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Ein Jahr Bürgerentscheid gegen MediaspreeAuf zu neuen Ufern!

Ein Jahr nach dem Bürgerentscheid gegen die Bebauung des Spreeufers vereinen sich die Betroffenen zum Bündnis "Megaspree" und rufen wieder zum Protest auf.

Ausruhen ist noch nicht: Ein Jahr nach dem Bürgerentscheid sehen sich Kunst- und Kulturschaffende weiter bedroht und gründen das neue Bündnis "Megaspree" Bild: dpa

Die Megaspree-Demo

Für Samstag ruft das Bündnis Megaspree zu Protest auf: "Berlin frisst ihre Kinder" heißt das Motto. Die Demonstration "gegen Privatisierung, Betonisierung und Umstrukturierung, für eine vielfältige, soziale Stadt" ist als Sternmarsch geplant: Los gehts um 16 Uhr vom Boxhagener Platz, Oranienplatz und vom S-Bahnhof Treptower Park.

Gegen 19 Uhr sollen sich die drei Züge am Rolandufer bei der Jannowitzbrücke treffen und das Kind - ein 5 Meter großes Baby aus Styropor - aus dem Wasser fischen. Für 20 Uhr ist eine Kundgebung hinter dem Roten Rathaus geplant mit anschließender Party und Mahnwache. Danach gibt es gleich mehrere Partys in Clubs, die an Megaspree beteiligt sind, unter anderem im Yaam, der Bar 25 und im Cassiopeia.

Es ist ein heißer Tag Anfang Juli. Der Sonderausschuss Spreeufer trifft sich in der Strandbar Oststrand zur Sitzung. Die Ausschussmitglieder sitzen unterm weißen Zeltdach, nippen am kühlen Mineralwasser und fächern sich mit ihren Sitzungsunterlagen Luft zu. Sie diskutieren, wie sich verhindern lässt, dass dort, wo sie gerade sitzen, in einigen Jahren der East-Side-Tower steht. Ein Hochhaus, 67 Meter. Schön findet das niemand, aber es gibt eine Baugenehmigung, und der Eigentümer scheint entschlossen, diese zu nutzen. "Wir können nur noch auf die Finanzkrise hoffen", sagt Antje Kapek (Grüne). Oder darauf, dass der Eigentümer mit sich reden lässt.

So machen sie das, seit sich der Ausschuss im Oktober das erste Mal getroffen hat: VertreterInnen der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), der Bürgermeister, vier Vertreter der Bürgerinitiative "Mediaspree versenken". Grundstück für Grundstück sind sie durchgegangen, auf der Suche nach Spielräumen für die Entwicklung des Spreeufers. Die Sitzungen fanden auf dem jeweiligen Gelände statt: in der bedrohten Bar25, im Yaam, der Maria am Ostbahnhof.

Die BVV Friedrichshain-Kreuzberg hatte den Ausschuss als Antwort auf den erfolgreichen Bürgerentscheid ins Leben gerufen. 87 Prozent, rund 30.000 Menschen, hatten am 13. Juli 2008 gegen Mediaspree gestimmt, eine Reihe von Großprojekten entlang dem Spreeufer von Kreuzberg und Friedrichshain.

Ein Jahr später ist die Aufregung abgeebbt, die damals durch Bezirk, Senat und Medien schwappte, Mediaspree für eine Weile zum großen Thema machte. In der Initiative war es nach dem Bürgerentscheid umstritten, ob man sich auf das Klein-Klein eines Ausschusses einlassen soll, ob man nicht an Glaubwürdigkeit verliere, wenn man Entscheidungen fälle, die doch keine Relevanz haben. Denn die Beschlüsse des Ausschusses sind nur Vorschläge an die BVV, und selbst ein BVV-Beschluss hat als Forderung an das Bezirksamt nur "ersuchenden" Charakter, rechtlich bindend ist er nicht.

