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„Eine Zumutung für alle Frauen“

■ Der SPD/FDP-Kompromiß zur Fristenregelung: Basis enttäuscht, Abgeordnete pragmatisch

Berlin (taz) — Während Bonner ParlamentarierInnen aus SPD und FDP kräftig für ihren Kompromiß einer Fristenregelung werben und sich gleichzeitig innerhalb der Unionsparteien der Streit um das Abtreibungsrecht verschärft, mehren sich in den letzten Tagen die unzufriedenen Stimmen der Basis. Denn Beratungsstellen wie Pro Familia, aber auch die Berliner Ärztekammer oder Vertreterinnen des Frauenpolitischen Runden Tisches in Berlin sind enttäuscht von dem jetzt vorliegenden Kompromiß, der am Mittwoch in erster Lesung dem Bundestag vorliegen soll.

Christiane Schindler, Mitglied des Unabhängigen Frauenverbands, verwies gestern bei einer Gesprächsrunde im Ostberliner Haus der Demokratie, zu der die 'Berliner Zeitung‘ geladen hatte, auf die einschneidenden Verschlechterungen, die der vorgelegte Kompromiß den Frauen im Osten des Landes beschert. Bei derzeitiger, geteilter Rechtslage gilt in den neuen Bundesländern noch die DDR-Fristenregelung, die keine Strafbarkeit für Frauen vorsieht und auch keine Beratungspflicht. Auch Susanne Kahlpassoth, Landesjugendpfarrerin in West-Berlin, vermerkte, daß der neue Entwurf gerade für die Frauen innerhalb der evangelischen Kirche nicht akzeptabel sei. Vor allem in der Beratungspflicht sah sie ein „Machtinstrument zur Disziplinierung der Frauen“.

Die vorgesehene Zwangsberatung bereitete auch den Vertreterinnen der Beratungspraxis die größten Bauchschmerzen. Ulrike Busch, Vertreterin des Vereins „Frau und Familie“, der vergangene Woche im Ostteil Berlins die erste nichtkonfessionelle Schwangerschaftsberatungsstelle nach dem Vorbild Pro Familias eröffnete, bemängelte die unklaren Formulierungen des Gesetzentwurfs bezüglich der vorgesehenen Beratungspraxis. Sie befürchtete, vor allem für süddeutsche Bundesländer, eine Beratung „im Sinne einer moralischen Instanz“. Allein durch die verordnete Beratungspflicht gerieten Professionelle stets in einen Zwiespalt. Berit Brockhausen konnte da auf ihre langjährigen Praxiserfahrungen in den alten Bundesländern zurückgreifen. Die Psychologin mußte die Erfahrung machen, daß Frauen stets unter ungeheurem Druck standen, wenn sie zu ihr kamen, um die Bescheinigung über die soziale Indikation zu bekommen. „Mein Wunsch ist es, daß diejenigen, die zu mir kommen, auch freiwillig motiviert sind, damit sie davon profitieren können.“

Die Berliner Ärztekammer ist nach den Worten des Mediziners Ulrich Pape-Grupe grundsätzliche für „eine Streichung der beiden wilhelminischen Paragraphen 218 und 219“. An dem neuen Kompromiß bemängelte er vor allem, daß ÄrztInnen, die einen Abbruch vornehmen, nicht gleichzeitig auch die Beratung durchführen könnten. Doch trotz aller Kritik begrüßte er den mittlerweile siebten Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs als derzeit realpolitisch durchsetzbar. Die Realpolitik stand auch im Vordergrund aller Statements von seiten der geladenen Abgeordneten. So verwies Ingrid Holzhüter, frauenpolitische Sprecherin der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, auf die dringend erforderliche Mehrheit im Bundestag, die sich nur durch einen Kompromiß erreichen lasse. „Wir in Berlin sind nicht glücklich mit dem Kompromiß, aber er scheint uns das einzig Machbare.“ Ihr Parteigenosse, der Bundestagsabgeordnete Konrad Elmer, pflichtete dem bei und bekräftigte die nötige Verfassungsmäßigkeit einer Neuregelung. „Leider müssen wir angesichts dieser Problemlage der Frau unseren Kompromiß zumuten“, meinte er. Die SPD habe im Grunde dafür gesorgt, daß der neue Entwurf nur eine Informationsberatung beinhalte. „Dennoch ist es natürlich eine Zumutung für die Frauen, und kein Mann würde sich das gefallen lassen, wenn es um sein Selbstbestimmungsrecht ginge.“

Rundum zufrieden mit dem vorgelegten Kompromiß schienen lediglich die Vertreterinnen von FDP und CDU. Während die Bundestagsabgeordnete Margret Funke Schmidt Rink (FDP) ein flammendes Plädoyer für den Gruppenantrag hielt, signalisierte Marion Kittelmann (CDU), daß sie den FDP/SPD- Entwurf für tragfähig hielte: „Ich persönlich kann mit diesem Gesetzentwurf leben.“ Als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses hoffte die CDUlerin, auch ihre ParteikollegInnen von dieser Meinung überzeugen zu können. Am Wochenende hatte sich auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hinter den neuen Gruppenantrag gestellt. Sie kritisierte allerdings, daß der ausdrückliche Bezug auf die außergewöhnliche Konfliktlage fehle.

Allem Anschein nach mehren sich— trotz aller CSU-Drohungen — die parlamentarischen Stimmen für die neu formulierte Fristenregelung. flo

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