Eine deutsche Oper: ’ne flotte Runde in der Geisterbahn
Sebastian Baumgarten inszeniert in Bremen Richard Wagners Gruseloper „Der Fliegende Holländer“ mit Spaß am Jahrmarktgrauen.
Die Gewalt ist schon da, bevor’s spukt: Vor lauter Freude über ihre Heimkehr knipst Dalands Mannschaft den inneren Zensor aus, das fidele Marschlied „Steuermann lass die Wacht!“ auf den Lippen. Das ist der größte Hit aus Richard Wagners Fliegendem Holländer und bei der Bremer Premiere von Sebastian Baumgartens Inszenierung lassen dazu die norwegischen Seemänner ihren Aggressionen freien Lauf.
Sie toben sie am Stellvertreter des Kapitäns aus, das Lied wird immer fröhlicher, „Jollohohe!“. Sie drängen den Steuermann vom Sitz, „her zu uns!“, zum Saufen, „trink mit uns!“, dann reißt der Chor Christian-Andreas Engelhardt zu Boden. Er kriegt den ersten Tritt an den Kopf, „Hussassahe!“, einen vor die Brust, „Hallohe!“, und volle Suppe in die Weichteile: „Hussahe!“. Dreiklang in C.
Dabei hatte er sich gerade so schön frei gesungen. Naja. Wenig später räumt hier ohnehin die Zombie-Besatzung vom Holländer auf. Sie verbeißt sich in die Leiche und wird die kecken Norweger erschrecken – bis die endlich, librettokonform, schweigen: dann Benzin drüber. Verbrannte Erde. Der wahre Horror.
Ja, jede Männer-Ansammlung ist unheimlich. Vor allem, wenn sie deutsch singt, wie alle bei Wagner. Den deutschen Militarismus hört Baumgarten hier tönen. Dessen Lebende aber sind so unheimlich, wie seine Untoten, die einmal alle sieben Jahre eine Küste heimsuchen.
Denn das dürfen sie, das ist die Konzession des Teufels an den Kapitän, der „bis zum Jüngsten Tage auf dem Meere herumirren“ muss, „es sei denn, dass er durch die Treue eines Weibes erlöst werde“, so hatte Heinrich Heine 1834 die neuzeitliche Mythe vom „Ewigen Juden des Ozeans“ berichtet. Wagner hat von Heines Story den eleganten Spott weggeschält, um sich ganz den Gespenstern hinzugeben und dem Pathos, das so ungebrochen sonst wohl nur auf dem Jahrmarkt existiert.
Dort, in dessen pastichierter Welt, ist nichts seriös und darum alles bitterernst, das Erlösungsgetös, das Grauen – und die Erdenschwere des zu ewigem Leben verdammten Körpers, bis ihn die, oh!, so mitleidsinnig mit dem lustvoll tönenden Orchester verschmelzende Patricia Andress als Senta zu Tode erlöst.
Denn längst ist ja dem Titelhelden sein Leib ein bloßer Sarg aus Fleisch gewesen. Der verwest. In an einige Stellen aufplatzende Fat Suits haben Jana Findeklee und Joki Tewes den Holländer, also Carsten Wittmoser, und seine Crew gesteckt. Die wandelt und windet sich durch den von Thilo Reuther gebauten haltlos-schrägen Raum, den, eine Fantasmagorie in gedeckten Farben, schwarz-weiße Videos flackernd durchleuchten.
Sehr con brio, und doch nuanciert, treibt Dirigent Markus Poschner den Laden in den ersehnten Untergang, zwei Stunden fünfzehn, ’ne flotte Runde in der Geisterbahn, inklusive Trost und Rettung vom Schrecken. Doch der kommt wieder, keine Frage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!