piwik no script img

Ein lebender Dinosaurier

■ Das letzte Jahr im Leben der Getreideverkehrsanlage hat begonnen / Ein Gespräch mit einem Lageristen, der gern Lagerist bleiben möchte – denn das Lagern lohnt sich

Im Bewusstsein der Menschen ist die Getreideverkehrsanlage in Gröpelingen schon museal, bevor sie tatsächlich zum Relikt einer dinosaurierhaft anmutenden, vergangenen Wirtschaftsform geworden ist. Tatsächlich jedoch wird in dem monumentalen Industriebau vis á vis des werdenden Space Parks nach wie vor gearbeitet. Noch bis Ende des Jahres ist die Bremer Lagerei Wandel & Co. Pächterin der Anlage. Und würde es am liebsten auch bleiben – hätte nicht die Köllmann AG als Space-Park-Projektentwicklerin eine Kaufoption auf das Areal.

Dabei lassen sich die Speicher rentabel betreiben. Das sagt zumindest Dieter Wandel, Inhaber der Lagerei mit Firmensitz am Holzhafen. Auch technisch sei die immer wieder umgerüstete Anlage, deren Grundstein im Jahr 1914 gelegt wurde, gut ausgestattet. Förderleistung: 400 Tonnen Getreide pro Stunde. Seit Juli 1999 lagert der Bremer Kaufmann hier EU-Interventionsgetreide, außerdem Kakao, Rohkaffee, Corn flakes und andere Konsumgüter.

Im Jahr 2000 sind laut Wandel 70.000 Tonnen Korn von der Getreideanlage aus per Schiff in den Export gegangen. Die Firma ist offizieller Lagerhalter für die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung – was bedeutet, dass sie Getreide der europäischen Union einlagern kann, bis der Weltmarktpreis den Weiterverkauf wieder lukrativ erscheinen lässt.

Die zeitliche „deadline“, die die Stadt als Eigentümerin der Lagerei gesetzt hat, ist Gift für dieses langfristig angelegte Geschäft. Indes, eine mögliche Verlängerung der Frist war Wandel von Anfang an nur mit Einschränkungen avisiert worden. Trotzdem wundert sich der Kaufmann über das Verhalten der Stadt. Denn sollte das Bauwerk einer Space-Park-Erweiterung zum Opfer fallen, würden Abrisskosten von bis zu 60 Millionen Mark drohen. Gleichzeitig käme es noch weit teurer, Ersatz zu schaffen.

Wandel ist sich bewusst, wie wenig attraktiv der Betrieb der Anlage aus wirtschaftspolitischer Sicht erscheinen muss: Auf 75.000 Quadratmetern arbeiten hier neun feste Beschäftigte, dazu Dachdecker, Waagen- und Mühlenbauer, Brandmeldespezialisten. Wenn der Betrieb ausläuft, ist dem Kaufmann zufolge unklar, wie es mit der Firma, die insgesamt 25 Menschen beschäftigt, weitergehen wird. Einen Ersatzstandort – wie zuvor angekündigt – habe ihm der Senat bisher noch nicht angeboten. Sein früheres Gelände hatte das Unternehmen an VW abgeben müssen.

Derzeit wird an einer von der Köllmann AG und Bremen finanzierten Machbarkeitsstudie gearbeitet, wie sich die Getreideverkehrsanlage mit dreistelligem Millionenaufwand „freizeitorientiert“ umnutzen – und damit erhalten – lassen könnte. Doch auch hier ist Lagerist Wandel skeptisch: Die durchgehende Stahlbetonkonstruktion der Speicher stehe einem Umbau massiv im Wege. Er befürchtet, dass die Stadt irgendwann in Zugzwang geraten wird – und das Industriedenkmal abreißen lässt. hase

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen