Bangladesch: Ein schwieriger Neuanfang
In Bangladesch hoffen die Menschen ein Jahr nach dem Sturz der Regierung von Sheikh Hasina weiter auf den versprochenen und überfälligen Wandel.

Trotzdem wird jetzt der Jahrestag gefeiert. Ein Programm zur demokratischen Erneuerung ist angekündigt, und der 5. August wurde zum Feiertag erklärt. Er erinnert an die wochenlangen landesweiten Proteste gegen das autoritäre Regime, bei denen etwa 1.400 Menschen starben. Konzerte, Filme und Gedenkfeiern prägen den Tag. Doch gibt es Warnungen, Anhänger des alten Regimes könnten provozieren.
„Anfangs waren die Menschen überwältigt vor Freude, dass die autokratische Regierung gestürzt worden war“, sagt die renommierte Ökonomin Fahmida Khatun der taz. „Aber im Laufe dieses Jahres haben sich die Erwartungen und Gefühle gewandelt.“ Bangladesch steht an einem Scheideweg, auch wenn schon am 8. August 2024 eine Übergangsregierung eingesetzt wurde.
Die Bevölkerung hoffte auf mehr als einen Personalwechsel: „Das vorherige Regime hat das Land in einen Zustand geführt, in dem die Rechtsstaatlichkeit praktisch zusammengebrochen war“, sagt Khatun.
Nur eine kleine Elite hatte von Hasinas Politik profitiert
Die viel gepriesene wirtschaftliche Entwicklung entpuppte sich als Illusion. „Der Großteil des wirtschaftlichen Fortschritts kam nur einer kleinen Elite zugute – Personen mit politischen Verbindungen oder Macht,“ so Khatun.
Trotz des Wirtschaftswachstums wuchs die soziale Ungleichheit. Die Hoffnungen richteten sich auf die Übergangsregierung unter Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus, dem Papst der Mikrokredite.
Mehrere Reformkommissionen wurden eingesetzt. „Abgesehen vom Finanzsektor haben wir aber kaum konkrete Ergebnisse“, sagt Khatun. Ein Erfolg ist die Ausarbeitung des Bankenabwicklungsgesetzes. Es soll den angeschlagenen Finanzsektor stabilisieren, in dem politisch vernetzte Kreditnehmer jahrelang Milliardenverluste verursachten.
„Problematische Banken sollen zusammengelegt und die Kapitalflucht gestoppt werden. Einige Konten von Bangladeschern wurden bereits in Großbritannien eingefroren“, so Khatun. Unter Hasina hatten korrupte Eliten Geld nach Dubai, Singapur oder in die USA abgezweigt.
„Es gab 16 Jahre der Plünderung“, die nicht allein durch eine Übergangsregierung behoben werden können. Dies werde Jahrzehnte dauern, doch dränge die Zeit. Khatun fordert schnelle Neuwahlen.
US-Zölle bringen neues Leid
Während die Übergangsregierung nur begrenzte Befugnisse hat, stagniert jetzt die Wirtschaft. Das stark vom Textilexport abhängige Land leidet nun unter den neuen US-Zöllen. Zugleich bereitet es sich auf den Austritt aus der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder vor. Die EU gewährt noch bis 2029 vergünstigten Marktzugang im Rahmen des „Everything but Arms“-Abkommens.
Khatun sieht die wirtschaftliche Erholung eng mit politischer Stabilität verbunden. „Wahlen sind notwendig“, sagt sie, damit das Land eine klare Richtung einschlagen könne. Doch sie warnt: „Wahlen allein garantieren keinen Wandel. In der Vergangenheit wechselte die Macht, aber die schlechten Praktiken blieben.“
Die Institutionen – von der Wahlkommission bis zur Justiz – müssten gestärkt werden, um langfristige Veränderungen zu ermöglichen. Andernfalls drohe ein Rückfall.
Strukturen müssen sich ändern
Historisch wechselten sich in Bangladesch zwei Familienclans an der Macht ab: die Awami Liga unter Hasinas Familie und die BNP unter der Familie ihrer Rivalin Khaleda Zia. „Wenn sich diese Strukturen nicht ändern, bringt ein Regierungswechsel wenig.“
Alle Aktivitäten der Awami Liga wurden inzwischen verboten und Haftbefehl gegen Hasina erlassen. Sie lebt jedoch unangetastet in Indien im Exil. Politische Alternativen bleiben rar.
Auch die Menschenrechtsverletzungen dauern an. „Darunter außergerichtliche Verhaftungen und Massenanklagen ohne belastbare Beweise sowie mangelnder Schutz von Journalist:innen“, sagt Jasmin Lorch vom Bonner Thinktank IDOS der taz.
Sie warnt auch vor geopolitischen Verschiebungen, die Bangladeschs Demokratisierung erschweren könnten. Zwar setze die Übergangsregierung auf außenpolitische Balance zwischen Indien und China, doch die derzeit „engeren Beziehungen zu China könnten den Einfluss eines autoritären Modells stärken“.
Doch auch Indien, traditionell enger Partner und Hasinas Exilland, habe demokratische Standards nicht gefördert. Hoffnung setzt Lorch in die EU: „Eine Vertiefung der Beziehungen könnte helfen, sofern Brüssel es sich zum Ziel macht, demokratische Reformen in Bangladesch zu unterstützen.“
Dringend demokratische Legitimation benötigt
Sie weist auf ein strukturelles Problem hin: „Die Übergangsregierung ist nicht gewählt, ebenso wenig die Reformkommissionen. Deshalb müssen ihre Reformen später noch von einem gewählten Parlament oder Verfassungskonvent verabschiedet werden.“ Zwar fordere die oppositionelle BNP Wahlen, doch auch diese Partei habe in der Vergangenheit oft autoritär regiert.
Die Sorge bleibt, dass lediglich ein neuer Machtzirkel entstehen könnte – mit denselben Mustern aus Korruption und Klientelpolitik. Während Hasinas Regierungszeit kam es zu weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen, darunter Massenverhaftungen und außergerichtlichen Tötungen politischer Gegner.
Unter Druck kündigte Übergangschef Yunus inzwischen Wahlen für Februar bis April 2026 an. Der inzwischen 85-Jährige erklärte, selbst nicht zu kandidieren. Es könnten die ersten freien und fairen Wahlen seit zwei Jahrzehnten sein.
Selbstzensur der Medien
Zunächst weckte die Neugründung der Bürgerpartei Nagorik Dal (NCP) Hoffnung. Sie wurde von Studierenden ins Leben gerufen, die die Proteste im Juli 2024 angeführt hatten. Doch breite Unterstützung blieb aus.
„Viele sehen die NCP inzwischen als verlängerten Arm der Übergangsregierung“, sagt Khatun. Korruptionsvorwürfe und fehlende überzeugende Konzepte schadeten ihrer Glaubwürdigkeit.
Auch die Pressefreiheit bleibt prekär: „Nach wie vor besteht Selbstzensur aus Angst vor Mobgewalt“, sagt der Journalist Zia Choudhary der taz. Besonders bei sensiblen Themen wie Religion sei Berichterstattung eingeschränkt.
Zwar gebe es keinen Druck mehr durch die Regierung wie früher, aber: „Das Gefühl der Bedrohung bleibt.“ Die Übergangsregierung konnte die Lage bisher kaum entschärfen.
Als positive Entwicklung bleibt der weibliche Widerstand vor einem Jahr. Frauen führten Märsche an, konfrontierten Polizei und Militär. Ihr Mut prägte das Bild der Revolution, sagt Umama Fatema von der Bewegung Students Against Discrimination. Doch heute fühlten sich viele marginalisiert. Sie kämpfen weiter dafür, sichtbar und beteiligt zu bleiben.
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