■ Eine aktuelle HistorikerInnendebatte um die Rolle von Frauen im Nationalsozialismus bricht mit Tabus. Ein Dossier von Susanne Heim: Ehefrau, NS-Maid, Komplizin, Täterin
Über die Rolle nichtjüdischer deutscher Frauen im Nationalsozialismus ist viel gestritten worden. Begriffe wie Schuld und (Mit-)Täterschaft sind jedoch neu in der Debatte. Frauen galten bislang als das unbelastete Geschlecht. Von der nationalsozialistischen Familienpolitik an Heim und Herd
gebunden, hieß es,
hatten sie so gut wie keinen politischen Einfluß. Ein Trugschluß. Die Realität sah anders aus.
Die Justiz, die nach der Kapitulation des Nationalsozialismus mit den männlichen Tätern meist schon sehr nachsichtig umging, hat nach dem Verhalten der Frauen so gut wie nicht gefragt. Die Abwehrmechanismen in der Gesellschaft der Täter – Anonymisierung von Schuld und die Selbststilisierung zum passiven Befehlsempfänger und letztlich zum Opfer – hatten auch eine weibliche Variante: Demnach wurde der Krieg von Männern angezettelt und von Frauen erduldet; sie waren die Leidtragenden, die Ehemänner und Söhne opferten und als Trümmerfrauen schließlich zu Heldinnen des Wiederaufbaus avancierten.
Neben der pauschalen Unschuldsvermutung geisterte lange Zeit eine ebenso undifferenzierte Schuldzuschreibung durch die Debatte – die These, Frauen hätten bei den Wahlen überwiegend für Hitler gestimmt und damit den Nationalsozialismus zur Macht verholfen. Als in den siebziger Jahren die Frauenforschung sich des Themas annahm, hatte sie sich unter anderem mit dieser „Dolchstoßlegende“ auseinanderzusetzen. Doch auch in der feministischen Debatte kamen die nichtjüdischen deutschen Frauen nicht als Akteurinnen der Nazipolitik vor, sondern vornehmlich als deren Objekte.
Das NS-Regime wurde als extremste Form patriarchaler Herrschaft beschrieben, die Frauen als machtlos und unterdrückt. Damit rückten sie sprachlich in die Nähe der Opfer, die real Verfolgten gerieten aus dem Blickfeld. Fragen nach der Schuld an Krieg, Vertreibung und Massenmord konnten bei den männlichen Tätern belassen werden.
Die ersten Risse erhielt dieses identitätsstiftende Geschichtsbild Mitte der achtziger Jahre. Zunächst waren es nur einzelne Historikerinnen und kleine Gruppen, die der Mehrheitsmeinung der feministischen Forscherinnen widersprachen. Sie kritisierten die Rede von den Frauen und verwiesen darauf, daß die meisten deutschen Frauen auch Nutznießerinnen, wenn nicht gar Akteurinnen der NS-Politik und somit auch für Verfolgung jüdischer Frauen und Männer sowie der Bevölkerung in den besetzten Ländern verantwortlich gewesen seien. – Das Konzept der Mittäterschaft, von Christina Thürmer-Rohr ausformuliert, um die Partizipation von Frauen an ihrer eigenen Unterdrückung analytisch zu begreifen, wurde auf die Rolle von Frauen im Nationalsozialismus übertragen.
Trotz des Vorwurfs, daß sie den Schuldanteil der Frauen schmälere, indem sie ihnen lediglich ein „Mitmachen“, aber keine Eigeninitiative zuschreibe, hält Thürmer-Rohr nach wie vor an dem Begriff fest, da Frauen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht in gleichem Maße konstituieren würden wie Männer.
Die Kontroverse um die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus wurde lange Zeit heftig geführt – und wurde allmählich immer unergiebiger. Doch hat die Aufkündigung des alten Konsenses immerhin zu einer Reihe neuer Untersuchungen über das Denken und Tun der weiblichen Bevölkerungshälfte für oder gegen die Naziherrschaft geführt.
In den letzten Monaten sind zwei Bücher erschienen, in denen auf Basis neuer Forschungsergebnisse versucht wird, die Debatte aus dem bloßen Meinungsstreit herauszulotsen. Die Historikerin Gudrun Schwarz, Mitarbeiterin des Hamburger Instituts für Sozialforschung, hat die Rolle von Frauen untersucht, die mit SS-Männern verheiratet waren.
Die SS gilt gemeinhin als der Inbegriff der Naziverbrechen – und als klassischer Männerbund. Schon die Tatsache, daß die SS auch weibliche Mitglieder hatte, ist weitgehend unbekannt. Und der simple Umstand, daß die SS-Männer verheiratet waren, ihre Frauen und oft auch Kinder Zeugen ihrer Verbrechen waren oder sich sogar daran beteiligten, ist bislang kaum Forschungsthema gewesen.
Gudrun Schwarz legt dar, welche Rolle Ehe und Familie in der Ideologie der SS- Sippengemeinschaft spielten, und referiert die Äußerungen und Erlasse Himmlers zur Regelung von Heirat und Fortpflanzung der SS-Angehörigen. Im Zentrum des Buches aber steht die Frage nach Schuld und Verantwortung der SS-Ehefrauen. Wie haben sich die Ehefrauen zu den Verbrechen ihrer Männer verhalten? Wie haben sie sich daran beteiligt?
Dabei geht es zum einen um Straftaten von Frauen, um unmittelbare Mittäter- oder Mitwisserschaft. Doch unabhängig von der Schuld im juristischen Sinne versucht die Autorin, auch die alltägliche Rolle der Ehefrauen als spezifischen Tatbeitrag in den Blick zu nehmen: die seelische Unterstützung der Männer. Das Unterfangen ist schwierig, zumal die Tätigkeit der Ehefrauen schlechter dokumentiert ist als diejenige der (in Behörden tätigen und später von Staatsanwälten befragten) Männer.
Die Überlieferungen der Frauen selbst sind rar und – wie etwa die mehrfach zitierte Autobiographie von Lina Heydrich – nicht minder eitel und verlogen als die männlichen Erinnerungen. Die meisten Aussagen von SS-Ehefrauen, die die Autorin zitiert, stammen aus der Literatur, in der jedoch die Frauen in der Regel nur nach ihren Männern und nicht nach dem eigenen Leben und Handeln befragt wurden. Die Fragebogen des Rasse- und Siedlungshauptamts, in denen Nachbarn oder Bekannte Auskunft gaben, ob die jeweilge SS-Braut sparsam, ordentlich, kinderlieb und fleißig oder etwa das Gegenteil von alledem war, waren so offenkundig suggestiv, daß man sie nur unter großem Vorbehalt zur Charakterisierung der betreffenden Frau heranziehen kann.
So bleiben die Frauen, die hier sichtbar werden, merkwürdig konturlos. Die geschilderten Beispiele scheinen alle auf das Fazit hin geschrieben, daß die Frauen nicht minder brutal (und vielleicht noch deutlicher auf materiellen Vorteil bedacht) waren als ihre Männer, nur eben auf einem anderem Terrain. Aber was besagt das – außer daß Frauen ebenso zu Bestialitäten fähig sind wie Männer?
Explizit wird dieses Fazit nicht gezogen, wie sich die Autorin überhaupt mit Resümees sehr zurückhält. Nur nebenbei erfahren wir, daß die SS-Angehörigen sich nicht nur als Avantgarde begriffen, sondern die SS-Kriterien für Heiratsgenehmigungen später teilweise in die NS-Ehegesetzgebung übernommen wurden. Gilt dies auch für andere Regeln und Gepflogenheiten der SS-Sippengemeinschaft?
Zurecht weist die Autorin darauf hin, daß die SS-Leute nicht isoliert und im Geheimen agierten, sondern Freunde, Verwandte und Nachbarn hatten, mit denen sie über ihre „Arbeit“ sprachen, und dafür Anerkennung ernteten. Hat diese Kombination von Elitebewußtsein und sozialer Einbindung dazu beigetragen, die Ideale der SS in ihrem gesellschaftlichen Umfeld zu verbreiten? Handelten die SS-Ehefrauen aus Sadismus, weil sie persönlich Vorteile aus der Naziherrschaft zogen oder weil sie sich mit den Inhalten der nazistischen Weltanschauung identifizierten? Zumindest waren sie, so legt die Autorin schlüssig dar, keine naiven Mitläuferinnen, sondern konnten, wenn es ihnen wichtig war, durchaus entscheidungsstark und energisch auftreten.
Im Gegensatz dazu steht die bis heute gängige Vorstellung einer vom öffentlichen Geschehen abgetrennten Privatsphäre, auf die Frauen beschränkt gewesen und daher „unschuldig“ geblieben seien. Ein verqueres Bewußtsein ihrer Schuld, ein Rest an schlechtem Gewissen, offenbart sich dennoch in der hartnäckigen Weigerung der Frauen nach Kriegsende, das eigene Verhalten kritisch zu reflektieren sowie in ihrer – in der Gesellschaft der Täter ohnehin verbreiteten – Flucht ins Selbstmitleid.
Im Sammelband „Zwischen Karriere und Verfolgung“ sollen die „Handlungsräume von Frauen“ im NS- Deutschland ausgeleuchtet werden. Die Autorinnen stellen exponierte Einzelpersönlichkeiten vor und untersuchen staatliche Normen, die Frauen besonders betrafen. Die Erfahrungen verfolgter Frauen werden geschildert, analysiert; im Abschnitt „Mitwirkung und Verantwortlichkeit“ geht es schließlich um die Komplizinnen der Macht.