Doch diejenigen, die den Ausschuss für eine Befriedungsstrategie des Bezirks hielten, ein "Alibi-Gremium", haben den Ausschuss verlassen. Vielleicht ist die Stimmung deshalb so entspannt, man kennt sich, scherzt miteinander. "Am Anfang standen sich alle Beteiligten skeptisch gegenüber", erzählt Carsten Joost, Sprecher von "Mediaspree versenken". Inzwischen, da sind sich alle Beteiligten einig, sei die Arbeit angenehm, konstruktiv.

Die Ergebnisse nach einem Jahr sind dennoch dürftig, Stückwerk wie die Verhandlungen. Hier einige Meter Abstand mehr zwischen geplantem Bau und Spreeufer, dort ein paar zusätzliche Monate für die Zwischennutzungen. Auf dem Grundstück der Behala am Kreuzberger Spreeufer wird es einen zusätzlichen Streifen Park geben. Der Yaam-Club bekommt einen Mietvertrag und darf bleiben, bis der Investor, die spanische Immobilienfirma Urnova, tatsächlich zu bauen beginnt. Der Bezirk behält das Planungsrecht für das Grundstück, auf dem sich die Maria am Ostbahnhof befindet - im Frühjahr hatte der Senat kurzerhand gedroht, dem Bezirk die Zuständigkeit zu entziehen, sollte er nicht die alten Planungen beibehalten. Dort soll jetzt zumindest die Hälfte der Fläche öffentlich bleiben, allerdings nicht am Ufer, sondern in Hinterhöfen. Erfolge des Ausschusses, des öffentlichen Drucks, der Finanzkrise?

Bild: Infotext

"Niemand hat erwartet, dass wir den Bürgerentscheid zu 100 Prozent umsetzen können", sagt Bürgermeister Schulz. Er zieht eine "durchwachsene" Bilanz. Die Bedingungen seien nun einmal schwierig, der Bürgerentscheid habe Themen berührt, für die der Bezirk eigentlich gar nicht zuständig ist. Die Drohung von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), dem Bezirk die Zuständigkeit zu entziehen, wenn Investorenrechte verletzt würden, schwebt immer über den Verhandlungen. "Ohne diesen Eingriff wären die Verhandlungen um Kompromisse leichter gewesen, flexibler, offener", sagt Schulz. "Dann wären wir vielleicht auch zu anderen Lösungen gekommen."

Das Ausschussmitglied Kapek sagt dagegen: "Wir haben viel mehr geschafft, als ich je gedacht hätte." Auch Joost zeigt sich zufrieden: "Die Strategie, in den Ausschuss zu gehen, war richtig, unbedingt." Nur die Diskussion um die Maria sei ein großer Reinfall gewesen. Abgesehen davon sieht Joost jede Menge Erfolge, auch außerhalb des Ausschusses: "Der Verkauf der landeseigenen Grundstücke ist gestoppt worden. Der Verein Mediaspree, der durch Öffentlichkeitsarbeit Investoren ins Gebiet locken sollte, ist versenkt. Das Planwerk Innenstadt wird überarbeitet." Schließlich habe der Bürgerentscheid gegen Mediaspree wesentlich dazu beigetragen, die Debatte über Gentrifizierung, über Stadtentwicklung mit anzustoßen. Aus der ganzen Welt, erzählt Joost, kämen Anfragen, neulich sei eine japanische Zeitung da gewesen, eine italienische, ein Filmteam habe eine Dokumentation gedreht. "Mediaspree und der Widerstand dagegen sind international zu einem Symbol für die Diskussion um Stadtentwicklung geworden."

Bei genauerem Betrachten sind die Erfolge, die Joost nennt, allerdings gar keine: Den Verkaufsstopp der landeseigenen Grundstücke hat die BVV vom Senat zwar gefordert, auf einen entsprechenden Brief des Bezirksamt hat Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) jedoch nie reagiert - und der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat ausrichten lassen, er sehe sich in keinster Weise veranlasst, das zu tun. Dass die öffentlichen Mittel zur Unterstützung des Investorenvereins Mediaspree Ende 2008 auslaufen, war schon beschlossen, als gerade die ersten Stimmen für den Bürgerentscheid gesammelt wurden. Und bei der Überarbeitung des Planwerks Innenstadt, jenem überholten Entwicklungsplan für Berlin, spielt das Spreeufer in Friedrichshain und Kreuzberg nur eine untergeordnete Rolle.

