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Ein Plätzchen für Rio ReiserSänger der bewegten Zeiten

Thomas Mauch
Kommentar von Thomas Mauch

Statt Heinrich soll der Name des „Keine Macht für niemand“-Sängers stehen: Berlin-Kreuzberg bekommt seinen Rio-Reiser-Platz.

Hat in Berlin schon einen Platz: am Grab von Rio Reiser Foto: dpa

Z ur westdeutschen Revolutions­romantik zählt unbedingt, dass da in jedem frisch besetzten Haus einer mit der Gitarre saß und dieses eine Lied klampfte, während alle um ihm herum euphorisiert schrien, so laut, wie sie nur konnten: „Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus …“

Das sind die entscheidenden Zeilen vom „Rauch-Haus-Song“, mit dem Ton Steinen Scherben die Besetzung des Bethanien feierten. Trotz und Hoffnung, das andere, bessere Leben … was sich alles in einer eher schmächtigen Person verkörperte: Rio Reiser, der Sänger der Kreuzberger Revoluzzerkapelle, die bei ihren frühen Touren durch Westdeutschland die Stimmung dort mindestens so aufzukochen hatte, dass nach jedem Konzert wenigstens ein Haus in der betreffenden Stadt besetzt wurde, wo dann wieder dieser Song …

Zur Wahrheit zählt aber auch, dass Ton Steine Scherben und Rio Reiser sich in diesem stets sich drehenden Hamsterrad gar nicht wirklich glücklich fühlten und sich deswegen Mitte der Siebziger Jahre sogar vom Acker machten. Beziehungsweise anders herum: sie bewegten sich weg vom harten Kreuzberger Pflaster und zum Acker vom nordfriesischen Flecken Fresenhagen hin, wo der Sänger ja tatsächlich auch verstorben ist, am 20. August 1996.

Dort in Fresenhagen wurde er auch bestattet und hatte erst mal einige Jahre seine Ruhe, bis er im Februar 2011 auf den Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin umgebettet wurde. Eine Heimholung, die jetzt noch einmal mit der schon über den engeren Kiez hinaus strahlenden Umbenennung des Kreuzberger Heinrichplatzes in Rio-Reiser-Platz bestätigt wird. Am Mittwochabend hat das die Bezirksverordnetenversammlung beschlossen, im September 2020 sollen die Straßenschilder dann getauscht werden.

Dieser Eintrag von Rio Reiser im Stadtplan ist doch recht statisch

Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass dieser Eintrag von Rio Reiser im Stadtplan als Erinnerungshilfe doch eine einigermaßen statische Angelegenheit ist und dass wenigstens ergänzend auch ein tätiges Tun den Mann in Ehren halten würde. Also zum Beispiel einfach Häuser besetzen, weil die ja weiter eine Ware geblieben sind, weil es trotz der Romantik mit der Revolution in Westdeutschland nicht wirklich was geworden ist.

Aber so eine namentliche Verortung im Stadtbild bedeutet auch, dass die Kämpfe, um die es ging, eben schon gekämpft sind und die Häuserfrage heute ohne Rio Reiser geklärt werden muss. Ein Straßennamenschild heißt Historisierung.

Und das ist doch auch okay. Jüngeren Menschen mag man dann dereinst auf dem Rio-Reiser-Platz erklären, dass damit an einen Menschen gedacht wird, der einer der wenigen wirklichen Rockstars war, die sich Deutschland bis dato gegönnt hat. So wie die mittelälteren Menschen vielleicht bei einem Paul Lincke stutzen müssen. Ein Musiker auch er, dem mit dem Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal eine schicke Adresse eingerichtet ist. Sein Hit: „Das ist die Berliner Luft“. Ein Operettenschlager. Und wenige Ecken weiter in Kreuzberg steht man dann auf dem Platz, der an den Sänger erinnert, der mal „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ gesungen hat. Kreuzberger Mischung.

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Thomas Mauch
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1960, seit 2001 im Berlinressort der taz.
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1 Kommentar

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