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Ein Plädoyer für AutofreiheitMacht Berlin lebenswerter!

Kommentar von

Stefan Alberti

Das Abgeordnetenhaus wird das Volksbegehren für eine autofreie Innenstadt absehbar ablehnen. Bei einem Volksentscheid ließ sich das 2026 korrigieren.

Es muss ja nicht auf (Kunst-)Rasen sein wie bei der Euro 2024 – aber autofrei aufs Brandenburger Tor zuzuschlendern hätte etwas Foto: Paul Langrock

I m Plenarsaal des Abgeordnetenhauses ist schon viel von Verkehrswende zu hören gewesen und dem Wunsch nach weniger Autoverkehr, Lärm, Unfallgefahr und Stress – meist von Grünen und Linken und gelegentlich auch von der CDU. All das könnte das Parlament Donnerstagmittag in ein Gesetz münden lassen. Denn um 12.15 Uhr steht Drucksache 2591 als Punkt 3 auf der Tagesordnung: der Antrag auf ein Volksbegehren, private Autofahrten in der Innenstadt weitgehend zu verbieten. Doch das wird leider nicht passieren.

Statt das Anliegen übernehmen und damit einen Volksentscheid überflüssig zu machen wie vergangenen Montag beim Baum-Entscheid, ist eine Ablehnung zu erwarten, auch von den Grünen. Als die Initiative Berlin Autofrei Ende September zu einer Anhörung im Abgeordnetenhaus saß, lag in den dort gestellten Fragen schon grundsätzliche Ablehnung wirtschaftsschädigend, ein Bürokratiemonster, in der Praxis nicht umsetzbar seien die Forderungen.

Wie immer lohnt es sich auch hier, genauer hinzuschauen. Also mal angefangen mit „wirtschaftsschädigend“. Stimmt das? Mutmaßlich nicht. Denn für den Lieferverkehr würde, so nachzulesen auf der Homepage der Initiative, „eine allgemeine Ausnahmeregelung“ gelten, um die Stadt weiter mit Waren versorgen zu können. Bloß werde der schneller als bisher unterwegs sein, weil es ohne Privat-Kfz keine Staus mehr gäbe. Gleiches würde für Handwerker gelten.

Also zum nächsten Punkt. Ein Bürokratiemonster? Der Vorwurf dockt an eine Ausnahmeregelung auch für Privatfahrzeuge an: Zwölf Mal im Jahr sollen beliebig viele Privatfahrten binnen 24 Stunden erlaubt sein, anzuzeigen „unter Angabe des Erlaubnisgrundes elektronisch über ein Verwaltungsportal“. Das kann tatsächlich nach viel Aufwand klingen bei rund 1,2 Millionen Autos in der Stadt. Und ja, in Sachen Digitalisierung ist Berlin bislang nicht Vorreiter.

Schub für Digitalisierung als Nebeneffekt

Da lohnt sich aber der Blick auf das Thema Olympia, wo laut CDU und SPD eine Bewerbung einen großen Schub für alles Mögliche geben soll. Warum also sollte dann nicht der Druck eines Autofrei-City-Gesetzes – nach mehrjährigem Übergangszeitraum – in gleicher Weise einen Schub bei der ohnehin angestrebten Digitalisierung der Berliner Verwaltung auslösen? Monsterhaft deprimierend ist es eher, etwas von vorneherein gar nicht erst zu probieren und sich von möglichen Hindernissen nicht eher herausgefordert zu fühlen.

Zu fragen ist ja, warum die Grünen sich nicht hinter diese Initiative stellen. Fraktionschefin Bettina Jarasch, designierte Co-Spitzenkandidatin auch bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl, hat das schon 2022 folgendermaßen erklärt, als sie noch die zuständige Verkehrssenatorin war: Nein, die Ziele der Initiative lehne sie nicht ab, auch sie wolle mehr Verkehrssicherheit, eine gerechte Flächenaufteilung, bessere Luft, weniger Lärm und weniger Autos. Aber für Berlin gebe es bessere Wege dahin. Und die Innenstadt autofrei zu machen, verlagere den Verkehr bloß in die Außenbezirke.

