: Eintauchen ins Mittelalter
Weniger Museum, mehr Geschichte und viele Modelle: Das Museum für Hamburgische Geschichte hat umgebaut und präsentiert sich nun in neuem Gewand ■ Von Kerstin Wiese
Ein Museum zum Anfassen soll es werden, das Haus für Hamburgische Geschichte, in dem Vergangenheit nicht nur spannend erzählt wird, sondern auch erlebt werden kann. Um heutigen Sehgewohnheiten entgegenzukommen und dem Anspruch als Erlebnisort gerecht zu werden, wird die Dauerausstellung Schritt für Schritt umgewandelt. Den Anfang macht die Neukonzeption der Mittelalterabteilung. Außerdem wurde die vormals so düstere Eingangshalle mit Fingerspitzengefühl neu gestaltet. Licht und hell zeigt sie sich nun, nachdem die Zwischengeschosse vor den Fens-tern abgebrochen und das dunkle Mobiliar entfernt wurden. Nach dreimonatiger Schließung öffnet das Museum heute seine Pforten und präsentiert den Besuchern das Ergebnis der umfangreichen Umbaumaßnahmen.
Der Rumpf einer hansischen Kogge, originalgetreu nachgebaut und mit allerlei Fracht beladen, bildet das Zentrum der neuen Mittelalterabteilung. Da finden sich Fässer mit Salz, Teer, Wachs und Rohlingen für Messerklingen; typische Güter eben, die in der Zeit der Hanse transportiert wurden. Der Betrachter kann den Laderaum des Schiffes betreten und durch eingebaute Fens-ter das bunte Treiben der mittelalterlichen Hansestadt bestaunen. Puppenstubenhafte Modelle gewähren Einblicke in das geschäftige Leben mit seinen feilschenden Kaufleuten und eifrigen Seeleuten. Gaukler sind zu sehen und Gefangene, die der Öffentlichkeit am Pranger vorgeführt wurden.
Ein anderes Fenster gibt den Blick auf Totenschädel frei, die mit eisernen Nägeln auf Holzpfählen befestigt sind. Es sind Relikte von Enthaupteten, die im 19. Jahrhundert an der ehemaligen Hinrich-tungsstätte vom Grasbrook, der heutigen Kehrwiederspitze, gefunden wurden. Obwohl die Datierung bislang ungewiss war, wurden sie seitdem als „Störtebeker-Schädel“ bezeichnet. Erst jetzt haben naturwissenschaftliche Untersuchungen ergeben, dass die Schädel tatsächlich aus der Zeit des bekannten Seeräubers stammen.
Außer der Kogge gibt es drei weitere Themenschwerpunkte in der Mittelalterabteilung. Um Hamme, Burg und Hansestadt geht es hier, und auch das kirchliche Hamburg kommt nicht zu kurz. Während die meisten Exponate schon in der alten Dauerausstellung zu sehen waren, wartet der kirchliche Bereich mit einem besonderen Bonbon auf: Die Fragmente des mittelalterlichen Domlettners, bislang im Magazin verwahrt, wurden umfassend res-tauriert und ausgestellt. Aus dem 13. Jahrhundert stammen die Skulpturen der törichten Jungfrauen und sind damit die ältesten erhaltenen Steindenkmäler in Hamburg überhaupt. Auf der leuchtend blauen Ausstellungswand wurde eine Strichzeichnung des Lettners angebracht, der zur Trennung von Chor und Hauptschiff diente und damit Kleriker und Laien voneinander schied. Die Bruchstücke sind so darauf angeordnet, dass man sich das Aussehen der mittelalterlichen Chorschranke gut vorstellen kann. Gleich daneben steht ein Modell des Doms und macht das Ensemble komplett.
Überhaupt arbeitet die neue Dauerausstellung viel mit Modellen. Geschichte wird so anschaulich, das Leben der mittelalterlichen Menschen leichter vorstellbar gemacht. Der Besucher kann beispielsweise einen Blick auf die frühen Siedlungsstrukturen werfen oder das Modell einer Poliermühle betrachten. Auf der gegenüberliegenden Seite sind Vitrinen aufgestellt, in denen Handwerksgegenstände von Schustern, Schmieden und anderen Gewerken zu sehen sind. Die konsequent zweisprachig verfassten Texte liefern die nötigen Hintergrundinformationen. Angenehm ist, dass der Raum nicht mit Texten überfrachtet ist und die Themen in übersichtlichen und farblich getrennten Einheiten dargeboten werden.
Den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit markiert der Börsenplatz, der in der oberen Halle des Museums nachempfunden wurde. Die Besucher können sich hier niederlassen und das Modell in der Mitte betrachten, das die frühneuzeitliche Innenstadt mit Börse und Rathaus präsentiert.
Wiedereröffnung heute, Öffnungszeiten: Mo 13 - 17, Di - So 10 - 18 Uhr Mittelalter-Spektakel: 14.10., 12 - 18 Uhr, 15.10. 10 - 18 Uhr
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