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■ Der vergessene BärEin unmögliches Image

Daß Werbung nicht immer nur lügen muß, um verkaufen zu können, beweist eine mittlerweile bekannte italienische Modefirma. Trotz provokativer Bilder von überfüllten Flüchtlingsschiffen oder tätowierten HIV-Positiven klingelt die Kasse. Verglichen mit solcherart Reizen, wirken die Berliner Bemühungen, sich ein neues Image zu verpassen und die Geldströme an die Spree umzuleiten, hausbacken und verlogen. Die Politik bestimmte, wie der Ideal- Berliner auszusehen habe: möglichst widerspruchsfrei, pflegeleicht und kuschelig. Kulmination des Selbstbetrugs war jener grinsend- zufrieden dreinblickende Bär, der jüngst als Olympia-Maskottchen beerdigt wurde. Doch gerade die Niederlage in Monte Carlo setzte der Überheblichkeit des Berufsberliners ein Ende. Denn trotz rührseliger Reminiszenzen an Mauerzeiten will die Welt jenseits von Wannsee und Marzahn davon nichts mehr hören und strafte gnadenlos ab. Gerade nicht die hochfinanzierte Kultur, teure Musicals oder sonstige für den Reisebusunternehmer zusammengezimmerte Programme geben der Hauptstadt ihr unverwechselbares Bild. Womit Berlin wuchern kann, sind nicht Bauten – von denen hat München weit mehr. Es ist der Zustand, der stets den Reiz ausmachte. Auch zu Mauerzeiten kamen die Besucher nicht wegen des Charlottenburger Schlosses, sondern wegen des kribbeligen Gefühls, das der Blick „nach drüben“ auslöste. Nach wie vor gibt es in Berlin viel zu entdecken, weniger Sehenswürdigkeiten als vielmehr ein soziales und politisches Konglomerat. Gerade mit diesen Widersprüchen und Gegensätzen ließe sich sehr wohl auch Kasse machen. Klinisch tote Städte hat dieses Land schon genug. Und Touristen reagieren empfindlich auf eine Mogelpackung. Severin Weiland

Siehe auch Bericht auf Seite 36

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