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„Ein bleierner Deckel über dem Verfahren“

■ Die französischen KommunistInnen am Vorabend ihrer historischen Reform

Paris (taz) – Am Vorabend der größten Umwälzung in der Geschichte der Kommunistischen Partei Frankreichs wußten die GenossInnen gestern immer noch nicht, wohin die Reise geht. Generalsekretär Georges Marchais hatte ihnen lediglich mitgeteilt, daß alles anders werde: Der Demokratische Zentralismus werde abgeschafft, die Statuten änderten sich, und der Vorsitzende selbst werde nach einundzwanzig Jahren an der Spitze zurücktreten.

Doch eine Diskussion über die angekündigte Demokratisierung der größten westeuropäischen Bastion des Traditionskommunismus fand nicht statt. Das Politbüro enthüllte nicht einmal die Namen der Nachfolgekandidaten für Marchais. Ihre Wahl wurde wohlweislich für das Ende des heute beginnenden fünftägigen Kongresses in Saint Ouen bei Paris terminiert.

Vier Monate ist es her, seit der 73jährige herzkranke Parteichef Marchais seinen Rücktritt ankündigte. Freund und Feind vermuteten damals, die KPF werde nun die längst erwartete Öffnung einleiten. Denn die 1920 in Tours gegründete KPF, die in den dreißiger Jahren zur größten westeuropäischen kommunistischen Partei avancierte und nach dem Zweiten Weltkrieg für kurze Zeit mit knapp dreißig Prozent stärkste Partei Frankreichs war, befindet sich schon lange auf dem Niedergang.

Die Stationen ihres Abstiegs waren durch die bedingungslose Treue zu Moskau geprägt: Weder am Einmarsch des Warschauer Pakts in Prag noch am Ausnahmezustand in Polen, noch an der sowjetischen Invasion Afghanistans hatten die französischen GenossInnen Kritik.

In unbeirrter Loyalität zu den alten Kommunisten

Die eurokommunistische Entwicklung in Italien und Spanien ignorierten sie völlig. Ihre Loyalität zu den alten Kommunisten hielt sogar noch an, als die in Moskau schon ins Abseits gedrängt waren: Die KPF begrüßte 1991 den Putsch in Moskau.

Innenpolitisch versuchte sich die Partei glücklos in einer Zusammenarbeit mit den Sozialisten. 1972, als Marchais und der damalige sozialistische Parteichef François Mitterrand das „Bündnis der Linken“ besiegelten, waren die Kommunisten noch der stärkere Partner. Doch die geplante „tödliche Umarmung“ mißlang gründlich. Zwölf Jahre später – lange nach dem Scheitern des „Bündnis der Linken“ und kurz nach dem Austritt der kommunistischen Minister aus der gemeinsamen Regierung mit den Sozialisten – war die KPF nachhaltig geschwächt. Trotz massiven Mitgliederschwundes behauptet sie heute von sich selbst, noch „rund sechshundert- bis siebenhunderttausend Mitglieder“ zu haben. Bei den letzten Wahlen – soviel ist immerhin nachprüfbar – bekam sie nur noch knapp zehn Prozent der Stimmen.

Das Reformprojekt von Marchais kam zwar spät, wurde aber von vielen KommunistInnen erleichtert aufgenommen.

An der Parteibasis dominiert die Zustimmung. Allein die ganz „harten und puren Kommunisten“ aus ein paar kommunistischen Hochburgen wie dem an der belgischen Grenze gelegenen Pas-de- Calais warnen vor der „Sozialdemokratisierung“ und dem „Verrat der Oktoberrevolution“.

Besondere Hoffnungen machte sich eine Gruppe widerständiger Kommunisten, die seit Mitte der achtziger Jahre eine Reform der KPF forderte. Viele ihrer Mitstreiter hatten die Partei zwar resigniert verlassen – oft nachdem sie zuvor aus Führungspositionen geschaßt und ihre Parteiausweise wegen „unkommunistischen Verhaltens“ beschlagnahmt worden waren.

Ende des „Demokratischen Zentralismus“

Doch die „Neugründer“, die sich bis heute in der KPF behaupten konnten, haben auch im Vorfeld dieses Parteitages wieder versucht, eine innerparteiliche Diskussion vor allem über die Führung in Gang zu bringen. Vergeblich: Ihre Kritik erschien nicht im Parteiorgan L'Humanité, sondern in parteifremden Medien.

Die parteieigene Tageszeitung veröffentlichte während der viermonatigen Vorbereitungen für den 28. Kongreß „Diskussionsbeiträge“ über alle möglichen Themen – vom Gatt über die europäische Einigung bis hin zur staatlichen Schule. Auch das Ende des „Demozent“, des Demokratischen Zentralismus, wurde begrüßt, kaum hatte Marchais es verkündet – nur die eigene Parteiführung blieb in L'Humanité ein Un- Thema. „Parteifremde“ Tageszeitungen veröffentlichten Anfang Januar denn auch die Kandidatur des Politbüromitglieds Philippe Herzog für die Nachfolge von Marchais. Der prominente „Neugründer“ Herzog weiß selbst, daß er so gut wie keine Chance hat, vom Parteitag gewählt zu werden. Aber er wollte die anderen Kandidaten aus der Reserve locken.

Doch die blieben stumm. Nur gerüchteweise werden die Namen von drei weiteren Kandidaten – allesamt treue Gefolgsleute von Marchais – gehandelt: Der L'Humanité-Journalist Pierre Zarka, der Parlamentarier Alain Bocquet und der Europaabgeordnete Francis Wurtz.

Marchais führte Einzelgespräche mit den Politbüromitgliedern in seinem Pariser Hauptquartier an der Place du Colonel Fabien. Über deren Inhalt läßt er nichts verlauten, außer einem sibyllinischen „ich habe eine Vorstellung, aber die behalte ich für mich“.

Für die „Neugründer“ ist der 28. Parteikongreß schon vor seinem Beginn gescheitert. Bitter kommentiert der Kandidat Herzog: „Über dem ganzen Verfahren liegt ein bleierner Deckel.“ Dorothea Hahn

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