zwischen den rillen: Ein neuer Morgen: Suedes neues Album
Jugend übt wieder
Seit gut zehn Jahren wird die Musikwelt von der Sorge geplagt, dass niemand mehr eine Antwort auf die dringlichsten Fragen weiß. Wer landet wo und wann und vor allem mit welchen Mitteln den nächsten Hit? Waren es zuvor noch gut vorbereitete Strategien, mit denen sich Popkarrieren auf dem Markt ebenso wie im Diskurs durchsetzen konnten, so galt zum Beginn der Neunziger: alles Acid. Die Techno-, Club- und DJ-Kultur scherte sich wenig um Distinktion, Outfits und innere Größe, sie schaute mehr darauf, ob etwas auf dem Dancefloor abging oder nicht. Solange 60.000 Menschen miteinander feiern konnten, war die Welt schon in Ordnung.
Natürlich hat diese Absage an Poptugenden wie Differenz und Divergenz viele Bands gekränkt, hat sie kalt und zynisch gemacht. Wer wollte noch den Empfindungen, Grübeleien und Schmerzen eines Sängers zuhören, der seine Gedanken zu zarten Gitarrenklängen vortrug – es gab doch die „Heilsbotschaft des geraden Beats“, wie Westbam es nannte.
Brett Anderson hätte ihm da sofort widersprochen. Immerhin ist der Sänger von Suede seit der Bandgründung 1993 auf der anderen Seite der Befindlichkeitsskala positioniert: Auf drei, vier Akkorde gestützt konnte Anderson an der Verhärtung der Lebensverhältnisse leiden, konnte sich der Unwirtlichkeit der Städte verweigern und Fleischfresser hassen. Dazu stand er mit üppig umkragten Polyesterhemden auf der Bühne, warf sich seine schwarz gefärbte Haartolle aus dem Gesicht und war überhaupt der einzig wahre Suburbpoet, ein Bowie in Lumpen. Schwul soll er auch in den Anfangstagen gewesen sein, mindestens bi, und seine Statements in Interviews hatten den Charakter von Aphorismen – Bekenntisse eines jungen Proletariers, der seine Portion Glam unten an der Basis aufgesogen hatte. Jeder Songtext las sich wie eine ungeheure Anmaßung, die aber doch stets von Herzen kam.
Ach, die Lehrjahre des Gefühls! Warum Anderson mit seiner Attitüde im Quadrat nicht zum neuen Morrissey wurde, bleibt bis heute ein Rätsel. Vielleicht lag es daran, dass 1994 beim Return of Britpop, als Reaktion auf die Massenmobilisierung im Namen von Techno, ganz UK lieber Blur oder am Ende Oasis hinterherrannte. Schließlich zeichnete sich die neue Gitarrenfront durch britische Traditionen wie Biertrinken und Kumpelhaftigkeit aus, deren Eindeutigkeit Anderson völlig fremd war. Jedenfalls fielen die Hits bei Suede immer ein wenig kleiner aus als bei den Kollegen mit ihren Schlachtenbummler-Hymnen.
In dieser Gemengelage hätte das sechste Suede-Album „A New Morning“ durchaus mittelmäßig werden können. Ist es aber nicht. Zwar hört man bei Andersons Gesang nur selten noch die überkandidelte Blasiertheit, mit der er sonst selbst four letter words wie ein hochartifizielles Eigenprodukt im Gaumen schnalzen ließ. Und auch der Sound, das Keuchen und Pfeifen, die im Pomp verpulverten Orchesterarrangements und die kifferigen Elektronikstaffetten des Vorgängers „Head Music“ haben eher schlichten Skiffle-Gitarren und Mitsumm-Melodien weichen müssen. Doch diese Entschlackung ist nicht Ausdruck einer Ratlosigkeit angesichts der undurchsichtigen Situation auf dem Popmarkt. Tatsächlich haben Suede den Weg gefunden, der ihnen zumindest eine Titelstory im NME lang noch einmal Aufmerksamkeit sichert: zurück zum formschönen Song, den jeder klampfen kann. Jugend übt wieder.
Dass dies nur die halbe Wahrheit ist, weiß auch Anderson. Sein naturbelassenes Liedgut klingt merkwürdig unzeitgemäß, wenn man bedenkt, dass der aktuelle Top-Five-Zug gerade erst in Richtung New Wave, Netzstrumpfhosen und gesampelten Bastardpop gestartet ist. Wirklich falsch liegt er deshalb allerdings nicht. Auch der smarte Sound für die schüchternen Jungs und Mädchen von nebenan war ein Produkt der Achtzigerjahre, bewusst auf Abgrenzung bedacht: Unschuld ist cool, siehe Aztec Camera, Everything but the Girl oder die frühen Housemartins – und sind wir nicht alle ein bisschen C 86? All diese Referenzen werden bei Suede nicht durch die Zitatmaschine gedreht, sie geben nur den Rahmen ab, das Zeitloch, durch das man auf den lauteren Pop der Eighties blicken kann.
Entsprechend selten lehnt sich Anderson als Sänger aus dem Fenster, bleibt bei einem mannschaftsdienlichen Bariton, ohne die exaltierten Kiekser und Knödeleien seines Neunzigerjahre-Superegos. Dazu passen Stücke wie „Lonely Girls“, in denen Mädchen mit hübschen Namen ihrem Tagwerk nachgehen, immer auf der Suche nach der wahren Liebe. Falls bei so viel Bescheidenheit doch noch irgendeine Handy-, Wellness- oder Haarshampoo-Firma sich eines der Liedchen für die nächste Werbekampagne schnappt, wird vielleicht mehr draus. HARALD FRICKE
Suede: „A New Morning“ (Epic/Sony)
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