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Einstellung der „Village Voice“Der Wegweiser durch die Stadt

Ein Jahr nach dem Ende der gedruckten „Village Voice“ stirbt jetzt auch die Digitalausgabe. Das Zeitalter der alternativen Stadtmagazine geht zu Ende.

Alles, was sich in New York bewegte, lief in dem Blatt zusammen Foto: imago/Levine-Roberts

New York taz | Das Ende der Printausgabe war der fatale letzte Schritt der legendären Wochenzeitung Village Voice in New York. Knapp ein Jahr danach kam das endgültige Aus. Der Milliardär Peter Barbey, der das Blatt erst 2015 gekauft hatte – angeblich um es zu retten – feuerte die Hälfte der Restbelegschaft und stellte den zurückbleibenden Beschäftigten eine vorübergehende „Archivarbeit“ in Aussicht, um die Printausgaben von Jahrzehnten elektronisch zu erfassen.

The Voice wie New YorkerInnen es nannten, war jahrzehntelang der Wegweiser durch die Stadt. Von Musik über Film, Tanz und Untergrundtheater bis hin zu Nachtleben, Partnersuche und alternativen Lebensformen war das Blatt ein Muss. Und es war politisch engagierter, mutiger und radikaler als die zahnlosen Blätter New York Times und Wall Street Journal.

Als die New Yorker Polizei am 28. Juni 1969 eine neue brutale Razzia im Stonewall Inn machte und rund um den LGBT-Treffpunkt Randale ausbrach, waren Reporter von Village Voice vor Ort. Das Blatt unterstützte die schwulen und lesbischen AktivistInnen, zugleich schrieb es in dem ihm eigenen ehrfurchtslosen Stil über die „große Tuntenrebellion“.

Jahre später, als „drei kräftige Männer“ in Queens das Hab und Gut der halbseitig gelähmten Mary Filan, die gerade einen Schlaganfall überlebt hatte, aus ihrer Wohnung trugen, war wieder ein Village Voice-Reporter dabei. Ihr Vermieter, Donald Trump, behauptete, sie sei mit den Mietzahlungen im Rückstand. Die 74-Jährige hingegen bestand darauf, sie habe alles ordnungsgemäß bezahlt und er wolle die Wohnung räumen, um sie anschließend für den doppelten Preis vermieten zu können.

Flucht vor steigenden Mieten

Alles, was sich in New York bewegte, lief in dem Blatt zusammen. Drei Männer (Dan Wolf, Ed Fancher and Norman Mailer) hatten es 1955 in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Greenwich Village als Organ für die Kreativen in New York City gegründet. Und obwohl das Blatt viele prominente Autorinnen hatte, sollten die Führungspositionen bis zum Schluss in Männerhand bleiben. Schon bald nach seiner Gründung wurde Village Voice das Vorbild für eine Generation von alternativen Wochenzeitungen, die in den großen Städten quer durch die USA entstanden.

In seinen guten Zeiten hatte es eine Viertelmillion KäuferInnen. Doch die Gentrifizierung der Stadt setzte auch der Village Voice zu. Immer wieder musste das Blatt vor steigenden Mieten fliehen. Sein vierter und letzter Standort war der Finanzdistrikt, eine Gegend mit der die Redaktion kulturell wenig gemeinsam hatte.

Der Abstieg begann Mitte der 1990er Jahre. Verantwortlich dafür waren nicht die JournalistInnen, die zwei Pulitzer- und zahlreiche andere Preise heimholten und von denen manche später Stars in Journalismus und Literatur wurden, sondern verlegerische Entscheidungen über den richtigen Umgang mit dem veränderten ökonomischen Umfeld für Printmedien. Im Jahr 1996 stelle Village Voice, die vorher am Kiosk verkauft wurde, auf den Gratisvertrieb um.

Die erste Gratis-Titelseite, die mit Dinosauriern, Elefantenrüsseln und Sprechblasen gefüllt war, läutete eine neue Ära von Beliebigkeit ein. Zugleich begann der Einbruch von Werbeeinnahmen, der allen Printmedien zusetzte.

Sex, Mode, Kunst und Musik

Bei Village Voice reagierte man mit Personalstreichungen. Und flüchtete in die Suche nach immer neuen Investoren in der tiefen Provinz. 2005 übernahm die New-Times-Media-Gruppe in Phoenix, Arizona, die Village Voice. Sie machte das Blatt zu einem Teil ihres Portfolio aus mehr als einem Dutzend alternativer Wochenzeitungen, die sie quer durch die USA eingekauft hatten. Neben RedakteurInnen, die sich mit Sex, Mode, Kunst und Musik befasst hatten, flog damals auch Wayne Barrett heraus, der jahrzehntelang über Immobilienspekulation in New York berichtet hatte.

Schon 2012 folgte die nächste Übernahme. Das Blatt ging nun in die Hände der Voice Media Group in Denver, Colorado, wo es erneut Teil einer durch Konzentration entstandenen Mediengruppe wurde. 2015 übernahm ein neuer Provinzler das Blatt mit der Auflage von noch 65.000 Exemplaren die Woche. Die Familie von Peter Barbey, die ihr Vermögen in der Textilindustrie gemacht hat, war damals die Nummer 48 in der Forbes-Liste der reichsten US-AmerikanerInnen (200 Plätze vor einem gewissen Trump).

Barbey wiegte die BlattmacherInnen in dem Glauben, dass er in The Voice investieren würde. Wie viel er für das Blatt bezahlte, blieb Geheimsache. „Für eine Zeitung, der es schlecht geht, gibt es Schlimmeres, als an einen Zeitungsliebhaber mit prall gefüllten Taschen verkauft zu werden“, kommentierte aus Washington das Blatt Politico. Und der damalige Chefredakteur vom Village Voice, Tom Finkel, schwärmte in einem Interview über Barbey: „Er hat mich gefragt, was ich brauche.“ Zwei Monate später erhielt auch der Chefredakteur die Kündigung.

Im September 2017 verabschiedete sich die Village Voice vom Papier. Seine letzte gedruckte Ausgabe hatte ein nostalgisches Foto von dem jungen Bob Dylan auf der Titelseite. Seither war die Village Voice nur noch im Web zu lesen. Als The Voice am 31. August endgültig zumachte, fragte der Filmkritiker J. Hoberman, der mit dem Blatt groß geworden ist, bevor auch er 2012 bei einer Sparwelle rausflog, sarkastisch: „Wie? Es gab The Voice noch?“ Harry Siegel, ein anderer einst prominenter und dann gekündigter Autor, trat in einem bitterbösen Nachruf im Daily Beast nach: „Fuck you, Peter Barbey.“

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1 Kommentar

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  • General Bob Dylan grüßt militärisch alle Gleichgesinnten.



    Das war die VillVoice. adiós compadre.

    Jetzt sind die alten Kämpfer alle ordensbehängt im gutbezahlten Ruhestand. Kein Mensch wird ihre langweiligen Stories aus dem 68er Freiheitskampf, der keiner war, wirklich vermissen. Also gebt der Village Voice endlich auch den LiteraturNobelpreis den ihr Guru-General Dyan neulich als letzten Orden bekam.

    Und dann macht gefälligst den Sargdeckel mal zu.