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Ein Herz für Ohren

An dieser Peripherie der freien Marktwirtschaft ist es nicht weit her mit Bequemlichkeit: Heute feiert Ursula Blocks Plattenladen „Gelbe Musik“, eines der schönsten Archive Berlins für kaum kategorisierbare, zeitgenössische E-Musik, seinen 20. Geburtstag

von ANDREAS BUSCHE

Kapitalismus ist ein komisches Ding. Mögen tut ihn mittlerweile keiner mehr so richtig, aber irgendwie kommen auch alle ganz gut mit ihm klar. Seine regulierenden Repressalien manövrieren das manchmal viel zu komplizierte Leben dankenswerterweise stets zurück in geordnete Bahnen. Selig, wer für sich behaupten kann, dass Kapitalismus auch ein Ausdruck von Bequemlichkeit sei.

An der Peripherie der freien Marktwirtschaft ist es mit der Bequemlichkeit dagegen nicht weit her. Bestenfalls haben die Protagonisten dieser Nischenkulturen längst alternative Organisationsstrukturen entwickelt, in denen sie weitestgehend autark vor sich hinarbeiten können. Für eine Idealistin wie Ursula Block ist es darum geradezu selbstverständlich, sich situationsbedingt auf alte merkantilische Qualitäten zu besinnen. So kann es passieren, dass ein „finanziell herausgeforderter“ Kunde ihres Schallplattenfachgeschäfts „Gelbe Musik“ CDs im Tausch gegen einige seiner eigenen Veröffentlichungen ersteht. Diese Form des Naturalienhandels, oft auch auf der Basis von Informationen, hat die „Gelbe Musik“ zu einem der faszinierendsten Archive für Musik gemacht, die sich Hörgewohnheiten widersetzt.

Gewerbliche Orte, die von einer Aura des Sakralen umgeben sind, sind wahrlich selten heutzutage. Von außen deutet allein das spartanisch ausgestattete Schaufenster der „Gelben Musik“ darauf hin, dass das Souterrain für etwas anderes als zum Wohnen bestimmt ist. Gutbürgerlich wirkt es in der Schaperstraße, trotz Ku’damm-Nähe. Betritt man Ursula Blocks kleinen Verkaufsraum in der Schaperstraße 11, bekommt man augenblicklich ein Gefühl für die Bedeutsamkeit, die sich allein schon durch den Minimalismus der Inneneinrichtung ausdrückt. Einschüchternd weist die unterkühlte White-Cube-Ästhetik des Raumes selbst den zufällig hereingeplatzten Flaneur auf den kulturellen Wert des dargebotenen Sortiments hin.

In der Regel wissen Ursula Blocks Kunden aber, was sie in der „Gelben Musik“ erwartet: ein nahezu erschöpfendes Repertoir zeitgenössischer E-Musik bis zurück an die Anfänge des letzten Jahrhunderts – von Varese bis Lachenmann, die Werke elektronischer Pioniere wie Oskar Sala und Morton Subnotnick, Musique Concréte, Minimal Music, dadaistische Lautmusik, experimentelle Hörspiele, ethnologische „Field Recordings“, Boulez und Cage sowieso komplett, bis hin zu der zeitgenössischen Computermusik von Carsten Nicolai oder Mika Vainio.

Ursula Block tut sich schwer, ihr Sortiment unter einem Begriff zu subsummieren; kategorisiert hat sie ihr Angebot grob in „komponierte Musik“ und „nichtkomponierte Musik“, obwohl sie weiß, dass solche Klassifizierungen längst überkommenen Vorstellungen entsprechen. Und weil ihr die gute Musik so sehr am Herzen liegt, hat sie vor achtzehn Jahren mit einigen Gleichgesinnten auch den Verein „Freunde Guter Musik“ gegründet. Ursprünglich war die „Gelbe Musik“ als eine Art „Audio-Galerie“ geplant gewesen; Einzelausstellungen mit Werken von John Cage, Nam June Paik, der Tödlichen Doris oder Luigi Nono bereicherten von Beginn an das Programm des Geschäfts. Ursula Block hatte darauf spekuliert, dass der Verkauf einiger Exponate den Plattenladen mitfinanzieren könnte. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf.

Mittlerweile muss allein der Verkauf von Tonträgern die laufenden Kosten decken. Daher ist die Tatsache, dass der Plattenladen mit seinem „Extreme Listening“-Programm bis heute finanziell tragbar blieb, fast noch phänomenaler als das Programm selbst. „Glaubwürdigkeit“, so lautet Ursula Blocks Erfolgsrezept. In ihrem Laden steht keine Platte, die sie nicht selbst gehört und für zumindest interessant befunden hat. Heute ist es auf den Tag genau zwanzig Jahren her, dass Ursula Block die „Gelbe Musik“ in einem Nebenraum der ehemaligen Galerie ihres Mannes eröffnete.

Ein geschichtsträchtiger Ort. In den 60er-Jahren war die Galerie René Block eines der Zentren der europäischen Fluxus-Bewegung; Joseph Beuys, Nam June Paik und Gerhard Richter gehörten hier bis zum spektakulären Ende der Galerie im Jahr 1979 zu den Artists-in-Residence. Blocks Reputation als einer der einflussreichsten Förderer von Künstlern, die mit den Ritualen des kunstgewerblichen Betriebs gebrochen hatten, machten Berlin für einige Jahre zum Anlaufpunkt für viele Hochkultur-Exilanten. Auch das alte K-Wort tauchte bereits in der Arbeit von René Block auf: Der von ihm geprägte Begriff des „Kapitalistischen Realismus“ war natürlich reinster Fluxus, besaß jedoch genügend Sprengkraft zum freien Flottieren im Assoziationswust.

Als Ursula Block 1981 die „Gelbe Musik“ eröffnete, konnte sie bereits auf ein international verzweigtes Netzwerk befreundeter Künstler zurückgreifen, das in den Jahren der gemeinsamen Galeriearbeit mit ihrem Mann entstanden war. Die Kontinuität der verschiedenen Block’schen Aktivitäten von ihrer Galerie über die wegweisende „Für Augen und Ohren“-Ausstellung in der Akademie der Künste im Jahr 1980 bis zur „Gelben Musik“ ist unübersehbar.

Erst wenn die Grenzen von akustischer und visueller Wahrnehmung verschwimmen, wie in Kandinskys Idee eines „Gelben Klangs“, erlange die Kunst wieder ihre transzendentale Kraft, neue Sichtweisen aufzuwerfen. In der mit Michael Glasmeier kuratierten Ausstellung „Broken Music“ (1988) hat sie die Schallplatte gleich selbst zum Artefakt erhoben. Die Objekte spielten sowohl mit ihrer Repräsentationsfähigkeit als authentische Kunstwerke als auch mit der Dialektik von Materialität und Klanglichkeit. Tonträger aus gefrorenem Bier oder Schokolade gehörten in der „Gelben Musik“ zu den originellsten Exponaten.

Angesichts der Geschichte der „Gelben Musik“ überrascht es also kaum, dass die heutige Feier zum zwanzigjährigen Jubiläum in der Staatsbank trotz des öffentlichen Rahmens eher privaten Charakter haben wird. Viele alte Freunde wie David Moss, Wolfgang Müller, Gordon Monahan oder Junko Wada haben sich zu Mini-Performances angekündigt.

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