Das mit den besseren Wegen, von denen die Grüne spricht, hat aber schon zu ihren Zeiten im Senat nicht geklappt. Was soll denn noch besser werden? Zumindest theoretisch – ja, praktisch läuft es zeitweise nicht gerade rund – hat Berlin längst Deutschlands bestes Nahverkehrssystem. Am Angebot jedenfalls, mit U-Bahnen oftmals im 5-Minuten-Abstand in der City, kann es nicht liegen. Die Rede ist ausdrücklich nicht vom Außenbereich mit seinen Bussen im 20-Minuten-Takt und langen Wegen in teils ländlichen Bereichen.

Bleiben als Gründe fürs Auto in der Innenstadt: Körperliche Gebrechlichkeit und sperrige Transporte – und natürlich Bequemlichkeit und komplette Ignoranz gegenüber dem, was dahinten aus dem Auspuff herauskommt, wie viel Platz der Wagen in der City blockiert und welche Gefahren er birgt.

Ausnahmen bei Gebrechlichkeit

Auch die Sache mit der körperlichen Gebrechlichkeit ließe sich mit einer Ausnahmegenehmigung auf Basis eines ärztlichen Attests regeln. Und für Transporte gibt es ja die erlaubten Fahrten an zwölf frei wählbaren Terminen im Jahr.

Bleibt das große Ganze: die eingeschränkte Freiheit der Verkehrsmittelwahl. So zu argumentieren, lässt in schlichter Weise außer Acht, dass das Leben voll solcher Ein- und Beschränkungen ist – und das spätestens, seit Moses mit den Zehn Geboten vom Berg Sinai zurückkam. Das wird auch das Landesverfassungsgericht so gesehen haben, als es den Antrag aufs Volksbegehren im Juni nach längerer Prüfung für zulässig erklärte. Tenor: Es bestehe kein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit.

Nicht stehlen, nicht morden, nicht mit Alkohol am Steuer fahren – warum dann nicht auch: nicht denen, die in der Innenstadt leben und arbeiten, das Leben durch Abgase, Lärm und Unfälle noch belastender machen?

Zumal kaum etwas auf der Kostenseite steht. Denn was bleibt außer der Bequemlichkeit tatsächlich auf der Strecke? Die Freiheit, nicht mit Krethi und Plethi in Bus und Bahn sitzen zu wollen? Ist soziale Abgrenzung tatsächlich schützenswert und ein Grund, die Belastung anderer durch Autofahrten zu akzeptieren, zu denen es eine Alternative gäbe?

Die Rahmenbedingungen müssen stimmen

Gewichtiger ist schon der Sicherheitsaspekt. Ja, es kann vor allem für Spätdienstler, gerade Frauen, gruselig werden in Bahnhöfen und Bahnen. Doch das ist ein gesellschaftliches und Sicherheitsproblem, das nicht durch Aufweichen der Verkehrswende zu lösen ist.

Natürlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen, von der Verlässlichkeit des Takts hin zu sicheren Wegen, sowohl tagsüber als auch nachts. Doch auch hier gilt: Es braucht offenbar den Druck eines Gesetzes, um voranzukommen und eben diesen Rahmen zu garantieren.

Mit der Autofrei-Forderung in die Abgehordnetenhauswahl am 20. September 2026 zu gehen, fehlt bisher auch den Grünen der Mut, die mutmaßlich das Stigma „Verbotspartei“ fürchten. Mindestens 175.000 gültige Unterstützerunterschriften würden diese Mutlosigkeit kompensieren. Sie würden für einen Volksentscheid parallel zur Wahl sorgen, der im Kern fragt: Was ist Berlin wichtiger – individuelle Bequemlichkeit oder eine lebenswertere Stadt für viele?

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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