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„Ein offensichtlich kranker Mann“

Der Gesundheitszustand des RAF-Gefangenen Bernd Rössner wird geprüft und geprüft und geprüft / Für seine wenigen BesucherInnen liegt die Haftunfähigkeit des in Straubing Inhaftierten seit Jahren auf der Hand  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Der Münchner Studentenpfarrer Hans Löhr berichtete von einer „schockierenden Begegnung, weil vor mir ein offensichtlich sehr kranker Mann stand“. Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Antje Vollmer resümierte: „Wenn ich etwas davon verstehe und meinen Augen trauen kann (die Blässe, die Unruhe), dann ist er haftunfähig.“ Sein Rechtsanwalt Peter Tode ist überzeugt, „die Symptome liegen auch für den Laien klar zutage“. Und für den RAF-Gefangenen Rolf Heißler, der wie er im bayerischen Straubing inhaftiert ist, „bedarf es keiner 'medizinischen‘ Feststellung mehr, denn die Haftunfähigkeit ist seit Jahren für jeden zu sehen, der sehen will.“ - Wer auch immer Bernd Rössner in den vergangenen Jahren im Knast zu Gesicht bekam, nahm denselben Eindruck mit: Über zehn Jahre Einzelhaft haben bei dem Gefangenen, der im Frühjahr 1975 mit fünf RAF-Genossen die bundesdeutsche Botschaft in Stockholm überfallen hatte, tiefe, vielleicht irreversible Spuren hinterlassen. Am gegenwärtigen Hungerstreik, mit dem auch seine sofortige Freilassung erreicht werden soll, nimmt er nicht mehr teil.

Bernd Rössner leidet unter Konzentrationsschwierigkeiten und Erschöpfungszuständen, Zeitungen kann er kaum oder nur in kleinen Ausschnitten lesen, ein kontinuierliches Gespräch, berichtet Löhr, komme nur mühsam zustande. Der Pfarrer startete im vergangenen Sommer gemeinsam mit einer Gruppe Münchner ESG-Studenten eine Initiative zur Freilassung Rössners. Bis heute ohne greifbaren Erfolg. Immerhin rang sich die Münchner Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner (CSU) als Reaktion auf Presseberichte über den besorgniserregenden Zustand Rössners und nach einem Gespräch mit Löhr im September 1988 zu der Ankündigung durch, den in der Justizvollzugsanstalt Straubing isolierten Gefangenen „umfassend ärztlich untersuchen“ zu lassen.

Zweimal, sagt Alexander Prechtel, Sprecher des für die RAF -Gefangenen letztlich zuständigen Generalbundesanwalts Rebmann, habe man im vergangenen Jahr Berichte aus dem Straubinger Knast über den Gesundheitszustand Rössners erhalten. „Zu keinem Zeitpunkt“ jedoch sei die Haftunfähigkeit des Gefangenen mitgeteilt worden. „Nicht jeder Schaden“, fügt Prechtel hinzu, „ist für die Frage haftfähig oder nicht haftfähig entscheidend.“ Im Januar schließlich wurde Rössner auf Veranlassung der bayerischen Justizministerin für zwei Tage nach München-Stadelheim verfrachtet und in der Universitätsklinik medizinisch und psychiatrisch untersucht. Ob die Fachleute zu dem gleichen Ergebnis kamen wie seit Jahren Rössners wenige BesucherInnen durch den schlichten Augenschein, weiß bis heute angeblich niemand. Das Ergebnis-Gutachten der Uni München liege noch nicht vor, erklärte Ministeriumssprecher Hans-Peter Huber am Montag gegenüber der taz. Außerdem seien die Untersuchungen auch jetzt „noch nicht abgeschlossen“. Wann ein abschließendes Ergebnis zu erwarten ist, kann oder will Huber nicht sagen. Auch nicht, ob man auf die Hungerstreik -Forderung nach Freilassung Rössners zu reagieren gedenke.

Hans Löhr, zu dem Rössner den Kontakt überraschend fast ein halbes Jahr unterbrochen hatte, ist nach der Wiederaufnahme seiner Besuche in Straubing am vergangenen Donnerstag gedämpft optimistisch. Die Chancen für eine vorzeitige Haftentlassung des zu zweimal lebenslänglich Verurteilten seien gewachsen, glaubt Löhr. Seit die Gefangenen im aktuellen Hungerstreik Rössners Freilassung fordern, bestehe auch er selbst nicht mehr wie zuvor auf „der politischen Lösung für alle oder keinen“, erklärte Löhr. Und für Rechtsanwalt Tode ist heute schon klar: „Wenn bei den Untersuchungen etwas anderes herauskommt als 'haftunfähig‘, dann war das Ganze nur ein Trick zur Beruhigung der Öffentlichkeit.“

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