Dort untersucht Gudrun Schwarz neben den SS-Ehefrauen auch die weiblichen SS-Angehörigen und geht in diesem Punkt über ihre Monographie hinaus. Frauen konnten sich nach einer strengen Aufnahmeprüfung in der SS zur Funkerin, Fernsprecherin oder Kraftfahrerin, zur Mechanikerin oder Krankenpflegerin ausbilden lassen. Sie arbeiteten anschließend in der KZ-Verwaltung oder im Reichssicherheitshauptamt, leisteten Kurier- und militärische Hilfsdienste, tippten die Mordbilanzen der Einsatzgruppen und andere „Geheime Reichssachen“. Als „Nachrichtenmaiden“ wurden sie auch eingesetzt, um die Funkerkollegen für den Kriegsdienst freizustellen; doch war dies nur ein willkommener Nebeneffekt der Qualifikation von Frauen in der SS. Primär sollte das weibliche SS-Korps, dem bei Kriegsende etwa 10.000 Frauen angehörten, nach dem Urteil der Autorin „die neue weibliche Elite Nazi-Deutschlands sein und damit Ausstrahlung auf das deutsche Frauenbild haben“.
Karrieremöglichkeiten und Qualifikationschancen hielt nicht nur die SS, sondern auch der BDM für Frauen und Mädchen bereit. Als Führerinnen wurden, so zeigt Dagmar Reese in ihrem Beitrag, bevorzugt Jugendliche aus Familien der alten sozialen Eliten ausgesucht, denen in Schule und Elternhaus Planungsvermögen, Durchsetzungswillen und Verantwortungsbereitschaft vermittelt worden waren. Doch waren auch Überzeugung und Engagement gefragt. Dies erhöhte die soziale Durchlässigkeit und bot Aufstiegschancen auch für Mädchen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen.
Trotzdem versucht Dagmar Reese in ihrem Resümee, die Schuld von Frauen mit der Theorie vom gedankenlos funktionierenden „Rädchen im Getriebe“ zu erklären, das zur Aufrechterhaltung des NS- Systems wichtiger gewesen sei als Verbrecher oder Sadisten. Dabei fällt jedoch die zuvor geäußerte Erkenntnis, daß nicht nur Gehorsam und Anpassungsbereitschaft, sondern auch eigenes Engagement und Leistung zu einer NS-Karriere nötig waren, leider wieder aus der Debatte heraus.
Das Verdrängen von Schuld fiel den hier vorgestellten Frauen um so leichter, je besser sie auch vor sich selbst das eigene Tun als unpolitisch abtun konnten. Katrin Dördelmann legt dar, daß Frauen – entgegen einem gängigen Vorurteil – nicht öfter denunzierten als Männer, aber – anders als diese – vorwiegend im innerfamiliären Bereich und um private Interessen durchzusetzen. Dies ermöglichte es ihnen, die Tatsache auszublenden, daß die Gestapo gerade auf die Eigeninitiative der DenunziantInnen angewiesen war, um in private und halbprivate Bereiche wie Familien oder Hausgemeinschaften vorzudringen. Beate Meyer stellt in dem Band zwei Mitläuferinnen vor, die Sekretärin des Hamburger Gauleiters (siehe gegenüberliegende Seite) sowie eine in der Kinderlandverschickung tätige Erzieherin. In biographischen Interviews, die sie zitiert, mit vorsichtiger Ironie zusammenfaßt und interpretiert, macht die Autorin den Wandel von anfänglicher Distanz über Annäherung zur freudigen Zustimmung ebenso sichtbar wie den Selbstbetrug, mit dem sich beide Frauen aus der Verantwortung stehlen. Indem sie die politische Bedeutung des eigenen Tuns ausblenden, gelingt ihnen später die reibungslose Einpassung in die Nachkriegsgesellschaft.
Der Band enthält neben den hier erwähnten weitere interessante Aufsätze. Leider bleiben jedoch die Aussagen mitunter sehr vage und in den meisten Beiträgen auch die Begriffe unklar. Wer sind „die Nationalsozialisten“, „das Regime“ oder „der Nationalsozialismus“ als handelndes Subjekt (und noch dazu in Gegenüberstellung zu „den Frauen“)? – Parteimitglieder? Beamte – von welcher Behörde? Regierungsvertreter? Wähler?
Alle, die sich mit der Naziherrschaft identifizierten? Die Schwammigkeit steht in Gegensatz zu der in der Einleitung gestellten Forderung nach „differenzierenden Forschungen darüber, wie Frauen die an sie herangetragenen Erwartungen, Zumutungen, Chancen und Behinderungen handelnd verarbeitet haben“. Die meisten Beiträge lösen dieses Postulat ein. Sie machen Frauen als handelnde Subjekte sichtbar – in einem Bereich, von dem frau den Blick allzu gern abwendet.
Die Frage jedoch, ob – wie die Herausgeberinnen und einige Autorinnen fordern – Zuschreibungen wie „TäterInnen“ und „Opfer“ aufgegeben werden sollten, da sie nur der moralischen Klassifizierung dienten, bleibt nach dem, was hier zu Tage kam, noch zu diskutieren.
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