Ein Vereinsmuseum für den FC St. Pauli: Niederlagen hinter Glas
Hall of Pain: Das von den Fans gestaltete Museum soll nicht Triumphe und Trophäen zeigen, sondern Misserfolge und stetiges Wiederaufstehen.
In den Katakomben der Gegengeraden des Millerntor-Stadions entsteht derzeit ein Fußballmuseum, das einzigartig ist. Das FC-St.-Pauli-Museum. Ungewöhnlich ist schon seine Geschichte. Denn ursprünglich sollte in die Stadionräume die Stadionwache der Polizei einziehen.
Die Fans rebellierten gegen den „Polizeipalast im Piratenschiff“. Nannten die geplante Wache, die größer sein sollte als die meisten ihrer Art in anderen Stadien, „Goliathwache“ – in Anlehnung an die berühmte, nur einen Steinwurf entfernte kleine Davidwache an der Reeperbahn.
Doch um die Wache zu verhindern, bedurfte es einer sinnvollen Alternativnutzung für die der Polizei versprochenen Räume. Die Idee eines Vereinsmuseums, bis dahin nur in den Köpfen weniger Club-Anhänger verhaftet, bekam Konjunktur in der Fanszene. Die Fanproteste hatten Erfolg. Die Wache wurde außerhalb des Stadions gebaut und ist inzwischen fertig. Und das Museum wird kommen – das steht fest.
Besonders ist auch, dass nicht der Verein, sondern die Fans das Museum gestalten, finanzieren und konzipieren. Christoph Nagel, einer der Museumsaktivisten, spricht „von dem komplexesten Projekt, das jemals von der Fanszene realisiert wurde“. 2012 wurde der gemeinnützige Verein „1910 – Museum für den FC St. Pauli e. V.“ gegründet, um das ambitionierte Projekt zu realisieren. Baupläne mussten erstellt, gefühlte tausend Genehmigungen bei den verschiedensten Ämtern eingeholt, eine inhaltliche Konzeption entwickelt, Ausstellungsstücke akquiriert und Finanzmittel eingeworben werden.
Trophäen gibt es kaum welche
All das funktioniert rein ehrenamtlich. Etwa einmal pro Woche trifft sich die fünf- bis sechsköpfige Gruppe, die das sortiert und katalogisiert, was einmal ausgestellt werden soll. 700 der bislang zusammengetragenen 4.000 Fundstücke und Geschenke aus Fan-Nachlässen wurden so bislang inventarisiert. Historische Trikots und Fußballschuhe, Presseartikel, ein alter Kreidewagen, die mit alten Aufklebern „geschmückten“ Fenster des alten Vereinsheims, das dem Stadionneubau weichen musste.
Trophäen gibt es hier kaum zu sehen – der Verein hat nie die Deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal oder gar die Champions League gewonnen. Als er im Dortmunder Vereinsmuseum an den Vitrinen mit den Schalen und Preisen entlang schlenderte, hat Anhänger Nagel festgestellt: „Pokale ohne Geschichte sind nur große Vasen – du siehst sie an und du fühlst nichts.“
Doch ums Gefühl soll es im Museum des FC St. Pauli gehen: Um Geschichte und ums Geschichtenerzählen. Es soll sich eine Beziehung zwischen dem Ausgestellten und den Besuchern aufbauen. Der schmucklose Oddset-Pokal, der lediglich zwischen Hamburger Amateurmannschaften ausgespielt wird, wird die wichtigste Trophäe im St.-Pauli-Museum sein. Der Gewinn 2005 berechtigte die Kiez-Kicker zur Teilnahme am DFB-Pokal, bei dem sie die vier viel höherklassigen Teams – Burghausen, Bochum, Berlin und Bremen – rauswarfen und durch die ungeplanten Millioneneinnahmen den vor der Insolvenz stehenden Verein retteten. Die Erfolgsgeschichte, die dann begann und dem Verein schließlich solide Finanzen und ein neues Stadion bescherte, wäre ohne Oddset-Pokal nie möglich gewesen. Das ist eine der vielen Geschichten, die es zu erzählen gilt.
„Hall of Pain“ statt „Hall of Fame“
Sie wollen nicht das „klassische Sporterfolgsmuseum“, sagt Nagel und fügt hinzu: „Wie auch, ohne Titel?“ Während es etwa in Dortmund oder beim HSV keine Hinweise auf verlorene Lokalderbys – hier gegen Schalke, da gegen St. Pauli – gibt, sondern nur Titel und Triumphe, sollten am Millerntor „Misserfolge sichtbar gemacht“ werden.
Neben der obligatorischen „Hall of Fame“, in der alle anderen Vereinsmuseen die Cluberfolge zur Schau stellen, wird es im St.-Pauli-Museum auch eine „Hall of Pain“ geben. „Es geht ums Wiederaufstehen nach Niederlagen und Rückschlägen“, sagt Nagel. „Wir wollen kein Fußball-, sondern ein Lebensmuseum werden.“
So soll auch die enge Beziehung zwischen dem Verein und dem Stadtteil, nach dem er benannt ist, sichtbar werden. Und die Ausstellung versucht eine Antwort auf die Frage zu finden, „warum dieser Club ohne jeden großen Titel europaweit so bekannt ist?“, sagt der St.-Pauli-Fan Nagel.
Wer das Museum betritt, solle ein Gefühl dafür bekommen, warum sich die Fans gerade mit diesem Club so identifizieren, was den Mythos FC St. Pauli ausmacht. Dazu gehören zudem die zahlreichen politischen und sozialen Aktivitäten, die den Club bekannt gemacht haben: Sein konsequenter Antifaschismus, sein Engagement für Flüchtlinge und Projekte wie „Viva con Aqua“ oder die „Kiezhelden“, die hier ihren Anfang nahmen.
Es fehlt noch Geld
Bis es so weit ist, werden noch zwei Jahre vergehen. Oder auch drei. Das für die erste Ausbaustufe benötigte Geld, rund eine dreiviertel Million Euro, ist durch Fundraising-Aktionen und Spenden fast eingespielt. Doch eine weitere dreiviertel Million fehlt noch, um die kargen Betonräume in ein lebendiges Museum zu verwandeln.
Im kommenden Jahr soll es aber bereits zwei provisorische Ausstellungen als Vorgeschmack auf das Museum geben. Eine davon wird sich dem „FC St. Pauli im Dritten Reich“ widmen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet