Ein Komplott des türkischen Geheimdienstes?

■ Das Hamburger Amtsgericht ließ den mutmaßlichen Bombenleger Faruk Bozkurt nach dreimonatiger Untersuchungshaft überraschend frei / Verdacht der „Vorbereitung eines Attentats“ auf den türkischen Konsul wegen unzureichender Beweislage niedergeschlagen / Spekulationen über die eigentlichen Drahtzieher

Von Kai von Appel

Hamburg (taz) - Ist die Hamburger Polizei einer Aktion des türkischen Geheimdienstes gegen Sympathisanten der „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK) auf den Leim gegangen oder sogar in sie verwickelt? Diese Vermutungen bekommen nun scheinbar auch offizielle Bestätigung, nachdem das Hamburger Amtsgericht am Donnerstag überraschend den Kurden Faruk Bozkurt nach dreimonatiger Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt hatte. Der junge Kurde war am 15. August nach einer spektakulären Polizeiaktion als mutmaßlicher Bombenleger vor einem mit Sprengstoff gefüllten Schließfach am Hamburger Hauptbahnhof festgenommen worden. Mitten in Hamburgs Senatskrise um die Polizeiskandale platzten die Fahnder mit einer unerwarteten „Erfolgsmeldung“: „Innensenator Pawelczyk rettete Türken–Konsul das Leben... Mordplan der Befreiungskämpfer“. Die Staatsschützer gaben an, ein fein eingefädeltes Bombenattentat der seit zwei Jahren im be waffneten Widerstand in türkisch– Kurdistan kämpfenden PKK auf das türkische Konsulat aufgedeckt und schließlich Faruk Bozkurt im Besitz des Sprengstoffes als gedungenen Mörder überführt zu haben. Vom „Coup“ zum Flop Doch der große Polizeicoup, mit dem Innensenator Pawelczyk wahlkampfmäßig die Schlagkraft von Verfassungsschutz, Staatsschutz und Polizei unter sozialdemokratischer Führung unter Beweis stellen wollte, entpuppte sich bereits nach wenigen Tagen als Flop. Zumindest konnte der junge Kurde - der zwar anfangs zum Schutz seiner Gesinnungsgenossen vom „Arbeiterverein aus Kurdistan“ (ein Ableger der PKK in Hamburg) behauptete, den Schließfachschlüssel auf dem Hauptbahnhof gefunden zu haben - eine ebenso plausible Version der Ereignisse vorbringen: Danach ging am Morgen des 15. August beim Arbeiterverein ein anonymer Brief ein, der einen Schließfachschlüssel und eine Aufforderung enthielt, „interessantes Material“ aus einer der Aufbewahrungsboxen abzuho len. Nach anfänglichem Zögern und Diskussionen sei dann Bozkurt im Auftrag des Arbeitervereins auf seinem Heimweg zum Hauptbahnhof gefahren - wo die Polizei schon auf ihn wartete -, um nach dem Inhalt zu sehen. Die wartenden Fahnder ließen dem Kurden nicht einmal die Möglichkeit, sich nach Inspektion des explosiven Inhalts von dem Fach zu entfernen, um womöglich selbst die Polizei einzuschalten. Und damit nicht genug: Die Polizei mußte kurz darauf zugeben, daß sie eigenhändig den anonymen Brief inclusive Schließfachschlüssel, den sie vorher aus der Post des Arbeitervereins abgefangen haben will, zu den Kurden tranportierte. Heimtückisches Komplott? Aufgrund der dubiosen Umstände der Bozkurt–Verhaftung und den Verwicklungen der Polizei vermuteten die Kurden hinter der gesamten Affäre ein „heimtückisches Komplott“ des türkischen Geheimdienstes (MIT). Unlängst hatte nämlich die „Abteilung für Operation und Antiterror“ beim „Amt für Spezialkriegsführung“ in Ankara damit ge prahlt, den Kampf gegen Widerstandsorganisationen auch außerhalb der Landesgrenzen erbarmungslos zu führen. Die These eines „Geheimdienstkomplotts“ wurde auch nicht durch die Ermittlungsakten, die den Bozkurt–Anwälten Hartmut Jacobi und Enno Jäger erst nach sieben Wochen zur Verfügung gestellt wurden, entkräftet. Im Gegenteil: Die Ermittlungsergebnisse strotzen nur vor Merkwürdigkeiten und Widersprüchen. So wollte die Polizei bereits am 13. August von dem geplanten Attentat Kenntnis bekommen haben. In einem Brief an eine Altonaer Revierwache unterrichtete ein angebliches „PKK–Mitglied“ die Staatsorgane darüber, daß seine Partei in einem „gemieteten Schrank im Hauptbahnhof“ Sprengstoff für einen Anschlag auf den Konsul aufbewahre. Die Revierbeamten schickten diesen Brief nicht etwa mit einem Einsatzwagen, sondern mit der normalen Behördenpost an den Staatsschutz. Obwohl also dieses Schreiben erst am 14. August (Eingangsstempel) bei der Staatsschutzabteilung FD 721 einging, schrieb die gleiche Abteilung be reits einen Tag zuvor eine detaillierte Bewertung der PKK–Aktivitäten. Tenor: Bombenanschläge gehörten zwar zu den Kampfformen der PKK, seien aber bislang von dieser Organsation außerhalb Kurdistans niemals angewendet worden. Herkunft des Sprengstoffes ungeklärt Der Staatsschutz überwachte fortan die Post des Arbeitervereins, nicht aber die Schließfächer im Hauptbahnhof. Tatsächlich befand sich am Morgen des 15. August, so die Ermittlungsakten, ein Brief mit einem Schlüssel für die Hauptbahnhof–Aufbewahrungsbox „158“ in der abgefangenen Post für den Arbeiterverein. Erst jetzt machten sich die Staatsschützer zum Hauptbahnhof auf. Das Kuriosum: Noch bevor die Polizei in den Mittagsstunden in einer groß angelegten Aktion mit Bombenexperten das Schließfach „158“ öffnete, das tatsächlich zwei Kilogramm US–Sprengstoff und einen an PKK–Erklärungen angeglichenen Mordauftrag enthielt, präparierten sie das Schließfach „747“ und sandten dem Arbeiterverein diesen Schlüssel zu. Die Behörden weigern sich seither, das Original des Briefes den Ermittlungsakten beizufügen, weil sonst, so die Staatsanwaltschaft, Rückschlüsse auf die Herkunft des Schreibers möglich seien. Momentan befindet sich lediglich eine geschönte, ins Deutsche übersetzte Abschrift in der Akte. Obwohl sich die Hamburger Polizei von Anfang an auf dünnem Eis bewegte und sich in zwielichtige Methoden verstrickte, deckten die Ermittlungsrichter mit ihrem Haftbefehl das Vorgehen. Umso verblüffender jetzt die Haftentlassung mit der Begründung des „mangelnden Tatverdachtes“. Offenbar sollte der Hamburger Innenbehörde vor allem vor dem Hintergrund des laufenden Bürgerschaftswahlkampfes und der politischen Dimension des Verfahrens ein neuer Skandal erspart bleiben. Da sich der „Fall Bozkurt“ nach seinem fünfwöchigen Hungerstreik nunmehr zu einem Justizskandal auszuweiten drohte, zogen die Richter nach Verstreichen der Schonfrist für die Innenbehörde die Notbremse. Es bleibt nun abzuwarten, ob überhaupt Anklage erhoben und der „Fall Faruk Bozkurt“ noch ein politisches Nachspiel haben wird.