: Ein Königreich droht zu verarmen
Abschied von der Mittlerrolle: Der Friedensvertrag zwischen Israel und der PLO stürzt Jordanien in wirtschaftliche und politische Nöte / Gestritten wird um die nationalen Interessen ■ Aus Amman Khalil Abied
Die Bürger des Haschemitischen Königreichs Jordanien erlebten in der vergangenen Woche gleich zwei Überraschungen. Zuerst wurde am Dienstag im Palast entschieden, die nächsten Parlamentswahlen nicht wie mehrfach angekündigt zu verschieben, sondern wie geplant am 8. November stattfinden zu lassen. Dann trafen sich am Freitag in Washington der jordanische Kronprinz Hassan Bin Talal und der israelische Außenminister Schimon Peres zu einem Gespräch und reichten sich zum Abschluß vor der versammelten internationalen Presse die Hände. Offiziell befinden sich Israel und Jordanien noch im Kriegszustand.
Seit der Unterzeichnung des „Gaza-Jericho-Abkommens“ zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der israelischen Regierung herrscht in den politischen Zirkeln Jordaniens Verwirrung. Zuerst dominierte Verärgerung über den „Betrug der palästinensischen Brüder“ an der gemeinsamen arabischen Sache. Kurze Zeit später setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, daß die Ablehnung des in Oslo ausgehandelten Geheimabkommens Jordanien völlig in die Isolation treiben würde.
Wenige Tage nach dem historischen Handschlag zwischen PLO- Chef Jassir Arafat und dem israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin am 13. September in Washington empfing der jordanische König Hussein den PLO-Chef in der Hauptstadt Amman. Jordanische Fernsehzuschauer registrierten die demonstrativ herzliche Umarmung und die zahlreichen Küsse auf Wangen und Stirn, mit denen der König Arafat bedachte.
Jordanien muß befürchten, durch die israelisch-palästinensischen Vereinbahrungen seine geopolitische Rolle in der Region zu verlieren. Jahrzehntelang hatten die Regierungen in Israel und den USA die PLO als Verhandlungspartner abgelehnt. Sie behandelten statt dessen die jordanische Führung mehr oder minder als Vertretung der Palästinenser. Die Folge für das Königreich: umfangreiche politische und finanzielle Unterstützung aus den USA und Westeuropa. Nun fürchtet man in Amman, diese an die Palästinenser zu verlieren. Bei der internationalen Hilfskonferenz für die Palästinenser am Freitag in Washington trat deswegen neben der PLO auch der jordanische Kronprinz als Bittsteller auf.
Jordanien hofft, daß dessen internationale Gläubiger dem Land Ausstände von fast sieben Milliarden US-Dollar stunden. Die Schulden hat das Königreich nach offizieller Lesart durch seine langjährigen Verpflichtungen gegenüber den Palästinensern angehäuft. Darüber hinaus wünscht sich das Königshaus für die kommenden Jahre aus dem Ausland Finanzhilfen in Höhe von sechs Milliarden Dollar. König Hussein weiß, daß er diese Unterstützung nur bekommt, wenn Jordanien bald einen Friedensvertrag mit Israel unterschreibt. Daher gab er seinem jüngeren Bruder Hassan grünes Licht für den Handschlag mit Peres.
Der Plan für eine Teilautonomie der Palästinenser im Gaza-Streifen und in Jericho dürfte auch die demographische Situation Jordaniens verändern. Fast zwei Drittel der insgesamt 3,5 Millionen Einwohner des Landes sind Palästinenser. Sie spielen eine entscheidende Rolle in der jordanischen Wirtschaft, im Bankgeschäft, im Dienstleistungsgewerbe und in der Bauindustrie. Die Jordanier müssen nun damit rechnen, daß zahlreiche wohlhabende Palästinenser entweder ganz in die teilautonomen Gebiete überwechseln oder künftig zwei Heimatorte haben werden.
Das jordanische Schreckgespenst heißt „Kapitalflucht“. Es wird befürchtet, die Palästinenser könnten mit ihrem östlich des Jordan erwirtschafteten Vermögen und internationaler Hilfe auf der anderen Seite des Flusses einen boomenden Nachbarstaat aufbauen, während das Königreich verarmt. Die ersten Spuren dieser Angst lassen sich bereits an der jordanischen Börse ablesen. Dort sind die Umsätze in den letzten Wochen um 30 Prozent gesunken. Die meisten jordanischen Aktien haben zwischen zehn und 15 Prozent an Wert verloren. Bauvorhaben sind ein Risikogeschäft geworden, seitdem die Preise für Immobilien im letzten Monat um durchschnittlich ein Viertel sanken.
