piwik no script img

Eine Begegnung mit Susan BernofskyDie Übersetzerin

In Deutschland wird gerade der 100. Geburtstag von Thomas Manns „Zauberberg“ begangen. In New York sitzt Susan Bernofsky noch an einer Neuübersetzung.

Susan Bernofsky in ihrem Arbeitszimmer in Manhattan Foto: Simone Schmollack

Gerade hängt sie wieder am Magic Mountain. Magic Mountain, das ist weder eine Achterbahn noch eine Kletterhalle in Berlin mit demselben Namen. Magic Mountain, das ist die englische Übersetzung von Thomas Manns „Zauberberg“.

Susan Bernofsky überträgt den 1924 erschienenen Bildungsroman des Literaturnobelpreisträgers ins Englische. Bernofsky ist Literaturübersetzerin und Professorin für Kreatives Schreiben an der Columbia University in New York City und leitet dort das Programm für Literarisches Übersetzen.

Dieser „Magic Mountain“ beschäftigt sie schon seit einigen Jahren. In Deutschland wird gerade der 100. Geburtstag des 1924 erschienenen Jahrhundert­romans gefeiert, 2026 soll er in den USA in neuer Übersetzung bei W. W. Norton & Company erscheinen, einem konzernunabhängigen US-amerikanischen Verlagshaus in New York City.

Bernofsky hat bislang über 950 Seiten übersetzt, es fehlen noch rund 120. Sie sagt: „Die Passagen zur zwiespältigen Figur Mynheer Peeperkorn waren ein Vergnügen zu übersetzen, Thomas Mann beschreibt seinen Protagonisten mit breitem und etwas grausamen Humor.“ Aber die Passage flößt ihr auch Schrecken ein, da sie der „Peeperkorn stellenweise an Trump erinnert: der gefährliche Clown, der seine Zuhörer in den Bann zieht, während er völlig zusammenhangslos spricht.“

Das Werk zehrt an ihr

In Bernofskys Arbeitszimmer in ihrer Wohnung in Manhattan, Upper Westside, hinter ihrem Schreibtisch hängt eine Lithografie: Eine historische Straßenbahn fährt als einziges Fahrzeug auf der Straße, die durch ein Stahlgeflecht führt, die typische U-Bahn-Konstruktion in New York, wenn diese überirdisch fährt.

Die Schwarz-Weiß-Zeichnung hängt dort schon lange, aber man könnte meinen, sie entspricht aktuell dem Gemütszustand der Zauberberg-Übersetzerin: allein unter einem gewaltigen Gerüst, das einerseits schützt und andererseits bedrohlich wirkt. Jedenfalls sagt sie: „Das ist ein gewaltiges Werk, das auch an mir zehrt.“

Es ist das bisher größte und herausforderndste Buch, das sie ins Englische überträgt. Aber nicht unbedingt das, mit dem ihre größte Literaturliebe verbunden ist. Seit 1990 arbeitet sie als Übersetzerin deutschsprachiger Literatur und hat seitdem Franz Kafka und Hermann Hesse für den amerikanischen Markt übersetzt und zeitgenössische Au­to­r:in­nen wie die Ostberlinerin Uljana Wolf und Yoko Tawada, eine Japanerin, die in Berlin lebt und Werke auf Deutsch und Japanisch schreibt und im englischen Sprachraum ungleich bekannter ist als in Deutschland.

Robert Walsers verspielte Heiterkeit

In Europa und den USA berühmt wurde Bernofsky mit ihren Übersetzungen des Schweizer Autors Robert Walser. „Walser war ein begnadeter Autor, ich schätze seine verspielte Heiterkeit, seine tänzelnden, unbefangenen Sätze, mit denen er seine Alltagsbeobachtungen wiedergibt“, sagt Bernofsky.

Erst übersetzte sie seine Kurzprosa, später folgten Romane. Für die Übersetzung von Wal­sers Roman „Maskerade“ bekam Susan Bernofsky ein Stipendium, um im Robert-Walser-Archiv in der Schweiz zu arbeiten. 1987/88 lebte sie in Zürich, lief jeden Tag zu Fuß entlang am Zürichsee ins Archiv und wieder zurück. In ihren Züricher Monaten war Bernofsky verwoben mit ihrem Lieblingsautor, sie las und sammelte alles, was sie zu ihm fand.

Zu Beginn des nächsten Jahres erscheint bei Suhrkamp Bernofskys Walser-Biografie „Hellseher im Kleinen“, die unbekannte Texte, Briefe und neue biografische Details enthält. Der erste Walser-Roman, den Bernofsky übersetzte, war „Der Räuber“, 1925 geschrieben und zu Walsers Lebzeiten nie veröffentlicht.

Susan Bernofsky begann mit 14 in der Schule Deutsch zu lernen, ihr Vater hatte als Wissenschaftler ebenfalls Deutsch gesprochen. Während ihres Grundstudiums in Baltimore besuchte sie viele Deutschkurse, bis ihr Professor sie eines Tages in sein Büro holte und fragte, warum sie Deutsch nicht im Hauptfach studiere. Dann ging alles sehr schnell: Austauschprogramm für Studierende in Münster, Germanistikstudium, Leiterin von Deutschkursen in den USA, Dozentin für Deutsch als Fremdsprache.

Irgendwann sagte ein Lehrer zu ihr: Versuch es doch mal mit Literaturübersetzungen. Das war ihre Bekanntschaft mit Walser. „Erst habe ich Walser aus Spaß übersetzt“, sagt sie: „Doch das wurde schnell mehr.“ Das Stipendium in der Schweiz, Brecht-Tage in Augsburg, ein zweijähriger Aufenthalt als Fremdsprachenlektorin an der Uni Stuttgart, Übersetzungen deutscher Autoren.

Jenny Erpenbecks „Geschichte vom alten Kind“

Dann stieß sie auf Jenny Erpenbeck. Das Goethe-Institut hatte Bernofsky und andere Li­te­ra­tur­über­set­ze­r:in­nen 2001 nach Deutschland eingeladen, zehn Tage besuchten sie bundesweit Verlage, sprachen mit Lek­to­r:in­nen und Journalist:innen. Von einem Büchertisch im Eichborn Verlag durften sich die Über­set­ze­r:in­nen Bücher mitnehmen, Bernofsky griff nach Erpenbecks „Geschichte vom alten Kind“: Ein Mädchen wird mit einem leeren Eimer nachts auf der Straße gefunden, es kann kaum sprechen, weiß nicht, wie es heißt, woher es kommt, nichts zur Familie, zu Verwandten. Das Mädchen wird in ein Kinderheim gesteckt und in der Schule von anderen gehänselt.

Bernofsky sagt: „Das Buch hat mich fasziniert, ich habe allen davon erzählt.“ Ein Jahr später übersetzte sie es für den amerikanischen Markt.

Die Übersetzerin und die Schriftstellerin lernten sich kennen, Bernofsky übersetzte weitere Werke der Deutschen, insgesamt fünf Bücher. Erst das dritte, „Heimsuchung“, 2008 in Deutschland erschienen, fand bei den Ame­ri­ka­ne­r:in­nen Anklang. „Heimsuchung“ spiegelt das 20. Jahrhundert: 15 Lebensläufe, die in den 1920er Jahren beginnen, über die Weimarer Republik, die Nazi-Zeit, den Weltkrieg, die DDR bis in die Nachwendezeit reichen. Liebe, Drama, Glück, Verlust – Stoff, den Ame­ri­ka­ne­r:in­nen lieben.

Die beiden Frauen freundeten sich an, wenn Erpenbeck in New York war, wohnte sie bei Bernofsky. Wenn die Übersetzerin in Deutschland war, trafen sie sich. Der Roman „Gehen, ging, gegangen“ war der letzte Erpenbeck-Stoff, den Bernofsky ins Englische übertrug.

Roman über Flüchtlingssommer 2015

„Es fiel mir sehr schwer, das zu übersetzen“, sagt sie. Der Roman, der um den Flüchtlingssommer 2015 kreist, erschien in den USA 2017, als dort bereits die Black-Lives-Matter-Bewegung groß war. Es wurde viel über Rassismus, Diskriminierung, Vorurteile von Weißen gegenüber Schwarzen und Geflüchteten gesprochen.

„Das Buch kam immerhin in Amerika extrem gut an“, sagt Bernofsky. Nahezu alle Zeitungen und Zeitschriften rezensierten es, Bernofsky gewann damit 2018 den renommierten Lois Roth Award für Literatur­über­setzungen und war Finalistin beim Dayton-Literatur-Friedenspreis. Mittlerweile sind in den USA über 40.000 Exemplare verkauft, kontinuierlich 2.000 Exemplare jedes Jahr – für den amerikanischen Markt sensationell. Auch auf dem britischen Markt läuft der Roman mit bislang 25.000 verkauften Büchern.

„Kairos“, das Buch, für das Jenny Erpenbeck dieses Jahr den Booker Prize bekam, hat Bernofsky allerdings nicht übersetzt, den hat der deutsch-britische Lyriker und Übersetzer Michael Hofmann übertragen. Ärgert sie das? „Nein“, sagt sie: „Ich habe zu viel zu tun.“ In den vergangenen Jahren übersetzte Susan Bernofsky in jeder freien Minute, ihr Fulltime-Job als Leiterin des Programms Literarisches Übersetzen ist aufreibend.

Mit den Jahren, die sie schon in die Übertragung des „Zauberbergs“ gesteckt hat, ist sie fast mit dem „Magic Mountain“ verwachsen. Wenn der geschafft ist, will sie erst einmal „Urlaub machen vom Übersetzen“. Aber einen neuen Vertrag für Kafka-Erzählungen hat sie schon in der Tasche.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Den Hype um den Zahuberberg habe ich nie verstanden. Ich habe ihn vor sehr vielen Jahren gelesen und weiß kaum noch, was darin passierte. Hübsch zu lesen, aber langweilig. Maxim Biller hat ihn unlängst in einem Artikel als uninteressant bezeichnet, vergleichen etwa zu Kafkas Prozess. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die unausstehlichsten Werke von den Kritikern ganz besonders gelobt werden.