■ Ein Jahr Rot-Grün (4): Es gibt keine grüne Außenpolitik, sondern nur die Joseph Fischers – mit den USA für Menschenrechte weltweit: Nie wieder allein
„Deutschland hat in den vergangenen fünfzig Jahren erstmals in seiner Geschichte ganz auf multilaterale Einbindung gesetzt und dadurch die Demokratie, die Freiheit und die Wiedervereinigung erlangt. Unser Land bekennt sich heute aus tiefster Überzeugung zum Multilateralismus.“ In diesem Satz Joschka Fischers vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen ist die aktuelle deutsche Außenpolitik auf den kürzesten Nenner gebracht: Nie wieder allein.
Ein Jahr Außenpolitik der rot-grünen Koalition war keine grüne Außenpolitik, ganz sicher aber war es Fischers Außenpolitik, geprägt von den Maximen des geläuterten Spontis. Dabei kamen ihm die Umstände in geradezu fantastischer Weise entgegen. Zum einen musste Deutschland, nur wenige Wochen nach der Regierungsbildung, den Vorsitz im EU-Ministerrat antreten. Zum zweiten, und das war zweifellos der entscheidende Schritt Joschka Fischers, musste die Bundesregierung erstmals in der Geschichte der Republik wieder über Krieg und Frieden entscheiden. Beides kam dem neuen Außenminister zupass.
Die EU-Präsidentschaft war für Fischer ein Geschenk zum Amtsantritt. Der Mann ist Europäer aus Überzeugung. Europa ist für ihn kein Lippenbekenntnis, sondern das wichtigste praktische Projekt deutscher Außenpolitik. Schon aus der Opposition heraus hat Fischer den Europapolitiker Kohl unterstützt. Wo andere über die deutsche Scheckbuchpolitik mäkelten, war für Fischer schon lange klar, dass die europäische Integration gerade für Deutschland so wertvoll ist, dass sie mit Geld gar nicht aufgewogen werden kann.
Tatsächlich war und ist eine der großen Sorgen des Politikers Joschka Fischer, dass sich die CDU/CSU, dass sich die deutschen Konservativen, zu denen ja im Herzen auch etliche SPDler gehören, nach der deutsch-deutschen Vereinigung und dem Abgang von Helmut Kohl aus dem Projekt der europäischen Integration verabschieden könnten. Das Raunen von der neuen Rechten bis zu den alten Stahlhelmern der Union hatte bei Fischer bereits in den ersten Jahren nach der deutschen Vereinigung die Alarmglocken schrill läuten lassen.
Jetzt bot sich gleich zum Amtsantritt die Gelegenheit, zu demonstrieren, dass das „Risiko Deutschland“ europapolitisch weiterhin Kurs halten würde. Auch wenn viele der praktischen Probleme der EU-Vertiefungs- und -Erweiterungspolitik während der deutschen Präsidentschaft nicht gelöst werden konnten und Kanzler Schröder mehrfach wie ein Elefant durch den europäischen Porzellanladen stolperte, Fischer hat es zweifellos geschafft, den Partnern innerhalb der EU glaubwürdig zu versichern, dass Deutschland sich auch weiterhin für Europa engagieren wird. Nicht nur für eine Vertiefung der Integration, auch für eine Erweiterung der Union nach Osten und Südosten.
Der Regierung Schröder/Fischer ist häufig vorgeworfen worden, sie würde das Verhältnis zu Frankreich vernachlässigen. Das ist das Ergebnis der politischen Sozialisation ihrer Generation. Der „Erbfeind Frankreich“ war für die 68er-Generation längst Geschichte. Was zählt, sind andere, eigene Erfahrungen, und die haben alle einen eindeutigen Bezugspunkt: die USA. Die Amerikaner waren es, die in Westdeutschland nach 1945 die parlamentarische Demokratie implantierten, und die Amerikaner waren es, die danach, in den Sechzigerjahren, in Vietnam und später in Chile und Nicaragua ihre eigenen Werte verrieten. Positiv wie negativ waren für die 68er und die Generation danach immer die Amerikaner die Projektionsfläche der eigenen politischen Fantasie.
Erst in diesem Kontext wird klar, was Fischer letztlich umtreibt. Wenn er von Westbindung redet, von der Unumkehrbarkeit der Anbindung Deutschlands an die demokratische Verfassungstradition des Westens, dann ist damit nicht Frankreich gemeint, sondern die Zugehörigkeit zur transatlantischen, amerikanischen Welt. Der Antiamerikanismus eines Teils der deutschen Linken, die Debatte um Nato-Ausstieg und Pazifismus, ist für Fischer letztlich nichts anderes als die Wiederauflage eines deutschen Sonderweges in die nationalistische Katastrophe.