Angesichts des erstarkenden Selbstbewußtseins der Palästinenser werden in der jordanischen Führung Forderungen laut, die „jordanische Identität“ zu schützen und Interessen des Landes zu verteidigen. Jordanien müsse „jordanisiert“ werden, lautet ein eilig formuliertes Rezept.
Die meisten Palästinenser in der Westbank haben jordanische Reisedokumente. Das Gebiet war einschließlich des Ostteils von Jerusalem zur Zeit der israelischen Eroberung im Jahre 1967 jordanisches Staatsgebiet. In den letzten Wochen hatten zahlreiche Palästinenser Probleme, ihre für jeweils zwei Jahre gültigen Pässe zu verlängern. Nachdem jüngst die israelischen Behörden die Reisebedingungen für Palästinenser aus den besetzten Gebieten erleichterten, versuchen neuerdings die Jordanier, den Einreiseverkehr von der Westbank ins Königreich einzuschränken. Palästinenser, die über die Jordanbrücke kommen, müssen nun den jordanischen Grenzern ihren Besuch begründen und die Aufenthaltsdauer festlegen. Die jordanischen Behörden behaupten, mit diesen Maßnahmen einer angeblich von Israel geplanten Entvölkerung der besetzten Gebiete vorbeugen zu wollen.
Angesichts des Ergebnisses der Geheimverhandlungen zwischen der PLO-Führung und der israelischen Regierung hatten führende jordanische Politiker gefordert, die für den 8. November geplanten Parlamentswahlen zu verschieben. Das Abkommen sieht für den kommenden Juli Wahlen zu einer palästinensischen Kommunalverwaltung im Gaza-Streifen und in Jericho vor. Vor der Wahl eines neuen jordanischen Parlaments sollte diese Abstimmung abgewartet werde, hieß es. Mehrere jordanische Regierungsmitglieder, darunter Staatsminister Dschawad Anani und Informationsminister Maan Abu Nawar, forderten, die Palästinenser müßten sich für einen der beiden Urnengänge entscheiden. Wer sich an den „palästinensischen Wahlen“ beteilige, signalisiere damit, daß er nicht mehr Bürger Jordaniens sei.
Die meisten Palästinenser wollen aber ihre in Jordanien erworbenen Rechte nicht aufgeben und fordern eine Lösung, die es ihnen erlaubt, sich zwischen beiden Ufern des Jordans frei zu bewegen. Der jordanische König stellte sich schließlich auf die Seite seiner bisherigen palästinensischen Untertanen. „Wer die Rechte eines Jordaniers aufgrund dessen Herkunft verletzt, wird bis zum Tag des Jüngsten Gerichts mein Feind sein“, sagte er in einer Rede und meinte damit wohl auch seine Minister. Obwohl schon ein Dekret zur Verschiebung der Wahlen aufgesetzt war, entschied Hussein persönlich in letzter Minute, diese zum geplanten Termin stattfinden zu lassen.
Nach Ansicht politischer Beobachter zielt die hoheitliche Entscheidung darauf, das „palästinensische Kapital zu beruhigen.“ Zudem wolle der Monarch das Bild seines Landes im Ausland durch einen rasch vorangetriebenen Demokratisierungsprozeß verbessern. Diese Strategie soll es ihm erleichtern, von den reichen westlichen Staaten Wirtschaftshilfe zu bekommen.
Hinter dem Entschluß, an dem Wahltermin festzuhalten, darf auch ein innenpolitischer Grund vermutet werden. Laut der jordanischen Verfassung müßte der König bei einer Verschiebung der Wahlen das von ihm am 5. August aufgelöste alte Parlament wieder einberufen. Darin sind aber die Muslimbrüder stark vertreten. Die Islamisten lehnen das „Gaza-Jericho-Abkommen“ und den vom König geplanten Friedensschluß mit Israel strikt ab. Das von der jordanischen Regierung vor einigen Monaten verabschiedete neue Wahlgesetz sichert den königstreuen Parteien am 8. November aller Vorraussicht nach eine absolute Mehrheit.
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