Eine Woche lang Essen auf Rädern: Süß und wässrig
Für alte Menschen, die nicht mehr selbst kochen, ist Essen auf Rädern oft die einzige Möglichkeit, an warmes Essen zu kommen. Ein Selbstversuch.
Preislich sind die Unterschiede überschaubar, meistens liegt ein Mittagessen zwischen 7,50 und zehn Euro. Dabei haben alle Anbieter immer mindestens sechs Gerichte im täglichen Angebot. Vegetarisch sollte man allerdings nicht leben, dann wird es schnell übersichtlich.
Am Ende entscheide ich mich für den Anbieter, der das älteste Website-Layout hat. Denen ist bestimmt die Verpackung egal, die konzentrieren sich darauf, mir ein wunderbares Essen zu zaubern.
Im nächsten Schritt schicke ich meine Bestellung ab, pünktlich vor 16 Uhr. Somit kann ich gleich morgen in den Genuss des ersten Essens auf Rädern kommen. Gegen Aufpreis könnte ich mir das Essen auch noch auf einem Porzellanteller liefern lassen. Ich verzichte.
1. Tag: „Gut bürgerlich: Grünkohl mit 2 Kochwürstchen, dazu Salzkartoffeln, Dessert: Apfelmus-Aprikose“
Übergabe: „Moin, einmal Ihr Essen!“, sagt die Lieferantin fröhlich, als sie mir die Box in die Hand drückt und sich dann auch schon wieder umdreht. Ich frage sie noch schnell, wie das mit der Bezahlung läuft. „In bar ist teurer. Und wegen dem blöden Corona nutzen gerade eh viele Leute das Lastschriftverfahren“, sagt sie noch. Schwups, ist sie weg. Sehr nett, aber offenbar ein bisschen in Eile.
Hauptspeise: Nicht mehr ganz heiß, aber in Ordnung. Ziemlich salzig. Die Konsistenz des Grünkohls ist ein bisschen sapschig. Und sind da viele Haferflocken drin! Wird damit die Menge gestreckt? Frisch hat es deshalb jedenfalls nicht geschmeckt, eher ölig. Offenbar vollkommen lieblos gekocht. Und irgendein undefinierbarer Geschmack bleibt im Mund. Vielleicht etwas viel vom Lorbeergewürz?
Die Würste sind sehr knackig, das gibt Pluspunkte. Die Kartoffeln: solide.
Nachspeise: Beim ersten Anblick ist die Nachspeise ein bisschen enttäuschend. Ein kleiner Minijoghurt, wie er für ein paar Cent im Supermarkt erhältlich ist. Sehr bitter. Und: sehr süß, zuckersüß. Ich spür’s direkt auf den Zähnen kribbeln. Und komplett bis zum bitteren Ende püriert. Kein kleinstes Stückchen mehr zum Kauen. Das lässt mich unbefriedigt zurück.
2. Tag: „Gut bürgerlich: gebratenes Seefischfilet (natur) mit Dillsoße, dazu Salzkartoffeln und Möhrensalat, Dessert: Fruchtjoghurt Kirsche“
Übergabe: Mit einem „Moin, hier bitte“ begrüßt mich die Lieferantin. Und dreht sich wieder direkt um, als ich die Warmhaltebox in die Hände nehme. „Schönen Tag noch“, rufe ich hinterher. „Ebenso“, kommt es noch zurück. Die hat echt wenig Zeit.
Hauptspeise: Es dampft sogar noch! Die Sauce ist wässrig und es haben sich Flöckchen gebildet, aber immerhin genau richtig gesalzen. Von den sichtbaren Kräutern lässt sich wenig herausschmecken. Dill soll das sein? Vielleicht.
Der Karottensalat ist schön knackig. Das Beißen macht richtig Spaß. Für die paar Apfelstücke gibt es Pluspunkte. Der Fisch dagegen ist komplett fad. Er schmeckt einfach nach: nichts. Und hat die Konsistenz von zusammengedrücktem Matsch, der außen ein bisschen pelzig ist.
Kartoffeln: wieder solide.
Nachspeise: Genauso muss ein Nachtisch am Mittag schmecken! Richtige Euphorie. Grundsolider Joghurt, auf die gute Art süß. Wunderschöne sämige Konsistenz, nicht zu wässrig, nicht zu fest. Das sind bestimmt die 3,5 Prozent Fett im Milchanteil, wie auf der Packung zu lesen ist. Und auch noch ein paar Kirchstückchen drin! Beinahe eine Minute lang kratze ich noch die letzten Reste aus dem Plastikbecher.
