: Einmal Türke, immer Türke
Die türkischsprachige Presse in Deutschland sieht in ihren Lesern vor allem treue Landsleute und eine Lobby für Ankara. Unverhohlene Meinungsmache war zur Bundestagswahl an der Tagesordnung
von IRINA WIESSNER
Egal, wo und wie sie leben, egal, wie lange, und auch egal, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben – türkischsprachige Tageszeitungen in Deutschland vereinnahmen türkischstämmige Menschen gerne unter Begriffen wie „Wir Türken“. Für das größte türkischsprachige Blatt in Deutschland, die Hürriyet, und auch ihre kleinere Konkurrenz Milliyet sind ihre Leser „außerhalb der Heimat“ lebende, dem Vaterland weiterhin treu ergebene Landsleute und Bürger der Türkischen Republik. Das führte schon 1996 zum ersten großen Skandal – zumindest aus Sicht der Hürriyet. Cem Özdemir, anfangs Vorzeigestolz der türkischen Presse, wurde bald zu ihrer Zielscheibe, da er eine Politik vertrat, die allen Deutschen und besonders seinen Grünen-Wählern gerecht werden sollte.
Der Politiker wurde als Vaterlandsverräter abgestempelt, der nun auch schon mit solchen Begriffen wie „Menschenrechte“ oder „Kurdenproblem“ argumentierte, statt die offizielle Diktion „Terrorismusproblem“ zu benutzen. Ein Hürriyet-Kommentator fragte Özdemir: „Was ist Ihre Wurzel?“ Nicht dem deutschen Bundestag, sondern den Türken sei er verpflichtet, ließ der Kommentar durchblicken.
Anlässlich der vergangenen Bundestagswahl stellte sich denn nun besonders Hürriyet in breit aufgemachter Form als selbstbewusster Anwalt der „türkischen Wählerschaft“ dar. Große Lettern verkündeten seit dem 1. September täglich neu: „Söz Türklerin“ – „Den Türken gehört das Wort“. Die türkische Boulevardpresse hatte ihr eigenes Bild von den „Pasaport-Deutschen“: Sie sollten nach türkeispezifischen Kriterien die entsprechende Partei wählen, nach dem Motto: „Was wir Türken wollen …“. In Milliyet lautete am 5. September eine Schlagzeile (frei übersetzt): „Die Türken drücken den Wahlen ihren Stempel auf“. Zweiundzwanzig „Türken“, so wurde berichtet, treten bei den Wahlen als Kandidaten an. In der Rubrik „Das Wort gehört den Türken“, verstieg sich Hürriyet fast täglich zu der Behauptung, die Garantie für die „türkischen“ Wähler seien denn auch die „türkischen Politiker“ innerhalb der deutschen Parteien, einzig ihren Worten könne man Glauben schenken.
Bei der Lektüre dieser Berichterstattung wird deutlich: Türken sollen Türkei-gebundene Türken bleiben. Kein Bemühen um Integration – Selbstausgrenzung und misstrauischer Abstand zu den demokratischen Parteien prägten das Bild.
Mahnende Kommentare
Viele Kommentare waren schlicht türkisch-nationalistisch: Ihnen galt als ein maßgebliches Kriterium der Wahlentscheidung die Haltung einer deutschen Partei zum EU-Beitritt der Türkei. Alles andere fand kaum Beachtung. Für den EU-Beitritt sollten die türkischstämmigen Wähler eine einflussreiche Lobby bilden. Dass die Unionsparteien seit Kohl nicht mehr von einer EU mit der Türkei reden, mahnte die Presse mit einem „Lasst uns das nicht vergessen!“ an, die Regierungskoalition kam besser weg und wurde als einzige Alternative angeboten, da sich die SPD in Helsinki für die Beitrittskandidatur besonders nachdrücklich eingesetzt habe. Die Grünen machen zwar wegen ihres Beharrens auf Demokratie und Menschenrechte immer mal wieder Ärger, stehen aber doch zum EU-Beitritt der Türkei.
Für „deutschstämmige“ Politiker gehörte die außenpolitische Frage eines Beitritts der Türkei zur EU zur Gretchenfrage, an der sie nicht vorbeikamen. Hürriyet nahm genau zur Kenntnis, ob diese Politiker während ihrer Besuche bei türkischen Vereinen und Organisationen auf die Sichtweise ihrer Zuhörer eingingen und ob sie versprachen, sich für den EU-Beitritt der Türkei einzusetzen.
Bei der Regierungsbildung rückte wieder die Treue der Politiker zur „türkischen Gemeinschaft“ ins Visier – diesmal auch die der gebürtig deutschen Politiker. So betrachtete Milliyet Wolfgang Clements Ernennung zum Wirtschaftsminister einzig und allein unter dem Aspekt des damit einhergehenden Verlustes für die Türken in NRW, da Clement außerordentlich gute Beziehungen zu ihnen pflegte. Die Bildung eines zweiten Superministeriums, die Frage der Nachfolge im Ministerium von Herta Däubler-Gmelin, werden nur kurz erwähnt – ohne Analyse oder Kommentar.
Die Frankfurter Buchmesse erfreute sich dann wieder in beiden Boulevardzeitungen größerer Beachtung, jeweils aber wiederum nur in ihrem Bezug zur Türkei. Wie viele Verlage sich aus der Türkei mit wie vielen Büchern beteiligen, wie viele türkische Autoren kommen und lesen werden sowie die Eröffnung des Türkeistandes durch den türkischen Kultusminister Caglayan.
„Sprache prägt Kultur“
Dessen Rede passte zum Selbstverständnis der türkischsprachigen Zeitungen, denn Caglayan rief Eltern dazu auf, sich intensiv um die Erlernung der Muttersprache bei ihren oft unwilligen Kindern zu kümmern. Denn, „wessen Sprache man spricht, unter dessen Kultureinfluss gerät man auch“, mahnte der Minister. So wandte er sich auch gegen Kürzungspläne einiger Bundesländer beim muttersprachlichen Unterricht und rief Elternverbände, Vereine und Presse dazu auf, Hand in Hand gegen die Aufhebung des Muttersprachenunterrichts zu kämpfen. Die türkischsprachigen Medien transportierten es treu zu den „Landsleuten“ in Deutschland.
Belächeln lässt sich das nationalistische Getöse der türkischen Presse nur schwer. Hürriyet und Milliyet verhalten sich integrationsfeindlich, ihre Forderung, ihre Lobbyarbeit in Deutschland wird mit gefährlichem Nachdruck betrieben.
Die Autorin ist Mitarbeiterin der „Gesellschaft für bedrohte Völker“(GfbV) in Göttingen und arbeitet seit ihrem Studium der Turkologie regelmäßig in der Türkei.
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