"Augenwischerei", sagt Henrik Haffki, der im Januar aus den Ausschuss ausgestiegen ist. Das abgekartete Spiel zwischen Bezirk und Senat funktioniere: "Man zeigt mit dem Finger auf den anderen und lehnt sich entspannt zurück." Die Forderungen, die im Bürgerbegehren ausgedrückt wurden, würden in den Verhandlungen ignoriert. "Die Initiative wird in den Mühlen der Politikmaschine zerrieben und die Basis bröckelt weg."

Es gab in der Bürgerinitiative seit langem mehrere Fraktionen. Die haben sich inzwischen nach Themengebieten aufgeteilt, erklärt Joost: Ein Teil der Aktiven, vor allem die Mitglieder der AG SpreepiratInnen, beschäftigt sich mit der Mietentwicklung, der Wohnsituation in den Bezirken. Die Gruppe um Joost befasst sich mit Kultur, mit Zwischennutzungen - mit Megaspree.

Megaspree, das ist das neue, große Bündnis, das am Spreeufer entsteht. Ein Bündnis von Kunst- und Kulturschaffenden, von alteingessenen Kneipen und Zwischennutzern, die bedroht sind von der Umgestaltung des Spreeufers, von der Aufwertung der Innenstadt - oder fürchten, es bald zu sein. Nicht nur am Spreeufer, sondern auch in Mitte, in Prenzlauer Berg. Dreimal wöchentlich gibt es Treffen, zumindest jetzt gerade, vor der großen Demonstration am Samstag. "Berlin frisst ihre Kinder" ist das Motto. Kinder der Stadt, so sehen sich die Projekte, die irgendwo entstehen, in den Nischen, auf den Brachen. Kinder, die die Politik vernachlässigt, loswerden will, obwohl sie doch für den Ruf der Stadt verantwortlich sind, den "Mythos Berlin" erst geschaffen haben.

Das Motto passt aber auch zum Bündnis, denn das ist selbst noch ganz jung. Vor zwei Monaten erst haben sich VertreterInnen der Initiative "Mediaspree versenken" mit einigen der bedrohten Projekte getroffen, so entstand die Idee. Ein Zusammenschluss, in dem sich die Kulturschaffenden in Berlin austauschen und vernetzen können, der Lobbyarbeit macht für die Szene bei den Bezirken, beim Senat. Jetzt ist "Mediaspree versenken" nur noch ein Mitglied unter vielen.

Denn Megaspree wächst, und zwar rasant. Über 70 Clubs, Bars oder Projekte gehören zu den Unterstützern, das SO36 ist dabei, die Bar25, GoldenGate, Maria, Yaam, der Oststrand, Schokoladen in Mitte, die Bürgerinitiative Kastanienallee und die gegen die A 100, der Wagenplatz Schwarzer Kanal. Und das Radialsystem. Und Spindler & Klatt. Letzteres hat für Ärger gesorgt. Ein Kulturzentrum, in dem auch Parteien ihre Veranstaltungen abhalten und das von Dussmann gesponsert wird, ein Club, der für viel Geld "exklusive Abende" anbietet - ist das nicht genau die Art von Nutzungen des Spreeufers, die man verhindern möchte? Wer ist von der Gentrifizierung bedroht - und wer profitiert von ihr?

Das Wohnprojekt Köpi ist jedenfalls aus dem Bündnis wieder ausgestiegen. Aber es habe "tolle Diskussionen" gegeben, sagt Christin Bolte, freie Kulturschaffende und Sprecherin von Megaspree. Man wolle ein ganz breites Bündnis, nicht nur eines für Alternativ- oder Subkultur. "Was heißt schon alternativ?", fragt Bolte. "Kultur ist Kultur." Alle sollen am Spreeufer Platz haben. Die Yuppies und die Punks.

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