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Ein Modell Frau, das eingestellt wurde

■ Das barocke Leben der Wanderschauspielerin Karoline Schulze-Kummerfeld, neu herausgegeben von Inge Buck

Sie war das, was eine Frau nicht ist: öffentlich. Eine in Öffentlichkeit agierende Frau, eine zwischen Wien, Bremen und Stettin herumreisende Wanderbühnenschauspielerin, eine, deren Heim überall und außerdem ungeschieden von ihrem Beruf war, eine, die Rollen spielte und dazu noch an einem Abend nacheinander spielte, sang und tanzte, eine Unidentische.

Die Natur der Frau, der all das gröblich widersprach, wurde gerade erst erfunden. Noch zu ihrer Lebenszeit, 1745 bis 1815, legte Rousseau diese philosophierend auf das Private und Innere fest; die soziale Einhegung der bürgerlichen Frau im Haus folgte etwas später, die Abschaffung der spartenübergreifenden Spielerei der Wanderbühnen durch die „stehenden“ ebenfalls. Davor aber war Karoline Schulze -Kummerfeld: barocker Mensch, weiblich, ein Modell, das kurz danach eingestellt wurde.

Mit diesem Vorbürgerlichen hängt wohl die Faszination zusammen, die „das fahrende Frauenzimmer“ auf die Neuherausgeberin ihrer Autobiografie, Inge Buck, ausübt. Eine Faszination, die zu sehen war, als sie jetzt im Frauenkulturhaus diese erste Lebensgeschichte vorstellte, die eine Schauspielerin überhaupt geschrieben hat. Schauspielerinnen gab es in Europa erst seit den Wanderbühnen, vorher spielten 2000 Jahre Männer auch diese öffentlichen Rollen.

Vieles in der Frauenbewegung und der alternativen Theaterbewegung scheint anzuknüpfen scheint an vorbürgerliche Leben wie das der Schulze-Kummerfeld. Inge Buck selber hält sich auch nicht an die Trennung der beruflichen Rollenfächer, schreibt Gedichte, macht Funkfeatures über Frauen im Gefängnis und auf der Bühne, ist Theaterwissenschaftlerin und unterrichtet StudentInnen der Hochschule

Bremen in Sozialpädagogik.

Dabei ist das Modell Kummerfeld als beispielsetzende Emanzipationsrezeptur völlig untauglich. Es handelt wenig vom Wie-es-sein-sollte und viel von Erfahrung. Dem Herumfahren, das hart, überlebens-und geldtüchtig macht, dem Erfahren herzoglicher Zudringlichkeit, die eine öffentliche Frau auch für eine Hure hält, der Brutalität des Sieben -Jährigen Krieges, der Gaunerein der Theater-Prinzipale. Kummerfeld schreibt keine Geschichte der Ständegesellschaft

vor der französischen Revolution, dennoch erfahren wir viel davon durch eine Frau, für die - vorbürgerlich Erfahrung Erfahrungen und nicht Herzensergiessungen waren. Sie schreibt: „Ich will keine Theatergeschichte, sondern nur meine eigene schreiben.“ Aber diese eigene ist die des Wandertheaters, Reisen auf Mistkarren, Kutsche, Schiff, sie ist die Flick-und Putzarbeit, die die Familie, wenn die Zuschauer ausbleiben, vor dem Verhungern bewahrt. Da steht Chaotisches, Elendes, Erfolgrei

ches hart aneinander. Das Subjekt drückt sich noch sehr objektiv aus, seine Lebensgeschichte enthält viel Welt. Sieht auf sich selber als einen Teil davon: „Die Natur hatte mich verschwenderisch schön gebildet.“ So war es eben.

Die Erfolgreiche heiratet mit 23 Jahren den Hamburger Bankschreiber Kummerfeld, aus Sicherheitskalkül, - die Beschreibung der in hohler Pose erstarrten Hochzeitsgesellschaft gehört zum Schönsten, - der Mann wird verrückt, mit 30 Jahren kehrt sie auf die Bühne zurück, verläßt sie

entgültig mit 40, macht eine Nähschule auf, schreibt ihre Memoiren und lebt noch dreißig Jahre incognita. Es war, wie es war.

Dies Buch mit seiner harten, unbiegsamen Sprache, seiner sorgsamen, bebilderten Edition mit kluger Einleitung und Zeittafel, ist etwas für Liebhaberinnen von Quellen.

Uta Stolle

Inge Buck (Hg.): Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze -Kummerfeld 1745 -1815. Orlanda Frauenverlag. Berlin 1988. 36 Mark.

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