piwik no script img

Eine Keilerei anstatt Klarstellung

■ Acht Männer von der Oslebshauser Reiherstraße mußten gestern vor Gericht auspacken

Die Reiherstraße in Oslebshausen ist ein besonderes Stück von Bremen. Und Familie S. - insgesamt fünf Brüder zwischen 30 und 40 - ist eine besondere Familie dort. „Da hängen die Pistolen von der Decke“, sucht einer aus der Straße auf dem Flur des Landgerichts dieses Milieu zu veranschaulichen. „Versuchter Totschlag“ stand auf dem Programm: Der Angeklagte Peter S. soll versucht haben, mit einem VW-Bulli drei Männer zu überfahren.

Im Reiherviertel geht man davon aus, daß die S. auch mit Drogen zu tun haben. Und als im vergangenen Jahr Detlev Sch. an Drogenkonsum starb, da war für den Kreis von Kumpels, die sich regelmäßig in der Kneipe „Tölle“ treffen und seit Jahren immer wieder Krach mit den S.-Brüdern haben, klar, daß die daran Schuld sind. Der Tod sollte der Familie S. „heimgezahlt“ werden, hat einer der Tölle-Freunde vor der

Kriminalpolizei gesagt: „Wir wollten ihn rächen, aber nicht töten.“ Aber davon wollten sie als Zeugen vor Gericht nichts mehr wissen. Für sie begann die Geschichte aus heiterem Himmel: Herrmann L. wollte von einem „Strandfest“ bei „Tölle“, Oslebshauser Heerstraße, nach Hause gehen, und da trat ihm der Thomas S. mit Hund in den Weg und schlug ihn ins Gesicht. Einfach so. Herrmann L. ging nach Hause, alarmierte seine Kumpel bei Tölle, und die zogen los und wollten „die Sache klarstellen“. Nachfrage des Richters, was 'klarstellen‘ bedeute. „Darüber reden“, meinte einer der Beteiligten, „fragen, was das soll“. Den

fünf Männern, wie die Angeklagten jeder an die zwei Zentner schwer, trafen auf den Thomas S. in der Reiherstraße. „Wartet mal eben“, habe der gesagt, erinnert sich einer der Tölle-Freunde, und sei ins Haus gegangen, um seine Brüder Uwe und Peter zu holen. Und zwei Rottweiler.

Und dann entspann sich eine wüste Keilerei, bei der die Brüder S. klar obsiegten. Herrmann L. mußte per Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden, und einer der Tölle-Freunde berichtete vor Gericht, er sei von Hunden zu Boden gerissen worden und habe sich im letzten Moment vor einem auf ihn zufahrenden VW-Bulli zur Seite rollen können.

Diese Aussage unterstützt zwar die Anklage, die Peter S., einem der Brüder, vorwirft, als Fahrer des Bulli versucht zu haben, drei Männer zu überfahren. Allerdings hatte dieser Zeuge in seiner Aussage vor der Kripo von einer solchen Begebenheit nichts zu berichten gewußt. Der Bulli der Familie, erklärte Uwe S. zudem, ist jede Nacht um diese Zeit - zwischen Mitternacht und fünf Uhr - unterwegs für eine bekannte Bremer Tageszeitung.

Drei andere Tölle-Freunde wurden am Ort der Schlägerei gleich in die Flucht geschlagen. Sie seien auch von dem Bulli „gejagt“ worden, der eine habe sich ins Gebüsch gerettet, ein anderer habe sich über den Zaun geflüchtet, berichteten sie vor Gericht. „Da ist überhaupt kein Telefonkasten“, erklärte der Verteidiger des Bruders Peter S. dem Gericht.

Den inzwischen angeklagten Peter S. hat aber nur einer der Tölle-Freunde als Bulli-Fahrer identifiziert. Ausgerechnet der bekam einen Tag vor der Verhandlung Besuch. Sascha S., der Sohn des Angeklagten, habe 200 Mark auf den Tisch gelegt und verlangt, daß er als Zeuge erklären solle, er habe seinen Vater nicht erkannt. Darauf, so der Zeuge weiter, sei er aber nicht eingegangen und habe den Vorfall bei der Polizei gemeldet.

Von den Brüdern des Angeklagten hat das Gericht wenig Aufklärendes zu erwarten: Uwe S. verweigerte die Aussage, weil er selbst ein Verfahren in dieser Sache zu erwarten hat, Thomas S. sitzt wegen einer anderen Sache inzwischen für einige Jahre in der Strafanstalt Lingen. M.B./K.W

Wird am 21.6. fortgesetzt, Landgericht Saal 218

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen