■ Eine Lösung des Kurdenkonflikts ist weiter entfernt denn je: Ein Armutszeugnis für die EU
Mit der Entführung von PKK-Chef Abdullah Öcalan in Kenia und seiner Überführung in die Türkei unter obskuren Umständen ist die Lösung des Kurdistankonflikts noch unwahrscheinlicher geworden. Kein anderes Gericht der Welt besitzt sowenig Legitimität wie ausgerechnet das türkische Staatssicherheitsgericht, um die Handlungen Öcalans justitiabel zu machen. Ein Gericht, das kurdische, demokratisch gewählte Abgeordnete wie Leyla Zana allein wegen ihrer Ansichten zu jahrelanger Haft verurteilte, kann kaum glaubhaft machen, daß es Öcalan tatsächlich nur wegen seiner Verbrechen aburteilen wird.
Statt dessen stehen die kurdischen Autonomiebestrebungen insgesamt vor Gericht. Die Botschaft ist klar, und sie ist die gleiche wie seit Jahren: Unter dem Anklagepunkt des „Separatismus“ wird keine Lösung gesucht, sondern gerichtet. Die Türkei erneuert ihre alte Position, es gebe kein Kurden-, sondern nur ein Terrorismusproblem.
Unter diesen Umständen ist eine Verhandlungslösung des Kurdistankonflikts überhaupt nicht denkbar. Und schlimmer noch: Einmal mehr wird die PKK in ihrem Alleinvertretungsanspruch für die kurdische Sache bestätigt. Der Staatsfeind Nummer eins kann sich erneut zum Kurden Nummer eins stilisieren – und der sitzt im Gefängnis, mit allen Folgen.
Abhilfe kann, wenn überhaupt, nur Druck von außen schaffen. Doch die Europäische Union will nicht – und inzwischen kann sie auch kaum noch. Jahrelang hat sie der annäherungswilligen Türkei die rote Karte gezeigt und sie in ihrem Assoziiertenstatus schmoren lassen. In den letzten Monaten schließlich hat die EU sich so nachhaltig diskreditiert, daß sie nicht einmal mehr eine Vermittlerrolle wird spielen können. Aus der Sicht der Türkei stellt sich das ungefähr so dar: Während Griechenland – unterstützt von Deutschland – jede weitere Annäherung der Türkei an die EU verhindert, verhandelt die EU gleichzeitig über einen Beitritt Zyperns und läßt obendrein noch Öcalan laufen – um schließlich, nachdem sich die Türkei den PKK-Chef per Husarenstreich selbst geholt hat, mit ernster Miene anzumahnen, er möge doch einen fairen Prozeß bekommen. Eine lächerliche Vorstellung.
Noch im November, als die deutsche Bundesregierung zu feige war, den aufgrund eines deutschen Haftbefehls in Italien festgenommenen Öcalan auch tatsächlich nach Deutschland ausliefern zu lassen, hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder gemeinsam mit seinem italienischen Amtskollegen Massimo D'Alema verkündet, man werde sich um eine europäische Lösung bemühen. Öcalan solle vor ein internationales Gericht gestellt werden. Beide wußten, daß es so ein Gericht nicht gibt. Der Den Haager Gerichtshof spricht kein Strafrecht, ein Ad-hoc-Tribunal der UN wie im Falle Ruandas oder Exjugoslawiens existiert nicht, und der Internationale Strafgerichtshof ist noch nicht gegründet. So war das eine leere Schutzbehauptung, um das Nichtstun zu kaschieren. Tatsächlich haben weder Deutschland noch Italien irgend etwas unternommen. Die Chance, bei der Konfliktlösung eine aktive Rolle zu spielen, wurde vertan.
Zwei Jahre lang hat Öcalan, noch von seinem Hauptquartier in Syrien aus, Friedensinitiative um Friedensinitiative gestartet. Die Antwort der Türkei war eine militärische Invasion im Nordirak nach der anderen, die Antwort der EU war Schweigen. Im Ergebnis sitzt Öcalan genauso im Knast wie nahezu die gesamte Führungsspitze der kurz vor dem Verbot stehenden kurdischen Partei Hadep, die Repression der kurdischen Identität geht unvermindert weiter, die Großstädte der Westtürkei quellen über von kurdischen Flüchtlingen aus den vom Militär zerstörten Dörfern, Ministerpräsident Ecevit profiliert sich als harter Nationalist und Zentralist, das Militär feiert sich als Sieger über Islamisten und PKK, und in Istanbul tanzen die Grauen Wölfe auf der Straße. So braucht sich niemand zu wundern, wenn sich jetzt innerhalb der PKK in der Öcalan-Nachfolge tatsächlich die Hardliner durchsetzen, die den diplomatischen Kurs schon immer als verfehlt ansahen.
Als Guerilla in Kurdistan ist die PKK militärisch besiegt – als Terrororganisation hat sie innerhalb und außerhalb der Türkei noch reichlich Kapazitäten. Diese wird sie nutzen, um ihre Existenz unter Beweis zu stellen und erneut Handlungsdruck zu erzeugen. Die Toten in Berlin von gestern – wenngleich eher einer Fehleinschätzung der israelischen Sicherheitskräfte durch die PKK zu schulden – könnten da nur ein erster Vorgeschmack gewesen sein. Das ist die denkbar schlechteste Perspektive.
Sie kann nur vermieden werden, wenn die EU-Außenpolitik endlich aus ihrer Lethargie erwacht. Der Türkei muß unmißverständlich klargemacht werden, daß eine militärische Lösung wie bisher nicht akzeptabel ist, ja, daß es ohne eine kurdische Autonomie, wie auch immer ausgestaltet, nicht gehen wird. Das allerdings ist ein massiver Eingriff in das kemalistische Selbstverständnis des türkischen Staates – und dazu braucht die EU eine Legitimität, die sie derzeit nicht hat. Ohne konkrete Beitrittsangebote an die Türkei wird sie die auch nicht bekommen. Deutschland ist hier besonders gefordert – als EU-Ratspräsident und als Land, in dem 600.000 Menschen kurdischer Herkunft leben. Bleibt zu hoffen, daß es nicht erst massiver PKK-Gewalt bedarf, um die Bundesregierung von ihrer Vogel-Strauß-Politik abzubringen.
Absurderweise könnte es in diesem Konflikt schlußendlich so gehen wie in den Balkankriegen: Nach dem Versagen der EU könnten die USA gefordert sein. Die haben sich bislang aus der Kurdenfrage herausgehalten, haben die Türkei in ihren EU-Beitrittsbestrebungen unterstützt und in der jüngsten Krise um die geplante Stationierung russischer Raketen auf Zypern mit für eine auch der Türkei genehme Lösung gesorgt. Insofern haben sie die Legitimität, an der es der EU mangelt. Ein Armutszeugnis für die EU – aber vielleicht ein Hoffnungsschimmer für die Kurden. Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen