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Eine „Schlacht der Begriffe“

Sachsen will sich das liberalste Schulgesetz geben/ Weder Gleichmacherei noch Einbahnstraße  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Mit einer Peinlichkeit für das Kultusministerium begann in Sachsen vor einem halben Jahr die Diskussion über das zukünftige Schulgesetz. Als sich damals die Gerüchte über den im Haus Rehm geschriebenen und behüteten Gesetzentwurf zu häufen begannen, ließ das Neue Forum schnell einige Hundert Texte davon drucken und an die Schulen verteilen; zu einer öffentlichen Aussprache kamen Hunderte von PädagogInnen, die auch gleich eine Enquetkommission für die Arbeit am sächsischen Schulgesetz bildeten.

Postwendend rückte das Kultusministerium mit seinem sogenannten „Referentenentwurf“ heraus. Da hatte die kritische Öffentlichkeit schon einigen Vorsprung.

Am vergangenen Freitag wurde der Regierungsentwurf nun den Parlamentsausschüssen überwiesen. Beendet wurde damit eine bisher beispiellose, öffentliche Diskussion über Schule in Sachsen, das sich als erstes neues Bundesland ein Schulgesetz auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Ein vom Bündnis 90/Grüne eingebrachter Vorschlag, wie in den anderen neuen Bundesländern nur ein Vorschaltgesetz zu beschließen und dann weiter nach einem Konsens zu suchen, hatte im Parlament keine Mehrheit gefunden. Kultusministerin Stefanie Rehm wertete ihr Werk als „Ergebnis vielfältiger Zuschriften“, die „sorgfältig diskutiert“ worden seien. Ein „langwieriger Einigungsprozeß“ sei diesem Gesetzentwurf vorausgegangen. Herausgekommen sei ein Kompromiß, eben ein typisch sächsisches Werk.

Als typisch sächsisch gilt vor allem der Abschied vom umstrittenen dreigliedrigen Schulsystem, aber auch von der Gesamtschule. Statt dessen bietet Sachsen einen nach allen Seiten offenen Bildungsweg über die Mittelschule bis zu einem wahlweise sprachlich oder beruflich orientierten Realschulabschluß oder zum gymnasialen Abschluß an. Wer eine „mehr praktische Veranlagung“ hat, könne nach der achten Klasse den Hauptschulabschluß erwerben. Aus dem Westen habe man nur die Abschlüsse übernommen, dagegen die Schularten den eigenen Verhältnissen angepaßt. Es gebe weder Gleichmacherei noch Einbahnstraßen, versicherte die einstige Russisch- und Englisch-Lehrerin Stefanie Rehm. Gewollt sei ein flexibles Bildungswesen, wo „generelle Übergänge und Korrekturen von Bildungsgängen möglich werden“. Durchlässigkeit sei Prinzip in Sachsen, ein vielfältiges Angebot an Abschlüssen, Übergängen und Profilen solle jedem Kind „das Bewußtsein seiner Möglichkeiten“ eröffnen.

Das war das Stichwort für den Zwischenpart der SPD. „Sie singen das Hohelied der Gesamtschulen“, begeisterte sich der Abgeordnete Hatsch. Für die SPD „knackt es“ heftig an dieser Stelle. Obwohl ein weit verbreitetes Interesse an Gesamtschulen in Sachsen nie zu überhören war, taucht diese Schulart, der im Referentenentwurf gerade noch ein Plätzchen auf der letzten Bank eingeräumt worden war, im Konzept der Regierung gar nicht mehr auf. „Wir werden um diesen Punkt kämpfen“, kündigte Professor Marcus für die SPD an, die demnächst mit einer demoskopischen Untersuchung belegen will, daß sich 30 Prozent der Eltern in Sachsen für Gesamtschulen entscheiden würden und 40 Prozent wünschen, daß die Kinder möglichst lange in ihrer Klasse zusammenbleiben. Gesamtschulen hätten sich bewährt, man könne sie nicht wieder in die Rolle von Versuchsschulen zurückdrängen. Es gehe der SPD nicht, wie von der Mehrheitsfraktion unterstellt, um politische Grabenkämpfe, sondern „um das pädagogische Anliegen, das auch mit dem Namen Mittelschule verbunden werden könnte“.

Thomas Colditz (CDU) war sichtlich empört ob der Halsstarrigkeit der Sozis. Das Schulgesetz „made in Sachsen“ sei ein Angebot, den „Glaubenskrieg“ zwischen klassischer Dreigliedrigkeit und Gesamtschule wie alle „ideologisch überfrachteten Bildungsstreitereien“ ausfallen zu lassen. Man habe „die Bedürfnisse der Betroffenen konsequent in den Mittelpunkt“ gestellt.

Einen „Neuanfang ohne Dogma“ konnte Antje Rush (Bündnis 90/Grüne) weder im Regierungsentwurf noch in der angeblichen SPD- Alternative ausmachen. „Nichts Atemberaubendes weit und breit zu sehen“, dafür eine „Schlacht der Begriffe“. Die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion forderte, endlich über pädagogische Konzepte zu sprechen und Initiativen der Schulen ernstzunehmen. Jede Schule sollte ihr eigenes Profil entwickeln können. Nichts dergleichen deute sich an; „den Sachsen wird schon wieder übers Haar gestrichen und gesagt, seid ruhig, wir wissen, was gut ist.“

Zuversichtlich sehen die Liberalen auf die zweite Runde der sächsischen Schuldiskussion. Immerhin sei man sich einig darin, das liberalste Schulgesetz Deutschlands schreiben zu wollen. Nach FDP-Meinung müßte eine frühestmögliche Vielgliedrigkeit die Differenzierung betreiben, auch eine Hauptschule sollte im Angebot der Schularten nicht fehlen. Angela Schneider (Linke Liste/ PDS) sieht mit dem Regierungsentwurf das dreigliedrige Schulsystem zumindest durch die Hintertür nach Sachsen schleichen. Unklar bleibe, wem denn diese Entscheidung über den Bildungsweg des Kindes zufalle. Die Ministerin wich dieser kleinen Falle flink aus. Sie gestand einen „anhaltenden Druck auf die weiterführende Schulform des Gymnasiums“ ein, nicht zuletzt als Ergebnis einer „unehrlichen Propaganda aus dem Westen“. Aber wenn Eltern „ihre Kinder in Schullaufbahnen zwingen wollen, denen die Kinder nicht gerecht werden, dann bleibt als letzter Ausweg nur eine Aufnahmeprüfung“. Doch sollten, so der Wunsch der Ministerin, mit dem Sächsischen Bildungsrat Wege gefunden werden, Kindern diese Prüfungen zu ersparen.

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