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Ein Zug ins Sackige

Wir bauen uns einen Alltagsmenschen: Sind „endzeitliche Zyniker der Apokalypse“ hip? Können Systemtheoretiker länger als Ajatollahs? Auf dem 1. Deutschen Trendtag in Hamburg dominierten die Ministers of Information  ■ Von Dirk Knipphals

Normalerweise wäre er mir nie aufgefallen. Aber unter diesen Umständen schloß ich ihn gleich ins Herz, den etwa 35jährigen Mann, der auf dem 1. Deutschen Trendtag schräg vor mir saß. Kleinkariertes braun-beiges Jackett, Stahlgestellbrille, dunkelblaue Socken, brauner Leder-Aktenkoffer, korrekt gescheiteltes, schon etwas schütteres Haar – unter den anwesenden Kreativen aus Werbewirtschaft und Marketing wirkte er auf rührende Weise deplaziert.

Ja, er war komplett untrendy, dieser Mann da vor mir. Was ihn wohl hergeführt hat? Bald war es mir klar: Um zu lernen, war er gekommen. Dies bewies der kleine Berg an sauberen Vortragsmitschriften, den mein Mann im Laufe des Tages anhäufte. Gab es also etwas zu lernen an diesem Donnerstag in den angemieteten Räumen des Hamburger Kunstvereins?

Es gab. Zum Beispiel, daß wir heute in einer Informationsgesellschaft leben. Das mag zwar nicht mehr ganz neu sein. Aber jemand wie Matthias Horx, Ex-Pflasterstrand, Ex-Tempo, Ex-Zeit, heute Mitgesellschafter des Trendbüros Hamburg und als solcher zusammen mit dem Econ Verlag Veranstalter des Trend-Symposiums, schafft es allemal, etwas Selbstverständliches mit dem Sound des Sensationellen zu verkünden. Zumal Horx mit feinem Lächeln Konsequenzen zog, die die gebannt zuhörenden Marketingexperten und meinen Mann aufhorchen ließen.

Der Konsument, so Horx, werde heute von Reizen überflutet. Weshalb er zunehmend Strategien anwende, sich den Reizen zu entziehen. Weshalb wiederum die Werbetreibenden Probleme hätten, ihre potentiellen Kunden zu erreichen. Brillanter Problemaufriß. Stellt sich die Frage der Fragen: Wie verkaufe ich mein Produkt? Antwort: „Waffenstillstand zwischen Produzent und Verbraucher“, „Abrüstung im Werbekrieg“, „Kommunikation von Produzent zu Mensch“.

Mein Mann und sein Sitznachbar nickten sich zu. Zum Schluß des Tages wird Norbert Bolz von Spionen sprechen, die die Wirtschaft in die Szene schicken müsse, um auf dem laufenden zu bleiben. In Horx hatte man offensichtlich einen solchen Spion gefunden. Vom Zeitgeistanalytiker zum Wirtschaftsspion: Horx' Weg ist eine gewisse Geradlinigkeit nicht abzusprechen. Ob sich allerdings die Investition von 890 Mark Tagungsgebühr bei solchen Schlagworten tatsächlich amortisiert, ist ein Problem, das uns nicht kümmern muß.

Nach Horx sprach Udo Koppelmann. Koppelmann ist deutscher Professor, und das merkte man seinem Vortrag an: Klärung des Wissenschaftsbegriffs, Methodendiskussion. Schließlich wagte er aber noch zwei Prognosen. In Zukunft werden die Modefarben abgedunkelt sein, und die Modeformen erhalten einen Zug ins Sackige. Wieder etwas gelernt. Applaus der Anwesenden. Dann informierte Nicholas Negroponte über die neuesten Tendenzen der Computer- und Kommunikationsentwicklung. Vor allem aber sprach der Direktor des renommierten Media Lab in Boston Klartext: „We don't care about trends. We make them.“ Großer Applaus.

Dann war Mittagspause. Und mich verließ mein Mann. Was ich bedauerlicher fand als er. Denn er durfte wie alle hundert zahlenden Gäste im In-Restaurant „Jena Paradies“ speisen. Ich mußte mit den anderen 60 Journalisten an Stehtischen essen. Ein halbes Dutzend Kamerateams vermehrte derweil das Reizangebot. In Ermangelung besserer Motive filmten sie – schließlich war man nicht zum Spaß da – ihre essenden Kollegen der schreibenden Zunft. Aus einer Ecke des Raumes tönte immer wieder die Erkennungsmelodie von „Raumschiff Enterprise“. Sat.1-Mitarbeiter versuchten damit Interesse für einen Stand zu erwecken, an dem sie Einblicke in das interaktive Fernsehen der Zukunft gewährten. Mag sein, daß auch seine Formulierungskunst Horx nicht vor Fehlprognosen schützt. Von Abrüstung im Medienkrieg war jedenfalls keine Spur. Offensichtlich waren die Portionen im Restaurant etwas üppiger gewesen, denn als ich meinen Mann im Vortragsraum wiedersah, wirkte er ein wenig abgespannt. Deshalb entging ihm wohl leider der Clou des Tages: wie nämlich Horx die Methode seiner Trendforschung erklärte. „Wir scannen die kulturelle Oberfläche der Gesellschaft“, sagte Horx. Und in das andächtige Staunen des Publikums erklärte er, „wir sehen viel Video und Fernsehen.“ Peter Wippermann war es vorbehalten, die Ergebnisse des vielen Fernsehens im Trendbüro Hamburg vorzustellen, die aktuell im Trend liegenden Lifestyle-Designs. Ich versuchte, mir meinen Mann als Anhänger der neuen Purifikation („Ajatollahs der Wirklichkeit“, Wippermann) vorzustellen, dann als einen des Compost modernism („Apologeten der Wiederauferstehung“). Es wollte mir nicht gelingen. Auch die Trendwelten der Patina („melancholische Retter der Schönheit“) und des Fin-de-siècle („endzeitliche Zyniker der Apokalypse“) schienen ihm eher verschlossen. Seinen Vortrag illustrierte Wippermann mit vielen Dias, meist Anzeigenmotiven. Und wie reagierte mein Mann? Er sah sich die Bilder an und ansonsten schaltete er ab. Er schrieb nichts mehr mit und wollte wohl auch gar nichts mehr lernen. Und als dann zum Schluß des Tages Norbert Bolz dozierte, es also keine bunten Bilder mehr gab, sondern Systemtheorie und Neue-Medien-Diskurs, da klappte mein Mann seine Notizkladde zu. Von dem Moment an hatte dieser Held des Alltags, der sich einen Tag lang in die Welt der Wichtigtuer traute, endgültig mein Herz gewonnen.

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