: Ein Niederländer erobert Essen
Ex-Shell-Vorstand Harry Roels wird neuer Chef des größten deutschen Stromkonzerns RWE
Monatelang wurde hinter den Kulissen gerungen. Nun ist der neue Vorstandschef der RWE AG gekürt. Er heißt Harry Roels, ist 53 Jahre alt – und Niederländer. Nun ist das natürlich nichts Schlimmes, aber ein absolutes Novum für einen der deutschesten Konzerne überhaupt. Die RWE, früher Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk, ist über 100 Jahre alt und verdankt ihren Aufstieg zum größten deutschen Stromerzeuger der engen Verzahnung von Wirtschaft und Macht in der westdeutschen Region. Bisher kam noch jeder Vorstand aus dem eigenen Hause und war mit dem Aktionärsgemenge aus Kommunen und großen Finanzkonzernen vertraut.
Harry Roels jedoch kommt von außen. Er war einer der fünf obersten Vorstände des Konglomerats Royal Dutch/Shell, einem der drei größten Ölkonzerne der Welt. Nach seinem Studium der physikalischen Chemie ging er 1971 zu Shell und arbeitete sich dort als Ingenieur in der Ölfelderkundung und der Förderung nach oben, bis er schließlich 1999 als General Manager in der obersten Konzernetage ankam. Der dunkelhaarige ehemalige Marathonläufer konnte sich sogar Hoffnung auf die Spitze machen. Doch entgegen uralter Tradition beim niederländisch-britischen Shell-Konzern wurde statt eines Niederländers wieder ein Brite gekürt, Roels hatte das Nachsehen. Er kündigte „aus persönlichen Gründen“ zum 30. Juni dieses Jahres.
Die Kündigung eines derart hochrangigen Managers bleibt in internationalen Business-Kreisen natürlich nicht unbeobachtet. Und so sprach laut Insidern einer der RWE-Großaktionäre den Niederländer an – und zwar die Allianz. Seit einigen Jahren versucht der Versicherungsriese verstärkt, aus seinen Beteiligungen mehr herauszuholen, und war der Meinung, dass auch der RWE bei ihrer derzeit laufenden internationalen Expansion ein Experte an höchster Stelle nicht schaden könne.
Trotz der hohen Qualifikation ihres Kandidaten gelang es der Allianz nur langsam, ihren Wunschkandidaten durchzusetzen. Die Kommunen im Aufsichtsrat haben dort zwar nicht mehr wie früher das Sagen, können mit den Vertretern der Arbeitnehmerseite aber jeden Vorschlag lässig blockieren. Der Allianz und damit Roels dürfte jedoch letztlich der Kölner Parteispenden- und Bestechungsskandal geholfen haben: Die auslösende Entsorgungsfirma Trienekens gehört zur Hälfte der RWE. Und Vorstand Richard Klein, der bis dahin als Favorit für den Chefposten galt, war wesentlich für den Verkauf verantwortlich.
Nun kommt also ab dem 1. Februar 2003 der Niederländer Roels, und er muss erst einmal das Konglomerat RWE sortieren. Die Tochter Hochtief – der größte deutsche Baukonzern – soll ebenso verkauft werden wie die Großabteilung Heidelberger Druckmaschinen. Außerdem hat RWE in den vergangenen zwei Jahren für über 20 Milliarden Euro Wasser-, Gas- und Stromkonzerne in Großbritannien, den USA und Tschechien gekauft. Die müssen Gewinn bringend mit dem deutschen Geschäftt verschmolzen werden. Außerdem muss RWE einen Weg finden, wie aus dem Komplettversorgungsangebot der RWE-Strategen – Strom, Gas, Wasser aus einer Hand – die versprochenen Extra-Synergiegewinne fließen sollen. Da kann der Herr Roels beweisen, was für einen Mann die Shell an ihm verloren hat. REINER METZGER
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