■ Service rund um die Literatur: Die Vorleser-Agentur: Eine warme Stimme im Abonnement
„Ich habe früher ein paar Male versucht, meinem Freund etwas vorzulesen“, sagt Paula Kuhn, „der wollte aber nicht, das war dem irgendwie zu eng.“ Vielleicht lag es aber auch daran, daß sie ausgerechnet das skandalöse „La Philosophie dans le boudoir“ vom Marquis de Sade dafür ausgewählt hatte. Jedenfalls sei ihr Ex „von da an nicht mehr zugänglich“ gewesen. Grund genug für die Studentin der Literaturwissenschaften, aus ihrer Leidenschaft eine Profession zu machen und in Hamburg die Vorleseagentur „LeS-ArT“ ins Leben zu rufen.
Hier kann man einen der sieben Vorleser zum Preis von 90 Mark pro Dreiviertelstunde oder im Abonnement für 70 Mark buchen. Dafür bekommen die Kunden ihre Lieblingslektüre von einer klangvollen und professionell ausgebildeten Stimme vorgetragen. Und das an einem Ort ihrer Wahl, der meistens zu Hause ist. Das erste Mal bei wildfremden Leuten etwas vorzulesen sei schon irgendwie ziemlich komisch gewesen, sagt Paula Kuhn. Schließlich handelt es sich bei der Rezeption von Literatur doch in der Regel um etwas sehr Persönliches. Zum Aufwärmen gebe es deshalb meist eine kleine Einführung in Werk und Leben der Autoren. „Wichtig ist aber vor allem, daß man es sich selbst gemütlich macht und sich entspannt“, sagt sie. Und wenn nicht gerade eine totale Antipathie zwischen Lesern und Kunden herrscht, überträgt sich diese Entspannung dann auf die Klienten. Manchmal wohl auch zu sehr. Etwa bei dem Hutmacher, dem sie George Orwells „1984“ vorlesen sollte. Beim Vortrag einer etwas langatmigeren Passage – Winston Smith sitzt im Wahrheitministerium und denkt über die Liebeserklärung von Julia nach – entschlummerte der Hutmacher mit einem Becher Tee in der Hand. „Zum Glück ist das nicht in der ersten Sitzung passiert“; Paula Kuhn war zunächst ratlos und wartete einige Minuten ab. Der Klient wachte wieder auf und war zunächst peinlich berührt. Dann jedoch begrüßte er sein kurzes „Power-Nickerchen“ als ein Zeichen für die gute Atmosphäre bei der Lesung – und weiter ging's im Text.
Ist das nicht eine etwas teure Entspannungsübung? Nicht unbedingt. Denn auch Gruppen können einen Leser buchen und sich die Kosten teilen. Wie etwa der Freundeskreis, der sich alle zwei Wochen Stücke von Edgar Allan Poe vorlesen läßt. Eine gute Möglichkeit, sich mit Literatur zu befassen, ohne sich dabei zu verkriechen. Außerdem trifft man sich auf diese Art und Weise mal wieder bei einem Glas Wein. Service-Ideen rund um die Literatur hat Paula Kuhn noch viele. Vorlesen am Telefon beispielsweise oder die Auflockerung von Modenschauen, wissenschaftlichen Vorträgen und Geschäfts-Meetings durch eingestreute Lesehäppchen.
Und was bietet die Agentur, die übrigens auch einen Vorleser in Berlin vermittelt, ihren Kunden zum Fest an? Der märchenerfahrene Frank etwa, der wegen seiner warmen Stimme und den tiefen Lachfalten auf Familiennachmittage spezialisiert ist, liest einem Kreis von betagten Damen am ersten Weihnachtstag Victor Hugos „Cosetti“ vor, eine Art weihnachtliche Aschenputtelgeschichte über ein achtjähriges Waisenmädchen. Eltern von pubertierenden Kindern hingegen wird empfohlen, die aufmüpfigen Sprößlinge mit einer Lesung von Ian Mc Ewans „Zementgarten“ zu beschenken. Das wäre in drei Sitzungen zu schaffen, schätzt Paula Kuhn, die sich schon den Eröffnungssatz auf der Zunge zergehen läßt: „Ich habe meinen Vater nicht umgebracht, aber manchmal kam es mir vor, als hätte ich ihm nachgeholfen.“ Hört sich gut an. Nur wer zahlt dann eigentlich die Rechnung? Klaus Sieg
„LeS-ArT“, Eppendorfer Landstr. 150, 20251 Hamburg, Tel./Fax: 040/47 64 58
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