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Ein Jahrgang der Extreme

Ein verrücktes, ein kurioses, ein ungerechtes, ein „neidiges“ Jahr, wie die Winzer sagen. Der Weinjahrgang 2002 wird in Qualität und Menge extrem unterschiedlich ausfallen. Das Wichtigste: Die Sachsenweine sind wider Erwarten nicht ins Wasser gefallen. Die von der Flut schwer gebeutelten Winzer an der Elbe haben überwiegend gute Qualitäten vom Stock geholt. Klaus Zimmerling hat in Dresden sogar „sehr gute“ Moste im Spätlesebereich gekeltert, teilweise „mit Bilderbuchtrauben“ und beachtlichen 95 Oechsle bei Grauburgunder und Kerner. Ein Stück Wiedergutmachung für das verheerende Hochwasser.

Richtig euphorisch äußerten sich einige Winzer an Mosel, Nahe, Mittelrhein und im hinteren Rheingau bei Rüdesheim. Reinhard Löwenstein hat an der Terrassenmosel in Winningen gleich als Erstes eine Trockenbeerenauslese aus edelfaulen, rosinenförmig zusammengeschrumpelten Rieslingtrauben gelesen mit rekordverdächtigen 250 Oechsle. Wie schon im Vorjahr wird Löwenstein wohl keinen einzigen Most unter 85 Oechsle einfahren. Bei den an der Mosel geforderten, niedrigen Mostgewichten wären das zu hundert Prozent Auslesen. Allerdings hängt ein großer Teil noch an den Stöcken – mit nicht unerheblichem Restrisiko. Löwenstein: „2002 wird bei uns nicht so herausragend wie 2001, aber auf alle Fälle wieder ein guter Jahrgang.“

Josef Leitz in Rüdesheim ist nicht nur von den Mostgewichten, sondern vor allem vom Geschmack der Trauben entzückt. So schöne Aromen habe er noch nie gerochen. Leitz hat diesmal optimal versorgte Trauben, die dank durchgängig begrünter Weinberge und Verzicht auf Düngung den Regen gut weggesteckt hätten. „Hier kracht es richtig, es sieht fantastisch aus!“ Der Riesling liebe ohnehin keine heißen Sommer, sagt Leitz.

Deutlich schlechtere Resultate erzielten die Winzer auf schwereren, tiefgründigeren Böden im vorderen Rheingau, wo teilweise kräftige Fäulnis aufwändige Selektionsarbeiten erforderte. Auch in der Pfalz, in Rheinhessen, Baden und Württemberg haben die Winzer viel Arbeit, um die faulen Trauben auszulesen. Mau sieht es vor allem für den Schwabenschoppen aus. Der Trollinger – ohnehin mit riesigen Beeren gesegnet – saugte in manchen Lagen derart viel Wasser, dass taubeneigroße Früchte an den Reben hingen, die schnell aufplatzten und gammelten. Auch die Mostgewichte waren wenig berauschend. Aber gerade die württembergischen Winzer verzeichneten extreme Schwankungen von Lage zu Lage – je nach Gesteinsformation und Weinbergspflege.

Eine durchschittliche Ernte mit vielen Butter- und Brotweinen kelterten die Frankenwinzer. Karl-Heinz Schmitt vom mainfränkischen Topweingut „Schmitt’s Kinder“ hatte am 22. Oktober achtzig Prozent der Trauben reingeholt und wartete noch „auf die Ausreißer nach oben“. Überwiegend „schöne Kabinettweine“ zwischen 85 und neunzig Oechsle liegen im Keller.

Fritz Keller vom Oberbergener Weingut Franz Keller am Kaiserstuhl kennt „jede Beere mit Vornamen“. Will sagen: Auf seinem Weingut wurden die geernten Trauben anschließend nachselektioniert und auf Fäulnis geprüft. Verluste bis zu vierzig Prozent in einzelnen Lagen waren die Konsequenz. Keller grundehrlich: „Es war nicht so schlimm wie 2000, aber die Fäulnis ist doch erheblich.“

Vorläufiges Fazit für den Jahrgang 2002: Die Qualitäten sind extrem unterschiedlich, der Jahrgang wird insgesamt aber besser ausfallen, als es der Wetterbericht befürchten ließ, mit einigen Highlights in den nördlicheren Anbauregionen. Betrieben, die in den letzten Jahren kräftig Dünger einsetzten, hat der Regen Probleme gebracht. MANFRED KRIENER

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