■ Standbild: Ein Hoch der Unmoral
„Der Neffe“, Mo., 20.15 Uhr, ZDF
Martina Gedeck wird einem langsam unheimlich. Eben sah man sie hauptdarstellend in der reizvollen kleinen Kinokomödie „Harald“, da schnurrt sie auch schon in einem Marginalpart durch die nächstbeste Serienepisode und verhilft zudem dem Lustspiel „Rossini“ quasi im Vorbeigehen zu einer satten Portion Sex-Appeal. Der war auch in diesem Falle gefragt, denn die zum Einhüten bestellte sinnenfrohe Tante verwirrte nachhaltig das Gemüt eines adoleszenten Dreizehnjährigen. Vegetarische Köchin sei sie, aber, so gestand sie mümmelnd: „Es gibt Fleisch, das mir schmeckt.“
Sollten Ihnen bei diesen Worten unkeusche Gedanken kommen, so schämen Sie sich nicht – das lag in der Absicht der Autorin. Die schöne Isabella neigt nicht nur zu kulinarischen Genüssen, sie macht sich auch umgehend auf die Suche nach einem Liebhaber. Der ist bald gefunden, und ihr knospender Schützling mit seiner tief ins Innerste geknüllten Zuneigung wähnt sich düpiert. Seine Eifersucht entlädt sich in purer Aggressivität, und alsbald herrschen in dem großzügigen Eigenheim bürgerkriegsähnliche Verhältnisse.
Insgesamt eine dürre Story, aber es ging ja mitnichten um den großen erzählerischen Wurf, sondern um beiläufige Beobachtungen und eindeutig Zweideutiges ohne Schmierlappigkeit. Schon sehr präzise war die Darstellung der Eltern, zweier ausgezehrter und verbiesterter Eheopfer, die längst nur noch in rüden Worten kommunizieren. Auch ein reverentieller Seitenhieb war drin, wurde doch das Partnerelend kontrastiert mit dem gleisnerischen Romantizismus der im Hintergrund ablaufenden hauseigenen Serie „Girlfriends“. Das ausnehmend Erstaunliche, insbesondere da es sich um eine ZDF-Darbietung handelte, aber lag darin: Hier wurde ziemlich ungeniert die Unmoral gefeiert, auch wenn die weitere Ausschmückung des Verhältnisses zwischen Tante und Neffe der Phantasie überlassen blieb. Ungebührlich erschien das Benehmen der reschen Köchin allemal, denn, die Pointe gab's als Digestif, daheim in der Großstadt wartete ihr farbloser Ehemann. Nur eines wollte nicht ganz ins sonst so aufmerksam umgesetzte Szenario passen – daß einem Dreizehnjährigen fortwährend Hits der fünfziger und sechziger Jahre durch den Kopf rauschen sollen, erschien nicht eben sonderlich zeitgemäß. Harald Keller
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