Ein Jahr LADG Berlin: Der Tiger braucht noch Zähne
Vor einem Jahr hat sich Berlin ein Gesetz gegen Diskriminierung durch Behörden gegeben. Die Bilanz zeigt: Es gibt noch viel zu tun.
W ie misst man den Erfolg eines Gesetzes? Diese Frage drängt sich immer auf, beim Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) ist sie besonders naheliegend. Denn was sagen uns die Zahlen, die die Leiterin der Ombudsstelle, Doris Liebscher, am Dienstag dieser Woche vorstellte? 315 Beschwerden von Bürger*innen gab es seit Inkrafttreten des Gesetzes vor einem Jahr über Diskriminierungen durch Mitarbeiter*innen von Landesbehörden, davon betrafen 50 die Polizei, 111 drehten sich um Rassismus: Ist das nun viel oder wenig? Zeigen die Zahlen, dass Berlins Behörden eigentlich ganz ordentlich arbeiten – oder das Gegenteil?
Wie so oft ist das eine Frage der Perspektive. Polizeisprecher Thilo Cablitz nannte die Fallzahlen „gering“ – wenn er auch pflichtschuldig nachschob, dass „jede Beschwerde eine zu viel“ sei und das Dunkelfeld gewiss hoch. Liebscher dagegen hat die Zahl der Beschwerden überrascht – sie zeige, dass das Gesetz „schnell angenommen wurde von der Stadtgesellschaft“. Sie brächte allerdings auch an den Tag, wer nicht klage, so Liebscher: etwa Sinti und Roma, „obwohl sie mit am meisten diskriminiert werden“.
Zudem wurde aus Liebschers Auswertung wenig überraschend deutlich, wo Antidiskriminierungsarbeit am dringlichsten ist: bei der Polizei. Die Behörde bemühe sich zwar sehr um Kooperation, lobte Liebscher, zugleich hätte das erste Jahr aber auch gezeigt, dass es „Muster“ von Diskriminierung gebe. Etwa, wenn Beamt*innen Mehrheitsdeutschen eher glaubten als migrantischen Menschen – oder bei Diskriminierungen durch Kolleg*innen aus falschem Corpsgeist alles abstritten.
Dass die Polizei nicht der einzige Problembereich ist, zeigt der neue Monitoringbericht der Neuköllner Beratungsstelle Adas für Diskriminierungsschutz an Schulen, der am Mittwoch vorgelegt wurde. 289 Hilfegesuche bekam Adas zwischen 2018 und 2020, überwiegend von Schüler*innen, die sich von Lehrkräften diskriminiert fühlten. Auch hier könnte das LADG künftig Wirkung zeigen – wenn es sich bei Schüler*innen und Eltern herumspricht und sie den offiziellen Beschwerdeweg wagen.
Bis der so richtig zündet, müsste der Gesetzgeber aber wohl noch mal nachlegen: Denn letztlich hilft bei uneinsichtigen Behörden nur der Klageweg. Dafür können Betroffene zwar die Hilfe von Antidiskriminierungsvereinen in Anspruch nehmen, doch auch die müssen die Prozesskosten irgendwo hernehmen und werden sich das nur bei absoluten Präzedenzfällen leisten können. Ohne Prozesskostenfonds könnte das Gesetz daher doch ein zahnloser Tiger bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt