: Ein Klub sortiert sich
Bundesliga Vor dem Auftakt in München steckt Bayer Leverkusen in der Selbstfindung. Trainer Heiko Herrlich sucht noch seine Rolle. Und der Vorstand guckt sich um
aus Leverkusen Daniel Theweleit
Heiko Herrlichs Gesicht leuchtet erfreut auf, als am Donnerstagmittag die zuckersüßen Bilder von seiner ersten Partie beim FC Bayern München vor seinem inneren Auge auftauchen. An jenem Oktobertag des Jahres 1989 war Herrlich 18 Jahre alt, absolvierte sein erstes Profijahr als Stürmer von Bayer Leverkusen und durfte helfen, das 1:0 seines Kollegen Marek Lesniak über die Zeit zu retten. „Ich bin zwar erst spät eingewechselt worden, aber ich habe da sehr schöne Erinnerungen dran“, sagt Herrlich vor dem Bundesligaauftakt, der ihn am Freitagabend wieder nach München führt. Diesmal als neuer Trainer von Bayer Leverkusen.
Der 45-Jährige feierte seither als Spieler zwei deutsche Meisterschaften, einen DFB-Pokal-Sieg, den Champions-League-Titel und gewann den Weltpokal, erkrankte an einem Hirntumor und wurde geheilt und begann eine Trainerkarriere. Während der Sieg von 1989 zum Symbol für die Leverkusener Vergeblichkeit wurde. Es sollte für 23 Jahre der letzte Erfolg bleiben. Er freue sich sehr auf das Spiel, versichert Herrlich nun tapfer und fordert von seiner Mannschaft, derart widerspenstig aufzutreten, dass die Münchner sich im Verlauf des Abends fragen: „Mist, warum müssen wir ausgerechnet gegen Leverkusen spielen?“
Wahrscheinlicher ist natürlich, dass der Meister das in über 200 Länder übertragene Duell nutzt, um vor den Augen der Welt direkt die eigene Vorherrschaft zu untermauern. Zumal die Stimmung bei Bayer Leverkusen immer noch getrübt ist nach dem fürchterlich missratenen Vorjahr. Wirklich aufgearbeitet ist die Katastrophensaison noch nicht, man kann das an den kleinen Dingen erkennen.
Zum Beispiel an Herrlichs Weigerung, die Frage zu beantworten, was er anders mache,als seine Vorgänger Roger Schmidt und Tayfun Korkut. „Das kann ich nicht beantworten, weil ich nicht weiß, was vorher alles gemacht wurde“, erwidert er ausweichend.
Überhaupt ist Bayer Leverkusen im Selbstfindungsprozess. Nach Berichten aus der Schweiz wirbt Werner Wenning, der mächtige Aufsichtsratschef der Bayer AG, der dem Gesellschafterausschuss der Fußballtochter vorsitzt, um Bernhard Heusler als Geschäftsführer. Der Anwalt aus der Schweiz ist gerade als Präsident des FC Basel zurückgetreten, wo er acht nationale Meisterschaften in Folge feierte und den Klub reich machte. Und Bayer scheint einen Nachfolger für Michael Schade zu suchen.
Immer deutlicher werde, „dass die furchtbare Vorsaison logische Folge der Arbeit in der Führung des Werksklubs war“, stellte der Kölner Stadt-Anzeiger in der Sommerpause fest, es fehlen Ideen und Innovationen. Sogar den Markt für Sportdirektoren, die Rudi Völler beerben könnten, soll der Gesellschafterausschuss beobachten. Viel zu lange hielt Völler im Vorjahr an Trainer Roger Schmidt fest, kam bei Trainerkandidaten wie Peter Bosz oder Demenico Tedesco zu spät, und für Thomas Tuchel war Bayer Leverkusen auch wegen der von Völler und Schade geprägten eher konservativen Unternehmenskultur nie eine ernsthafte Option.
Am Ende musste Bayer Leverkusen mit Herrlich Vorlieb nehmen, der zuvor zwar Jahn Regensburg mit einem sehenswerten Fußball aus der vierten in die zweite Liga führte, beim VfL Bochum der SpVgg Unterhaching, den Jugendteams des FC Bayern oder des DFB aber nie besonders auffiel. Völler erwartet trotzdem viel, „unser Mindestziel ist die Europa League, Wunschziel ist die Champions League“, sagt der Sportchef. Wenn das nicht klappt, würde sich aber in Leverkusen auch niemand wundern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen