Ein Hoch auf die Bahn-Kunden!

Der Lokführerstreik erweist sich als wirksamer als gedacht. Nicht allein mit Einnahmeausfällen müssen die Bahnchefs rechnen, sondern auch mit flexiblen und solidarischen Kunden.

Wer am Freitag morgen eine Stadt am Rande des Nervenzusammenbruchs erwartet hat, sah sich getäuscht: Die meisten Berliner waren gut über die Streiks im Regionalverkehr informiert, sie fuhren entspannt mit Fahrrad oder Auto zur Arbeit oder rückten ohne Murren in den Ersatzbussen zusammen. Und es gab noch eine bemerkenswertere Erscheinung dieses Arbeitskampfes: Die große Mehrheit der Bürger zeigte - in der selbstverständlich nicht-repräsentativen taz-Umfrage - Verständnis für die Aktion der Lokführer.

Man kann ihrer Gewerkschaft, der GDL, sicherlich viel vorwerfen, unter anderem die Tatsache, dass sie durch ihren Alleingang den Schulterschluss mit anderen Gewerkschaften zugunsten ihres Klientels aufgibt. Aber dieser Tag hat einer Kritik jegliche Grundlage entzogen, die die Bahnbosse wie eine Litanei wiederholen: Die Gewerkschaft trage ihre Forderungen auf dem Rücken der Kunden aus. Dies stimmt nicht. Die Kunden erweisen sich in der Wahl der Verkehrsmittel als flexibler, als es den in den privaten Markt drängenden Bahnchefs lieb sein kann.

Man kann die erstaunliche Gelassenheit, die mit vielen Solidaritätsbekundungen einhergeht, auch noch anders deuten, nämlich ungehemmt optimistisch: Wächst vielleicht in Zeiten, in denen Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und Unsicherheit für immer mehr Menschen zum Leben gehören, die Sympathie für jene, die für bessere Arbeit kämpfen? Tragen Menschen Unannehmlichkeiten im Alltag mit - und ertragen sie nicht nur -, wenn es anderen nützt? Insofern erweist sich der Lokführerstreik als wirksamer als gedacht. Nicht allein mit Einnahmeausfällen müssen die Bahnchefs rechnen, sondern auch mit flexiblen und solidarischen Kunden. Und die sind bei einem schlechten Angebot schnell weg, oder sie gehen auf die Barrikaden.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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