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Eingeholt von der Geschichte

Erinnerung an Rudi Dutschke im Gymnasium einer märkischen Kleinstadt  ■ Aus Luckenwalde B. Mika

Auch Revolutionäre gehen zur Schule. Und wenn sie schon als Jugendliche querdenken, bekommen sie Probleme. So wie Rudi Dutschke auf dem Gymnasium in Luckenwalde. Von 1954 bis 1958 war der spätere Studentenführer Schüler der Gerhart-Hauptmann- Oberschule in der märkischen Kleinstadt. Hier wurde er in der Aula vor der versammelten Schüler- und Lehrerschaft gemaßregelt: Er hatte sich öffentlich geweigert, nach dem Abitur den „freiwilligen Dienst“ bei der Nationalen Volksarmee anzutreten. Hier bekam er 1958 die Quittung für sein unbotmäßiges Verhalten: Auf seinem Abiturzeugnis hatte der Direktor die „inaktive gesellschaftliche Haltung“ des Schülers Dutschke vermerkt. Damit war ihm der Weg zum Studium verbaut.

Luckenwalde, sechsunddreißig Jahre später. Derselbe Gründerzeitbau, dieselbe Aula. Vollgestopft mit 17- bis 18jährigen SchülerInnen. Da wird geplappert, gekichert, der Nachbar malträtiert, um Sitzplätze gekämpft. 150 Menschen passen in den Saal, heute abend drücken sich 200 hinein. „Irgendwie“, erzählt Cindy, die es sich auf dem Schoß ihres Freundes bequem macht, „interessiert mich das schon, wer Rudi war und so. Bisher weiß ich nur das, was meine Deutschlehrerin erwähnt hat.“

Vorne, in den ersten Stuhlreihen, ist es merklich stiller. Hier sitzen die Erwachsenen. Angehörige von Rudi Dutschke, einige seiner früheren Lehrer und Mitschüler, Freunde aus Studententagen. Rudi Dutschke ist 1979 an den Folgen eines Mordanschlags gestorben. An diesem Dienstag abend will sein Biograph Ulrich Chaussy an ihn erinnern.

„So wie Rudi das früher gemacht hat, sich zusammentun und Argumente sammeln, müßte man es auch heute tun“, sinnieren Katrin und ihre Freundin Kati, die ein bißchen aussieht wie Kati Witt. „Daß er sich so aufgelehnt hat gegen die Gesellschaft, find' ich toll. Heute ist es doch auch so, daß sich die Politiker keine Gedanken machen. Man ist so hilflos.“ Ihre Deutschlehrerin sei ja ganz wild drauf, daß die Schüler mal die Klappe aufmachten – so wie Rudi. „Aber es tut ja niemand!“ Die Schule sei so kompliziert geworden, die Atmosphäre sei seit der Wende richtig mies.

Während die Mädchen noch plaudern, ist vorne ein alter Mann aufgestanden. Knorrig, weißhaarig, stockgerade. Er hebt einen Arm, zeigt nach vorn, sagt laut: „Ja, hier auf dieser Stelle hat Rudi gestanden.“ Er muß es wissen. Es ist Lehrer Glaubitz, zu Dutschkes Zeiten stellvertretender Schulleiter. Er ist mitverantwortlich dafür, daß dem jugendlichen Pazifisten der Studienplatz verweigert wurde. „Wir haben doch unsere Schüler zu Pazifisten erzogen“, verteidigt er sich heute, „aber der Westen hat mit der Rüstung angefangen. Verstehen Sie recht, es war nicht negativ gemeint, was ich über Rudi gesagt habe.“ Die SchülerInnen murren. Los geht die Diskussion. Doch meist unter den Erwachsenen. Die Jugendlichen trauen sich kaum. Einer hockt da mit seinem Walkman, zwei Mädels diskutieren über ihren Schmuck.

„Ich hab' gemerkt“, berichtet Manuela Krause, Deutschlehrerin, „daß die Schüler Rudi überhaupt nicht kannten.“ Als sie erfuhr, daß eine Dutschke-Lesung in der Schule geplant war, fing sie an, den Abend im Unterricht vorzubereiten. Dutschke, meint sie, könnte den Jugendlichen helfen, über Gesellschaft und politisches Engagement nachzudenken. Sie sprach sich mit KollegInnen ab. Vier elften Klassen wurde eine Doppelstunde Deutsch erlassen, statt dessen die Anwesenheit bei der Lesung zur Pflicht.

Das war vielleicht ein Fehler. Für mindestens die Hälfte der SchülerInnen heißt Anwesenheitspflicht automatisch programmierte Langeweile. „Den Lehrern war das so wichtig, da nimmt man so eine Veranstaltung eben mit“, findet Cindys Freund Ronny. Pünktlich nachdem sie ihre vorgeschriebenen eineinhalb Stunden abgesessen haben, verlassen Cindy und Ronny den Saal. Mit ihnen die Hälfte der SchülerInnen. „68 ist für viele Jugendliche wirklich weit weg“, seufzt Lehrerin Krause. „Die sind doch einfach doof“, schimpft Katrin ihnen hinterher.

Vor zwei Jahren starteten SchülerInnen des Gymnasiums eine kleine Initiative. „Rudi-Dutschke- Schule“ sollte ihre Lehranstalt in Zukunft heißen. Doch Direktor Kohl und die zuständigen Gremien weigern sich. Bis heute. „Wir wollen den Standort der Schule noch nicht festlegen“, verbrämt Kohl in der Diskussion seine Zögerlichkeit. Schule, eine Institution, in der Starrheit und Uneinsichtigkeit gedeihen. Damals wie heute.

„Wie fühlt man sich, wenn einen die Geschichte einholt?“ fragt Rudis Bruder Helmut Lehrer Glaubitz am Ende der Veranstaltung. Glaubitz schweigt. Lange. „Nach einem vierzigjährigen Lehrerdasein, mit all seinen Höhen und Tiefen“, sagt er dann, und man merkt ihm an, daß er es nicht zum ersten Mal tut, „kann ich sagen, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe.“

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