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Ein Käfer zum Hocken

Der Berliner Nachwuchsdesigner Adrian Lippmann entwirft Möbel, die aussehen wie eine abgelegte Verpackung  ■ Von Kirsten Niemann

Was ist das? Wie ein Sitzmöbel sieht das Ding nicht aus, eher wie eine abgelegte Verpackung: Die Blechtrommel von etwa einem Meter Länge ist mit auf links gewendetem Teppichboden verkleidet. Dabei hockt es sich gar nicht schlecht darauf, ein bißchen unruhig vielleicht. „Man muß eben balanciert sitzen“, sagt der 31jährige Designer Adrian Lippmann. „Aus ergonomischer Sicht ist das eine empfehlenswerte Haltung.“ Doch nicht nur zum Sitzen taugt die Röhre, die Lippmann auf den Namen Torpedokäfer getauft hat: Man kann auch hineinkriechen oder in dem Hohlraum Bettzeug und andere Dinge verstauen. Der Torpedokäfer – ein multifunktionales Möbelstück, dessen Bestimmung auf den ersten Blick nur mit reichlich Phantasie zu erahnen ist.

Lippmann hat ein abstraktes Verständnis von Möbeln. Davon zeugt die riesige Tischtennisplatte, die dem Designer zu Hause als Arbeitsplatz dient und ihm Raum für Bücher und Computer gibt. Oder der Twister, eine Spirale, die mit Hilfe eines Eisenstabes an der Wand befestigt wird. Ein ebenfalls mulitunktional verwendbares Objekt: Es läßt sich nicht nur als Wandgarderobe benutzen, sondern auch als Stauraum für Zeitungsrollen.

Schon während seines Studiums am Fachbereich Produktdesign an der Berliner Hochschule der Künste kultivierte der gebürtige Dresdner seine eher ungewöhnliche Haltung gegenüber Einrichtungsgegenständen. „Unartiges Design“ – so der Titel seiner Diplomarbeit, die er vor zwei Jahren beendet hat – wirbt für Minimalismus und Abstraktion. Adrian Lippmann bewegt sich damit in einem Grenzbereich zwischen Kunst und Design: Er kreiert neue Möbel und Accessoires aus Abfallprodukten, konzentriert sich aufs Sammeln und Kombinieren. „Man kann den Ready-made-Gedanken gut weiterführen“, sagt Lippmann. „Denn Material ist teuer.“ Fundsachen zum Wohnen. Eine Haltung, die damals an der Hochschule der Künste nicht ganz unumstritten war.

„Industrieabfälle wie gestanzte Bleche, Pappen, Aluminium und Kunstoffbehälter sind interessant“, erklärt Lippmann, „weil sie eine eigene Geschichte erzählen.“ Es folgte eine Bestandsaufnahme der Materialien. Er erstellte einen Gesamtkatalog und streunte im Vorfeld seiner Diplomarbeit durch zahlreiche Betriebe und Hinterhöfe, durchsuchte die Müllcontainer von Recyclingfirmen nach neuem Trash, Gumminippeln, Stanz- und Plastikabfällen. Wie die Berliner Modedesignerszene Mitte der neunziger Jahre dem Reiz alter NVA-Decken und abgelegter Fallschirmseiden erlag und daraus trendbewußte Mäntel und Hosen schneiderte, bastelte Lippmann Hocker aus Kabelrollen, Kinderwipphocker aus geteilten Pappröhren, Wandgarderoben aus Metallspiralen und Leuchtkörper aus zylindrischen Kunstofftrommeln, die er von einer Baumwollspinnerei abstauben konnte.

Oder man nehme ein Din- A-3-großes Blech, schneide Löcher hinein und klemme es mit einer handelsüblichen Neonröhre an die Wand. Das Ergebnis heißt „Rons Light“, eine in reduziertem Schick gestaltete Lampe, die 1997 auf der „anteprima“, einer Nachwuchsdesignermesse in Leipzig, ausgezeichnet wurde.

„Selbst roh belassen, aus ihrem bisherigen Kontext gehoben, bieten diese Dinge ein ungeahntes gestalterisches Potential.“ Schon während seiner Diplomarbeit stellte er einige Objekte in der HDK-Galerie Designtransfer aus und organisierte „Pool for Tools“, ein vierwöchiges, von der Ikea- Stiftung gefördertes Laden-Galerie-Projekt in einer Fabriketage in Mitte. Zusammen mit anderen Kommilitonen verkaufte er hier gesammelte Dinge, die sich zur Weiterverabeitung eignen. Dinge, die die Käufer zu eigenen Gestaltungsmöglichkeiten inspirieren sollten. Ganz nach dem Motto: „Low-tech for Low-budget“. Neues Design – mit nur wenigen Handgriffen erstellt und dabei nicht einmal teuer.

Obwohl mittlerweile einige Lippmannsche Objekte wie etwa der Torpedokäfer, der Twister und die Lichttonne in manchen Geschäften zu kaufen sind (im Partout, dem Exil und dem Design- Laden an der Neuen Schönhauser Straße), reicht der Erlös noch lange nicht zum Leben. Schon vor Abschluß seines Studiums begann der Designer das Interieur von Kneipen und Gaststätten in seiner sächsischen Heimatstadt zu gestalten. Darunter das modern gestylte Café Reale in der Dresdner Neustadt, das er von der Baugrube bis zur Eröffnung betreut hat. Oder das Prager Lokal Wenzel, ein Gewölbekeller mit Holzmobiliar und Deckenbemalung. Seine Environments sind Konzepte, die von der Beleuchtung über den Bau des Tresens und der Deko bis hin zum Layout der Visiten- und Speisekarte reichen.

Innenraumgestaltungen sind langfristige Arbeiten, die zu Kompromissen mit Auftraggebern zwingen. Wenn Adrian Lippmann einzelne Möbel entwirft, bleibt er seinem Ready-made-Konzept treu: wie bei der Gestalt des 18-Flyers, einem auf Stühlen schwebenden Bett mit Nachtkästchen. Bislang existiert das Objekt lediglich als Prototyp, es ließe sich jedoch wunderbar in Serie produzieren: die Stühle sind nicht aus Industrieabfällen, sondern fertig gekauft.

Kontakt: Tel.: 441 80 83

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