: Ein trauriger Indianer
„Talking blues“ im industriellen Reservat: Der „native american“ und Staatsfeind John Trudell gastiert heute im Lola ■ Von Jörg Feyer
Man kann Jackson Browne vorwerfen, dass sein politisch motiviertes Songwriting der 80er Jahre auf Alben wie Lives In The Balance und World In Motion bestenfalls naive Resultate hervorbrachte. Man kann der Ikone des Westcoast-Songwriting indes nicht vorwerfen, dass er als Produzent und Türöffner bei Plattenfirmen und Managements nicht selbstlos Talente förderte, wenn sie des Weges kamen – sogar und gerade solche, die auf diesem Terrain eine bessere Figur mach(t)en als er selbst. Neben seinem Schulfreund Greg Copeland, der schon 1982 auf dem Album Revenge Will Come die USA auf dem „Wrong Highway“ (Songtitel) bissig skizziert hatte, konnte sich Browne vor allem auch um John Trudell verdient machen.
Als sich die beiden 1979 in New Mexico erstmals begegneten, fing der Sohn eines Santee und einer früh verstorbenen Mutter mit mexikanischem Stammbaum gerade an, unsäglichen Schmerz in Poesie zu verwandeln. Wenige Monate zuvor waren seine Frau Tina, deren Mutter sowie die drei Kinder im eigenen Haus im Shoshone-Paiute- Reservat verbrannt. „Unfall“ lautete die offizielle Sprachregelung; Trudell, der zu diesem Zeitpunkt längst eine pralle FBI-Akte füllte, sprach offen von „Mord“.
Als Vorsitzender des American Indian Movement war er ab 1973 immer stärker in die Rolle eines public enemy gedrängt worden. Während seiner Militärzeit in den Sechzigern hatte Trudell, des sicheren Geldes wegen, seine native american roots noch gekappt. Doch danach zog es ihn – desillusioniert – umso machtvoller wieder dorthin zurück. Zum Kristallisationspunkt entwickelte sich dabei die Besetzung der Gefängnisinsel Alcatraz im Jahre 1969 – vor dem Hintergrund, dass sich nicht nur der Indianer Trudell als „Gefangener Amerikas“ empfand. Eine ebenso sinnfällige wie symbolträchtige Aktion, die das Repressionspotential der US-Regierung provozieren musste. Trudell: „Sie erklärten uns den Krieg. Sie jagten uns. Sie töteten, verhafteten und zerstörten mit allen Mitteln, die sie für nötig hielten.“
Nach der persönlichen Tragödie war der heute 53-jährige Mann aus Omaha/Nebraska des bloßen Aktivistendaseins verständlicherweise müde. So stürzte er sich erst in die Dichtung, in den Achtzigern dann auch in den Rock 'n' Roll. An seiner Seite war nun neben Browne auch Jesse Ed Davis zu finden, ein Kiowa aus Oklahoma, der seine Gitarre schon für Bob Dylan und John Lennon ausgepackt und einst auch das Solo auf Jackson Brownes frühem „Doctor My Eyes“ gespielt hatte. Die Kreise schlossen sich. Und Dylan nannte das erste gemeinsame Trudell/Davis-Oeuvre AKA Graffiti Man schlicht „das beste Album, das 1986 erschienen ist“.
Trudell ist der Unterschied zwischen (freier) Poesie und (formgebundenen) Song-Texten weiterhin wichtig. Doch nicht alles auf seinem neuen, wiederum von Browne in dessen Santa-Monica-Studio produzierten Album Blue Indians ist metaphernpraller stream of consciousness wie der talking blues des Titelstücks. In einem hübschen dialektischen Kniff und Rückgriff auf die (eigene) Geschichte der native americans zeichnet Trudell die technische Moderne darin als „industrielles Reservat“, welches wissend Mächtige von unwissend Ohnmächtigen trennt – und entlarvt damit auch das Gerede von der „Globalisierung“ als kapitalistischen Euphemismus.
Den pointierten Slide-Gitarren-Schüben von Mark Shark zum Trotz, der heute die Rolle des 1988 früh verstorbenen Davis einnimmt, kommt der schlagzeuglosen Musik nicht nur hier eher eine illustrierende Funktion zu. „Johnny And Joe“ hingegen hat einen klassischen „Loser“-Plot, der den Spoken- Word-Verfechter Trudell sogar ansatzweise zum Singen animiert. Das besorgt sonst sein Stammesbruder Quiltman, dessen traditioneller Singsang allerdings zu oft lediglich ein blasses Ornament bleibt. Nicht so allerdings im abschließenden „Your Were“, ein spätes Requiem für seine Frau, der er letzte Worte hinterherschickt: „Pretty lonely left here...“ Was blieb John Trudell übrig, als für immer ein blue indian zu werden?
heute, 21 Uhr, Lola Kulturzent-rum, Lohbrügger Landstraße 8
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