstattung über wichtige Werbekunden war schon in den "guten" Zeiten keine normale journalistische Praxis, sondern ein von den wenigsten Blättern praktiziertes Vabanque-Spiel.
In der aktuellen Werbekrise ist erst recht die Rede vom "Ast, auf dem man sitzt" den man bekanntlich nicht absägen sollte. Und immer wieder kommt der freundliche Hinweis, die LeserInnen betrachteten die Anzeigen von Aldi & Co. doch schließlich auch als wertvolle Informationsquelle. Verbraucherjournalismus pur, sozusagen.
Übrigens beträgt der Marktanteil der Discounter am Lebensmittelhandel mitlerweile schwindelerregende 40 Prozent. Aber das ist ein anderes Thema. Oder?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja