Einkaufen in Zeiten von Big Data: Wenn der Preis persönlich wird
An der Supermarktkasse und im Taxi: Unternehmen können Kunden heute individuelle Preise vorsetzen – dank Big Data. Wer nicht aufpasst, zahlt drauf.
BERLIN taz | Nudeln sind heute billiger. Zumindest für den jungen Mann an Kasse zwei. 1,29 Euro statt 1,59 Euro. Die Kunden vor und hinter ihm müssen den Normalpreis zahlen.
„Dynamic Pricing“ heißt das Prinzip, das hier in einem Markt von Kaiser’s Tengelmann erprobt wird. Der Kunde soll dabei auf ihn zugeschnittene Preise angeboten bekommen. Dafür registriert das Unternehmen über eine Karte, was er kauft. Eine Liste mit den Produkten, die er heute billiger bekommt, druckt sich der Kunde im Laden selbst aus.
Bei Flügen, Hotels, Reisen sind unterschiedliche Preise für die gleiche Leistung schon normal geworden. Wer sehr früh oder wahlweise sehr spät bucht, bekommt Rabatte. Oder, noch älter: Wenn es regnet, kleben Händler höhere Preise an die Regale mit Regenschirmen.
Neu ist die individuelle Komponente. Big Data, das massenhafte Sammeln und Verarbeiten von Daten führt dazu, dass Unternehmen ihren Kunden maßgeschneiderte Preise vorsetzen können. Nicht mehr nur die Marktlage bestimmt den Preis, sondern ein Algorithmus errechnet auf Basis von Informationen wie Kundendaten, was dieser wohl bereit ist, zu zahlen. Dabei kann die Tageszeit Einfluss auf den Preis nehmen oder – auch das ist möglich – das Gerät, mit dem der Kunde die Website eines Onlinehändlers besucht. „Die Unternehmen nutzen die je nach Situation unterschiedliche Zahlungsbereitschaft von Kunden“, erklärt der Marketingprofessor Florian Stahl von der Universität Mannheim das Prinzip.
Die Messe: Am Montag startet in Hannover die weltgrößte Computermesse Cebit. In diesem Jahr sind dort vom 16. bis zum 20. März rund 3.300 Unter nehmen aus 70 Ländern vertreten. Schwerpunktthemen sind unteranderem Big Data,Sicherheitsfragen und Datenschutz sowie mobile Anwendungen.
Der Fokus: Partnerland der diesjährigen Messe ist China, das mit 600 Ausstellern vertreten ist.
Die Preise: Ein Tagesticket an der Kasse kostet 60 Euro, im Vorverkauf 55 Euro und ermäßigt 25 Euro. Ein Dauerticket ist für 110 Euro oder für 105 Euro im Vorverkauf erhältlich. Die Cebit ist täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Mehr Infos: www.cebit.de (sve)
Rabatte für die Bonzeilenverlängerung
Kaiser’s Tengelmann hat sich für die Zuckerbrotvariante entschieden. Dafür, als eher hochpreisiger Supermarkt den Kunden Rabatte anzubieten und sie so in den Laden zu locken. Und wenn sie schon mal da sind, wird es wohl zu dem kommen, was der Dienstleister, der sich um das Auswertungssystem kümmert, Bonzeilenverlängerung nennt: Ist der Kunde drin, kauft er gleich Waren mit, für die er eigentlich zu einem anderen Händler gegangen wäre.
„Jemand, der ein großer Milka-Liebhaber ist, könnte zum Beispiel einmal die Schokolade von Ritter Sport angeboten bekommen“, erklärt Tengelmann-Sprecherin Justine Zagalak. Sie sieht einen Datenschutzvorteil, weil im Unterschied zu Bonuskarten keine personenbezogenen Daten wie Name, Adresse oder Geburtsdatum abgefragt werden. Nur die Einkäufe zählen. Für Kunden kann das tatsächlich ein Vorteil sein – solange niemand persönliche Daten etwa aus EC- oder Kreditkartenzahlungen mit der Einkaufshistorie verknüpft.
Es gibt Unternehmen, die wollen nicht allein auf Zuckerbrot setzen. Das kann dann etwa so aussehen: Ein Kunde hat bereits in der Vergangenheit häufiger Filme eines bestimmten Genres mit bestimmten Darstellern bestellt. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass er auch eine Neuerscheinung, die die beiden Kriterien erfüllt, kaufen wird. Ein Schnäppchenpreis, mit dem Unentschlossene gelockt werden sollen, ist hier nicht notwendig –im Gegenteil. Wahrscheinlich ist der Kunde bereit, einen höheren Preis zu zahlen, als der Händler ihn in Form eines Einheitspreises anbieten würde.
Das Szenario ist nicht fiktiv. Es stammt aus einer Patentschrift von Google aus dem Jahr 2011. Und es zeigt, dass es mit personalisierten Preisen für den Kunden billiger werden kann, aber nicht muss.
Schwankende Preise als Geschäftsmodell
Zum Beispiel der Taxikonkurrent Uber. Bei dem Dienst aus San Francisco, der mittlerweile in 55 Ländern tätig ist, gehören schwankende Preise zum Geschäftsmodell: In Situationen, in denen ein Anstieg der Nachfrage nach Transportmöglichkeiten zu erwarten ist, steigen auch die Preise. Wenn es regnet, wird also das Mitfahren teurer. Die Idee dahinter: Steigende Preise locken mehr Fahrer auf die Straße, es gibt wieder mehr Angebote.
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat bei Testkäufen am PC und per Tablet festgestellt: Kaufen Kunden per Tablet in einem Onlineshop, kann es passieren, dass sie mehr zahlen müssen als Kunden, die das gleiche Produkt zum selben Zeitpunkt über den PC bestellen. „Der Kunde sollte nicht blind vertrauen“, empfiehlt Georg Tryba von der Verbraucherzentrale. Sondern von den technischen Möglichkeiten wie Preissuchmaschinen Gebrauch machen.
Kunde bleibt König
Marketingprofessor Stahl glaubt trotzdem, dass in der Regel die Verbraucher die Gewinner seien. „Die Anbieter versuchen, Kunden zu akquirieren, die sonst nicht oder woanders kaufen würden“, sagt Stahl. Der Wettbewerb um Kunden, die sowieso deutlich besser informiert seien als noch vor einigen Jahrzehnten, werde härter.
Wie sehr „Dynamic Pricing“ dem Image schaden kann, musste Taxikonkurrent Uber übrigens während eines Schneesturms in New York feststellen. Als sich die Preise für die Fahrten plötzlich verachtfachten, machten die Nutzer vor allem auf Twitter ihrem Ärger über diese Unternehmenspolitik Luft. Im Vorfeld des angekündigten Schneesturms Ende Januar ergriff Uber deswegen schon im Vorfeld Maßnahmen, um nicht erneut zu sehr in die Kritik zu geraten: Es begrenzte den Anstieg der Preise auf das 2,8-Fache der normalen Tarife.
„Kunden wollen fair behandelt werden“, sagt Marketingprofessor Stahl. Treibe ein Unternehmen die Preisgestaltung zu weit, würden sie sich ganz schnell abwenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Tierkostüme als Gefahr aus dem Westen
Wenn Kinderspiele zum Politikum werden