„Kein deutscher Sonderweg“, könnte in dicken Lettern über dem Portal des Auswärtigen Amtes stehen, wenn man das Leitmotiv rot-grüner Außenpolitik unter Fischer auf den kürzesten Nenner bringen will. Dafür kam Joschka Fischer der Krieg im Kosovo gerade recht. Man muss nicht unbedingt behaupten, Fischer hätte nicht alles getan, um diesen Krieg zu verhindern, um dennoch festzustellen, dass der Krieg im Kosovo Fischer in mehrfacher Hinsicht die einmalige Möglichkeit geboten hat, gleich mehrere für ihn elementare Anliegen der deutschen Außenpolitik umzusetzen.
Der Lackmustest für die Zugehörigkeit zur transatlantischen Gemeinschaft ist die Bereitschaft, für die Interessen dieser Formation auch in den Krieg zu ziehen. Der Einsatz im Kosovo war dafür die ideale Gelegenheit. Anders als im Golfkrieg ging es im Kosovo um die Durchsetzung von Stabilität und nicht um schnöde Ölinteressen. Da Stabilität im Balkan auch die Voraussetzung für die Einhaltung elementarer Menschenrechte ist, konnte die Nato sogar mit gewissen Recht behaupten, im Kosovo gehe es um das Leben und die Rechte der unterdrückten albanischen Minderheit, in Restjugoslawien werde ein Krieg gegen den nationalistischen Ethnowahn der postsowjetischen Zeit geführt. Mit kaum einer anderen Begründung wäre es für Rot-Grün möglich gewesen, Krieg zu führen, nur so ließ sich der letzte Schritt ins transatlantische Bündnis legitimieren. Darüber hinaus hat der Krieg im Kosovo die zeitweilig über den Jugoslawien-Konflikt drohende Spaltung innerhalb der EU wieder verscheucht. Der Irrweg deutscher Außenpolitik in Jugoslawien, der Alleingang von Genscher und Kohl bei der Anerkennung Kroatiens mit allen schlimmen Folgen in Bosnien, konnte so wieder korrigiert werden. Deutschland war zurück im Verband. Erstmals in diesem Jahrhundert war Deutschland in einem Krieg auf der richtigen Seite.
Joschka Fischer hat darüber hinaus noch das Kunststück vollbracht, im entscheidenden Moment die richtige Politik gegenüber Russland durchzusetzen. Die transatlantische Verankerung ist die Basis der Fischerschen Außenpolitik, aber das Verhältnis zu Russland ist für Deutschland viel entscheidender als für die USA. Sicherheit in Europa ist letztlich nur mit und nicht gegen Russland zu haben. Es ist das besondere Verdienst der Bundesregierung, dass sie alles daran gesetzt hat, Russland in die Lösung des Kosovo-Krieges mit einzubinden, und damit auch Erfolg hatte.
Fischer kann es sich heute leisten, die völkerrechtlichen Schönheitsfehler des Nato-Angriffs im Kosovo zu kritisieren und vor einer Wiederholung zu warnen. Die Vereinten Nationen, ein reformierter Sicherheitsrat, so beschwor er die Völkergemeinschaft in New York, sollten dafür sorgen, dass zukünftig die Verhinderung von Völkermord und anderen schwerwiegenden Menschrechtsverletzungen nicht mehr an der staatlichen Souveränität eines Diktators scheitern. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg, den bislang noch nicht viele Staaten – auch nicht die innerhalb der Nato – mit gehen wollen.
Ob rot-grüne Außenpolitik tatsächlich zu einer stärkeren Menschenrechtsorientierung in der internationalen Politik beitragen kann, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Dazu bräuchte Fischer einen langen Atem und vor allem die Unterstützung im eigenen Land. Da vor allem könnte es erhebliche Probleme geben. Denn während Fischer den serbischen Nationalismus im Kosvo bekämpfte, erhob der Drachen ausgerechnet im heimischen Frankfurt erneut das Haupt.
Als Martin Walser unter dem rauschenden Beifall aller Anwesenden – mit Ausnahme von Ignatz Bubis – die „Auschwitzkeule“ endgültig zu Grabe trug, war kein Fischer da, der ihm in den Arm fiel. Es ist klar, dass die Normalisierung Deutschlands im Umgang mit der eigenen Geschichte einen direkten Einfluss auf die Außenpolitik haben wird. Gut möglich, dass der unbedingte Einsatz für die Menschenrechte, den die Bundesregierung heute reklamiert, eine kurzfristige Episode auf dem Weg zurück in die Geschichte bleibt. Zuviel davon kann schließlich gerade auch im multilateralen Verband, sei es nun die Nato oder die EU, als deutscher Sonderweg erscheinen.
Jürgen Gottschlich
Hinweis:Frankreich zählt wenig, die Regierung kennt nur einen Bezugspunkt: die USA„Kein deutscher Sonderweg“ könnte fett überm Portal des Außenamtes prangen
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