3. Tag: „Kleines Menü: Putenrollbraten in Sahnesoße, dazu Brechbohnen in Schwitze und Kartoffelpüree, Dessert: Grießdessert“
Übergabe: Die Lieferantin wirkt sehr nett, aber ich habe keine Chance, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Kommt, überreicht das Essen und ist wieder weg. „Schönen Tag!“, rufe ich ihr noch zu. „Ebenso.“
Hauptspeise: Gesund sieht das nicht aus. Glitschige Matsche und ein kleines Stück Fleisch. Das Auge isst hier heute nicht mit. Die Soße aus Sahne und altem Fett schmeckt so, wie sie aussieht. Das kann man beim besten Willen nicht essen. Die Bohnen sind so lasch, als hätte sie jemand vorgekaut.
Immerhin ist der Kartoffelbrei – bestimmt aus der Fertigpackung – gut und ausreichend gesalzen.
Ich esse den Kartoffelbrei auf, der Rest landet im Müll. Das ist doch nicht gesund!
Nachspeise: Kleine Bröckchen, total süß und wässrig. Ich prüfe schnell das Ablaufdatum. Das Vanillearoma werten wir mal positiv, obwohl es total künstlich riecht. Das war heute alles eine große Enttäuschung. Ich will eigentlich nicht mehr weiter so was essen müssen.
4. Tag: „Vegetarisch & süß: Steckrüben-Möhren-Eintopf mit Kartoffelwürfeln und Petersilie, Dessert: Mousse au Chocolat“
Übergabe: Ich habe nun akzeptiert, dass ein kurzes Pläuschchen einfach nicht drin ist. „Moin. Danke. Tschüss“ – zu mehr Worten komme ich nicht, bis meine Essenslieferantin schon wieder weg ist. Ein Lächeln hat sie aber immer für mich parat. Das ist ja immerhin etwas.
Hauptspeise: Man kann am Essen riechen wie man will: keine Chance, da irgendeinen speziellen Geschmack herauszuriechen. Riecht wie jeden Tag zuvor auch schon. Gar nicht mal muffig, aber auch nicht nach etwas, das mir eine duftende Vorfreude bereitet.
Der Eintopf ist erstaunlich solide, schmeckt allerdings, als wäre er nicht mehr ganz frisch, sondern schon vier oder fünf Mal aufgewärmt. Halt ein bisschen schal. Der Eigengeschmack der Karotten oder der Kartoffeln oder der Steckrüben ist nicht mehr auszumachen, es hat sich zu einem großen Ganzen zusammengemischt. Sieht ein bisschen aus wie Gelee. Sehr weich das Gemüse. Beim letzten Happen sehne ich mich danach, mittags wieder selbst kochen zu können.
Nachspeise: luftig, cremig, süß. Das ist zwar überhaupt nicht gesund, aber lecker. Ich werfe einen kurzen Blick auf die Zutatenliste und schaue schnell wieder weg. Das ist mir gerade so was von vollkommen egal, was für ein Mist da alles drin ist. Ich schaufel den Nachtisch ganz schnell in mich rein.
5. Tag: „Leckere Vielfalt: bunter Gemüseeintopf mit viel Gemüse, Kräutern, Kartoffelwürfeln und Rindfleischeinlage, Dessert: Pfirsichkompott“
Übergabe: Ich gebe ihr die Box vom Vortag nun schon wortlos zurück. Aber dann fällt mir ein, dass ich sie noch in ein Gespräch verwickeln muss! Was ist mit der Box von heute? „Soll ich Sie Ihnen direkt geben?“ „Ja, das kannst du machen“, sagt sie. Sie duzt mich, wie schön. Und schwups, ist sie wieder weg.
Hauptspeise: Mein Appetit auf diese Art Essen ist im Keller. Ich will einfach nicht mehr. Aber diesmal habe ich sogar das Gefühl, dass es frisch riecht. Sogar mit richtigen Gewürzen! Ich kann es kaum glauben. Hier und da ist ein Gemüse sogar bissfest. Nicht völlig verkocht. Sogar die Kartoffelstückchen fallen im Mund nicht sofort auseinander. Und die Erbsen: knackig! Ich glaube sogar, Gewürze schmecken zu können. Majoran vielleicht. Wahnsinn!
Beim Kauen einer Bohne bilde ich mir ein, den Geschmack von Bohnen erkennen zu können. Und die Fleischstückchen, vor allem schön salzig, runden das Essen sogar ab. Das glaubt mir niemand. Es schmeckt! War hier ein anderer Koch im Einsatz?
Nachspeise: Auch hier kommt mir sogar ein Geruch entgegen: sauer-fruchtig! Und auch hier: Die Stückchen schmecken immerhin ein bisschen fruchtig neben all dem Zucker. Andererseits: Das Gelee sieht nicht gerade appetitlich aus.
Also das war jetzt doch noch mal ein überraschend leckerer Abschluss. Dennoch freue ich mich schon richtig auf morgen, wenn ich mir selbst endlich wieder etwas zum Mittag kochen kann. Was bin ich froh, dass das jetzt vorbei ist, denke ich mir. Die armen Menschen, die auf dieses Essen wirklich angewiesen sind! Das geht doch auf Dauer nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation