Ein Streit über Stolz und Ehre: "Wir sind alle Feiglinge"

"Ich führe wie ein Mann", sagt Jutta Allmendinger. Norbert Bolz: "Damit leugnen Sie 2.000 Jahre Kulturgeschichte." Ein Streitgespräch über Männlichkeit und Weiblichkeit.

Jutta Allmendinger: "Der große Ruck bleibt aus". Norbert Bolz: "Männlichkeit wird diskriminiert". Bild: wolfgang borrs

taz: Das 21. Jahrhundert wird weiblich, verkünden Trendforscher. Frau Allmendinger, sehen Sie dafür Indizien?

Jutta Allmendinger: Indizien gibt es schon lange, aber der "große Ruck" bleibt bislang aus. In Sachen Bildung haben die Frauen die Männer schon überholt. Aber die Gehaltslücke schließt sich nur langsam.Und über die mittleren Managementposten kommen sie selten hinaus.

Norbert Bolz: Sehr viel interessanter finde ich, dass unsere Gesellschaft insgesamt weiblicher wird. Traditionelle Attribute der Weiblichkeit haben sich als gesellschaftliches Befinden niedergeschlagen - auch bei Männern. Meine These ist sehr einfach: Weiblichkeit wird prämiert, Männlichkeit wird diskriminiert.

Allmendinger: Ach was. Wir wissen, um in Aufsichtsräte oder W-3-Professuren zu kommen, braucht es oft Ellenbogen und ganz andere Verhaltensweisen als jene, die Sie als "weiblich" bezeichnen. Ich sehe einen anderen Zusammenhang: In dem Moment, wo mehr Frauen in den Arbeitsmarkt gekommen sind, haben sich solche Umgangsformen verstärkt, die nun als weiblich gekennzeichnet werden - Kompromissbereitschaft zum Beispiel oder das Einbeziehen von Mitarbeitern in die Entscheidungen des Chefs.

Bolz: Das zeigt doch gerade, wie die Gesellschaft sich wandelt. Es ist sehr faszinierend, wie Männer darauf reagieren. Ich sehe das an der Uni: Die Männer fliehen aus den Jobs, in denen Frauen Erfolg haben. Sie protestieren nicht. Denn das wäre ja eine genuin männliche Eigenschaft. Männliches Verhalten schwindet - gerade unter Männern. Wir sind Feiglinge, die allenfalls noch mit den Augen rollen.

Allmendinger: Die Männer fliehen doch nicht vor den Frauen. In der Wirtschaft kann man schlicht erheblich mehr Geld verdienen. Im Übrigen kann ich Ihrem Ansatz von den Wesensunterschieden zwischen Männern und Frauen nicht folgen. Ich arbeite und führe nicht anders als ein Mann.

Bolz: Das behaupte ich ja auch gar nicht. Aber echte Männlichkeit ist sehr selten geworden. Wenn Sie heute Männer fragen, äußern die sich genauso feministisch wie Frauen.

Allmendinger: Das ist doch reden fürs Schaufenster: Sie reden, wie es vielleicht sozial erwünscht ist, aber sie verhalten sich nicht so. Sie staubsaugen doch nicht oder wickeln Kinder oder lassen gar Frauen im Beruf den Vortritt.

Bolz: Aber das hat Folgen. Wenn Sie heute ein Symposion veranstalten, müssen Sie mindestens nach einer Frau als Teilnehmerin suchen.

Allmendinger: Das ist auch richtig so. Wenn Sie eine Diskussionsrunde veranstalten und keine Frauen einladen, dann verzichten Sie auf Wissen.

Bolz: Aber durch diese Form der Political Correctness wird jede Frau, die etwas kann, beleidigt.

Allmendinger: Da ich oft als einzige Frau bei Diskussionen sitze, kann ich sagen: Ich habe mich dadurch bislang nie beleidigt gefühlt. Frauen können in der Sache etwas beitragen.

Mit dieser Correctness antwortet man auf Diskriminierungen. Gibt es für Sie gar keine Diskriminierung von Frauen, Herr Bolz?

Bolz: Nein. Das Zeitalter der Diskriminierung ist vorbei. Unsere Kultur liegt den Frauen zu Füßen.

Frau Allmendinger, gibt es Benachteiligungen, die "politisch korrekte" Quoten erforderlich machen?

Allmendinger: Die Gleichstellung von Frauen geht langsam voran, gerade die Wissenschaft ist dafür ein gutes Beispiel: Es geht mir zu langsam, und in der Tat plädiere ich hier für Quoten. Das tut am Anfang weh, man könnte hier auch von Beleidigung sprechen, aber der Respekt folgt schnell nach und heilt.

Unterstützen Sie denn die These von Herrn Bolz, dass die traditionell weiblichen Attribute hoch im Kurs stehen?

Allmendinger: Das entspricht nicht dem, was ich tagtäglich erlebe. Dann müsste ich doch von viel mehr Frauen umgeben sein - es sei denn, die Männer wären heute die besseren Frauen. Aber ich bin nach wie vor oft die einzige Frau unter vielen Männern.

Bolz: Ich erlebe das anders. Ich sitze fast immer in Runden, in denen außer mir nur Frauen sind.

Sie werden aber nicht behaupten, dass die DAX-Unternehmen vor weiblichen Führungskräften strotzen.

Bolz: Die Wirtschaft ist für mich das Gebiet, in das alle Männer flüchten. Aber aus den klassischen Kulturgebieten sind sie schon fast alle raus. Ähnliches bemerke ich auch in den Medien.

Allmendinger: Wo denn? Die FAZ hat keine einzige Herausgeberin, es gibt kaum eine Chefredakteurin.

Bolz: Aber die Medien werden auch ohne Ansehen der Personen weiblicher: Der Spiegel hat gerade das große Lob der Krippenplätze gesungen.

Allmendinger: Es war höchste Zeit, dass sich im Spiegel mal was tut. Darf ich fragen: Was ist für Sie "genuin männliches Verhalten", das uns nun verloren geht?

Bolz: Zum Beispiel eine Orientierung an Stolz und Ehre.

Allmendinger: Das ist doch nicht Ihr Ernst? Das ist doch nicht männlich. Natürlich orientiere ich mich an Ehre.

Bolz: Es geht die Form des Verhaltens verloren, die man in ihrer negativen Ausprägung als Machoverhalten bezeichnet. Zum Beispiel self-assertive behavior.

Allmendinger: Selbstsicherheit? Auch das ist für mich keine männliche Eigenschaft.

Welche weiblichen Attribute werden belohnt?

Bolz: Zum Beispiel Pazifismus. Ich bin ja froh, dass wir heute in einer friedfertigeren Gesellschaft leben. Aber das hat auch einen Preis. Es gibt gar keinen Kampf mehr um Werte. Pazifismus bedeutet: Es gibt keine Idee mehr, für die zu sterben sich lohnt.

Allmendinger: Wir tragen Konflikte heute zunehmend verbal aus und weniger mit Waffen. Ich werte das als zivilisatorischen Fortschritt und freue mich über jeden, der heil bleibt und überlebt.

Bolz: Man kann in Konflikten auch einfach entscheiden.

Allmendinger: Ja, und das tun doch Frauen Tag für Tag. Ihren großen Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Wesensmerkmalen gibt es so empirisch nicht. Es wird doch Zeit, dass wir die Semantik endlich an die Empirie angleichen.

Bolz: Damit leugnen Sie zweitausend Jahre Kulturgeschichte, die gezeigt haben, was genuin männlich und weiblich ist. Das ist ja gerade der Preis der Moderne. Und nun frage ich mich: Wo ist eigentlich das Männliche geblieben?

Das verlassen offenbar viele Männer ganz gerne: Sie sind froh, dass sie sich etwa finanzielle Verantwortung mit einer Frau teilen können.

Bolz: Das ist genau das Dilemma.

Allmendinger: Dabei stimmt das noch nicht mal. Männer mit Kindern freuen sich, wenn die Frau die Erziehung daheim übernimmt, sie arbeiten dann sogar mehr Stunden außer Haus als Männer ohne Kinder. Das Gerede von den "neuen Männern" ist doch Geschwätz. Es gibt kaum Frauen in Führungsetagen, weil es Diskriminierungen gibt, mit denen Frauen unten gehalten werden. Und, nun gut, wenn Diskriminierung männlich ist, dann gibt es auch noch "männliche Männer". Herr Bolz veranstaltet ein großes rhetorisches Lamento und verschleiert damit die wirklichen Diskriminierungen.

Bolz: Ich denke, die Menschen sind glücklicher, wenn sie sich über ihre Geschlechterrolle identifizieren können. Für eine Karriere zahlen Frauen einen sehr, sehr hohen Preis. Darauf können wir uns ja wohl einigen.

Herr Bolz, hat denn Ihre eigene Karriere gar keinen Preis gehabt?

Bolz: Das kann man von sich selbst ja nicht so sagen. Aber die Frauen geraten unter Anpassungsdruck. Und das verursacht Leiden. Die Frauen trauen sich nicht, das zuzugeben, weil sie unter dem Druck des öffentlichen Bildes der Medienpropaganda stehen.

Allmendinger: Ich dachte, die Männer stünden unter Anpassungsdruck? Und leider ist das Frauenbild in den Medien doch eher noch altmodisch. Die Veränderung der Gesellschaft macht Ihnen offenbar Angst.

Bolz: Nicht nur mir. Die Männer lassen sich auf die Frauen doch gar nicht mehr ein. Haben Sie das noch nicht bemerkt?

Allmendinger: Nein.

Ist nicht eher Ihre Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit ein Produkt von Propaganda, Herr Bolz?

Bolz: Ja, aber diese Begriffe haben einen semantischen Gehalt, der uralt ist. Was passiert damit, wenn man die Begriffe nun in der Moderne auflöst? Wo bleibt die Männlichkeit? Das ist meine Frage.

Allmendinger: Sie akzeptieren einfach nicht, dass Männlichkeit heute eben auch von Frauen gelebt wird. Da haben Sie dann keine Lust mehr auf die Diskursanalyse und werfen das Untersuchungsinstrument lieber gleich weg.

Bolz: Nein, ich frage nur, ob wir mit dieser Vermischung nicht unglücklicher geworden sind.

Allmendinger: Es gibt ja zum Glück kein Reinheitsgebot. Und unglücklich bin ich zumindest nicht.

MODERATION: HEIDE OESTREICH UND COSIMA SCHMITT

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