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Ein Jahr UN-FlüchtlingspaktEine riskante Entwicklung

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Die finanziellen Lücken, die für viele Millionen Menschen ein Leben in Elend bedeuten, vermag der UN-Flüchtlingspakt nicht zu schließen.

Das Asylrecht droht zur Gnade zu schrumpfen Foto: reuters/Muhammad Hamed

N ur Ungarn und die USA stimmten dagegen, und das sagt schon einiges aus. Sonst hatten vor fast genau einem Jahr alle Staaten den UN-Flüchtlingspakt angenommen. Der soll dabei helfen, jene zu entlasten, die das Gros der Flüchtlinge auf der Welt beherbergen: arme Entwicklungsländer.

Doch in den großen Flüchtlingskrisen der Welt ist die Lage weiter düster: Für die Versorgung der Vertriebenen in Bangladesch und Syrien fehlen dem UN-Flüchtlingswerk derzeit rund 40 Prozent der benötigten Summe, in Südsudan 66 Prozent, im Kongo gar 91 Prozent. Und dabei kalkuliert das Flüchtlingswerk mit nicht einmal 100 Dollar pro Person – im Jahr. Diese Lücken, die für viele Millionen Menschen ein Leben in Elend bedeuten, vermochte der Pakt nicht zu schließen. Sie sind etwa genauso groß wie noch vor einem Jahr.

Die andere Entlastungsstrategie, die der Pakt vorsieht, ist die Umsiedlung. Wenigstens ein Teil der Flüchtlinge sollen aus den Lagern im globalen Süden herausgeholt werden. Im Jahr 2018 nahmen 25 Länder 92.400 Flüchtlinge über das sogenannte Resettlement auf – und seither wurden es noch weniger. Dabei schätzt das UNHCR, dass weltweit über 1,44 Millionen besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge einen Aufnahmeplatz brauchen.

Die UN loben die Bundesregierung: Was Zahlungsbereitschaft und Integration Aufgenommener angehe, könnten sich viele Staaten von Deutschland eine Scheibe abschneiden, heißt es. Dieses Loblied auf das Resettlement verstellt allerdings den Blick auf eine riskante Entwicklung. Denn vielen Regierungen in Europa wäre es lieber, wenn Flüchtlingsschutz nur noch als freiwillige Aufnahme und nicht länger als individuelles Recht gehandhabt wird.

Und wer sich mit einer Handvoll freiwilliger Aufnahmeplätze hervortut, kann damit rechtfertigen, die individuellen Zugänge zum Flüchtlingsschutz zu blockieren. Zu beobachten ist diese Argumentation in der EU schon eine Weile. Das ist nicht die Schuld des Flüchtlingspaktes, dürfte aber seine Folge sein. Und dann schrumpft das Asylrecht zur Gnade.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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4 Kommentare

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  • Bei de ganze Hype um die 2% vom BIP Militärausgaben wird gerne übersehen, dass D seinen Verpflichtungen zur Entwicklungshilfe auch nicht erfüllt. Schaut man dann jenseits des Atlantiks sieht man, dass die "great" USA ihre Zahlungsverpflichtungen an die UN nicht erfüllt. Wenn also Vorwürfe erhoben werden, könnte ein Schelm ja auch auf die Idee kommen, einen Teil der UN Zahlungen der USA zu leisten, und bei den Rüstungsausgaben anzurechnen. Dann hätte das UNHCR auch Geld für die Versorgung von Flüchtlingen

    • @Martin_25:

      Ja Danke, sehr objektiv..und deprimierend.. von Christian Jakob der Artikel..



      Aber? ..warum so milde @MARTIN_25 ?



      Diese USA/NATO Forderung nach 2% des BIP für militärische Rüstung.. also quasi für `Kriegsvorbereitung´ im "Europäischen Kriegstheater" ( unter USA Regie..) .. gilt es doch, allgemein, in allen EU Nationen abzuweisen !



      Human und friedlich sinnvoll wäre /ist es doch, 2% des BIP für die Finanzierung der U.N.O. zu geben? Die globalpolitische Agenda des "America first" setzt ja mehr auf Krieg, anstatt auf Frieden und U.N.O. !

  • Wenn das Geld, das Deutschland für Geflüchtete ausgibt, anders verteilt wird, kann die Zahl der menschenwürdig untergebrachten Menschen vervielfacht werden.

    Für den Betrag, den in Deutschland jeder einzelne minderjährige unbegleitete Geflüchtete im Jahr kostet (50.000 Euro) könnte das UN-Flüchtlingswerk die mageren 100 Euro pro Jahr für je 500 Geflüchtete verdoppeln:



    www.focus.de/polit...ng_id_8450546.html

    Geld ist also offensichtlich da, vielleicht sogar im Überfluss, es wird nur nicht gerecht unter den Kriegsflüchtlingen verteilt. Aber warum? Wie konnte es nur zu dieser Ungerechtigkeit kommen?

    • @Elroy Banks:

      was meinen Sie denn mit "gerechter" Verteilung? Deutschland muss die hier lebenden jungen Migranten integrieren, sonst gibt es ungeheuere Spannungen. Was in anderen Ländern passiert, muss dort angegangen werden. Zunächst einmal dauert der Krieg in Syrien zu lange, die Türkei heizt kriegerische Aktionen an, andere Akteure desgleichen. Das schafft Probleme, die kaum zu lösen sind. Sie haben aber mit der Situation in Deutschland nichts zu tun.