Eine Nachricht von „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel, derzeit inhaftiert im Gefängnis Silivri bei Istanbul: „Den Himmel sehe ich nur durch den Stacheldraht auf der Mauer“
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Hier im Gefängnis Silivri bin ich in einer Einzelzelle untergebracht. Das ist sehr verstörend. Ich werde gut behandelt. Aber das Alleinsein ist schon fast eine Art Folter. Außer beim Transport hierher musste ich keine Handschellen tragen. Ich bin bisher nie beleidigend angesprochen worden.
Ich wollte eine Nachricht in das Notizbuch von Şafak Pavey [Abgeordnete der Oppositionspartei CHP; Anm. d. Red.] schreiben, die mich hier besucht. Ich hätte gern auf Deutsch und mit meiner eigenen Hand geschrieben. Aber das hat mir der Beamte gerade verboten.
Schon als ich mich auf den Weg machte, um Şafak hier zu treffen, wurden meine Handflächen auf Botschaften kontrolliert, die darauf geschrieben sein könnten. Ich soll mit niemandem kommunizieren und bin auch in meiner Zelle vereinzelt.
Die Zelle ist vier mal vier Meter groß. Durch das Fenster sehe ich nur eine sechs Meter hohe Mauer. Den Himmel sehe ich nur durch den Stacheldraht auf der Mauer. Aber in jedem Fall sind meine Gesundheit und meine seelische Verfassung gut. Ich hoffe, dass ich Post bekommen kann. Das ist aber noch unklar. Ich würde mich freuen, Briefe zu erhalten. Aber gerade, wenn sie auf Deutsch geschrieben sind, weiß ich nicht, ob man sie mir aushändigen wird. Aber dann lese ich sie spätestens, wenn ich aus dem Gefängnis komme.
Weder meine eigene Situation noch die dieses Landes, das ich trotz allem liebe, werden so bleiben, wie sie sind.
Liebe und Grüße
Deniz
© Welt am Sonntag
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