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Ein Lehrstück aus der Praxis

■ Das Elbschlick-Forum sucht nach Alternativen zur Deponierung – doch Niedersachsen hat sich schon verpflichtet, den Schiet aufzunehmen

Als wär's ein Lehrstück für die politische Praxis in dieser unserer real existierenden Demokratie: Das Elbschlick-Forum berät über Möglichkeiten zur Vermeidung, Verminderung oder Verwertung der jährlich etwa 900.000 Kubikmeter Hamburger Hafenschlick, die anteilig auf Deponien in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gelagert werden sollen. Die niedersächsische Landesregierung sichert volle Unterstützung zu; Ministerpräsident Schröder persönlich beteuert, das Forum solle erst einmal ein Jahr lang in Ruhe arbeiten. Erst dann fällt eine Entscheidung, ob es eine Deponie geben wird oder nicht.

Dabei wird so getan, als könne Niedersachsen darüber frei entscheiden. Mit keinem Wort werden die Verpflichtungen erwähnt, aufgrund derer die Stadt Hamburg Druck auf ihr Nachbarland ausüben kann. Aber was bisher nur vermutet wurde, ist jetzt bestätigt worden: Hamburg hat die Abgabe des Cux-havener Amerikahafens an Niedersachsen vor einigen Monaten mit der Auflage verknüpft, daß das Flächenland über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg Deponie-flächen für je 200.000 Kubikmeter Elbschlick stellen muß. Das geht aus einer Veröffentlichung der Handelskammer Hamburg hervor, der Oktoberausgabe der Hamburger Wirtschaft. In dem Artikel wird der Druck der „Ablehnungsfront“ aus dem Umland moniert und ein „vernünftiges Herangehen an die Problematik, nicht das Schüren von Emotionen“ gefordert.

Damit liegt in Niedersachsen ein ähnlicher Sachverhalt vor wie in Schleswig-Holstein. 1988 hatte sich Hamburg in einer als Mitteilung an den Senat veröffentlichten Rahmenvereinbarung bereiterklärt, 20 Millionen für die Anbindung Norderstedts an das U-Bahnnetz zu finanzieren. Im Gegenzug wurden die erhöhte Hausmüll-Abnahme durch die Zentraldeponie im Kreis Bad Segeberg sowie die Errichtung einer Deponie für den Hamburger Hafenschlick vereinbart. Sechs Gemeinden wurden dann 1991 damit überrascht, daß sie für eine Schlickdeponie in Betracht kommen. Die Anwohner fühlten sich „überfallen“ und sind bis heute zu einem Dialog mit den Behörden nicht bereit.

Politisch integer handelt keine der beiden Landesregierungen. Die Hannoveraner verschweigen den Bürgern ihre Verpflichtungen und lassen sie glauben, in vermeintlich „ergbnisoffenen“ Verfahren wäre noch echte Mitbestimmung möglich. Die Kieler Kollegen geben sich erst gar nicht den Anschein, als könnten Politikerhandlungen von Bürgerstimmen beeinflußt werden und stellen die Betroffenen gleich vor vollendete Tatsachen.

Beiden Ländern kann vorgeworfen werden, daß sie Hamburg nicht stark genug dazu gedrängt haben, zunächst nach Alternativen zur herkömmlichen Deponierung zu suchen. Das bleibt jetzt dem „Elbschlickforum“ in Niedersachsen überlassen, das ja tatsächlich über das Stadium des „Schürens von Emotionen“ längst hinausgewachsen ist und ganz im Sinne der Hamburger Handelskammer nach vernünftigen Argumenten sucht - denn vernünftig ist in diesem Fall, zunächst einmal die für Bevölkerung und Umwelt schädlichen Giftberge zu vermeiden.

Beim ersten Treffen des Arbeitskreises im Elbschlickforum wurde am Donnerstag das weitere Vorgehen des Forums besprochen. Dabei einigten sich die Teilnehmer - Vertreter von Bürgerinitiativen, Gemeinden, Naturschutzverbänden sowie Wirtschaft und Landwirtschaft -, ihre Analysen zunächst auf die Oberelbe zu konzentrieren. Auf Basis von Untersuchungen der ARGE Elbe und der Internationalen Elbschutzkommission will der Arbeitskreis überprüfen, welche Möglichkeiten es gibt, das Übel an der Wurzel zu packen: Wenn sich keine giftigen Sedimente mehr elb-abwärts auf den Weg machten und auch in Hamburg selbst Schadstoffeinleitungen gestoppt würden, gäbe es zwar immer noch Hafenschlick in Hamburg. Aber der könnte dann (problemlos?) in der Nordsee verklappt oder anderweitig eingesetzt werden. Birgit Maaß

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