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Ein Held weniger

■ Mexikanischer Ex-Richter legte sich mit dem Staat an und wurde erschossen

Mexiko (taz) – Nein, Mexiko sei keinesfalls das Land der Skandale und Simulationen, verkündete Präsident Zedillo noch am Montag vor einer Gruppe frischgebackener Ingenieure. Vielmehr habe man es mit „soliden Institutionen“ zu tun und mit „Millionen von anonymen Helden“, die Tag für Tag für eine bessere Zukunft kämpften.

Keine 24 Stunden später wurde einer dieser „stillen Helden“, der ehemalige Bundesrichter Abraham Polo Uscanga, erschossen im Büro seines Sohnes aufgefunden. Bekannt geworden war der Jurist erst vor wenigen Wochen durch seine spektakuläre Klage gegen die Justizbehörden und den Bürgermeister der Hauptstadt: diese hätten ihn gedrängt, gegen seine Überzeugung Haftbefehle auf die Führer der unabhängigen Transportgewerkschaft SUTAUR auszustellen. Auf seine Weigerung habe der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, Saturnino Aguirre, ihm offen gedroht, er werde dann die „Konsequenzen tragen“ müssen. Statt sich dem Druck zu beugen, trat der Richter nach 35 Dienstjahren Ende März in den Vorruhestand. Die umstrittenen Haftbefehle gegen die Gewerkschaftler des aufgelösten Busunternehmens Ruta 100 unterschrieb daraufhin sein Nachfolger: Die 11 Gewerkschaftler und der Rechtsberater von SUTAUR, Ricardo Barco, werden der „Unterschlagung“ bezichtigt. Beobachter aber vermuten dahinter den Versuch der Zerschlagung einer hochpolitisierten Gewerkschaft, die sich wiederholt mit den Forderungen der Zapatistenguerilla EZLN solidarisch erklärt hatte.

In der Anklageschrift gegen Bürgermeister und Justiz, die Polo Uscanga Anfang Juni der Öffentlichkeit präsentierte und die schon wenige Tage später von den zuständigen Behörden als „unbegründet“ zurückgewiesen wurde, erwähnte dieser auch Drohungen und Angriffe – unter anderem Entführung und Folter – gegen seine eigene Person. Und noch vor wenigen Tagen stellte er in einem Radiointerview in weiser Voraussicht klar: „Ich würde mich niemals selbst umbringen.“

Der tödliche Anschlag auf den mutigen Richter ist nicht der erste in der mysteriösen Ruta-100-Affäre. Einen Tag zuvor war der mit dem Prozeß gegen SUTAUR beauftragte Justizbeamte Jess Humberto Priego Chavez von Unbekannten vor seiner eigenen Haustür erschossen worden.

Während die Behörden am Dienstag die „lückenlose Aufklärung“ der beiden Morde versprachen, macht sich im Land Bestürzung breit. Unternehmer, PolitikerInnen und Kirchenleute warnen vor dem „Verschwinden des Rechtsstaats“ in Mexiko. Für die prominente Menschenrechtlerin Maria Teresa Jard, mit der sich Uscanga noch am Montag „dringend“ treffen wollte, ist das Land gar „auf dem Weg in den Faschismus“. Die Opposition fordert jetzt die Rücktritte von Bürgermeister Espinosa Villareal und des Tribunalvorsitzenden Aguirre, der sich auf einer eilig einberufen Pressekonferenz flugs als „erstes Opfer“ des Anschlags bezeichnete. Inmitten der allgemeinen Bestürzung erinnert die „Demokratische Anwaltsvereinigung“ ANAD auch an ihre Forderung, den Vorwürfen des Ermordeten in einem Untersuchungsausschuß nachzugehen.

Zumindest wird bereits gegen den Ex-Präsidenten Carlos Salinas de Gortari ermittelt, wegen Deckung seines mordverdächtigen Bruders Raúl. Der Ex-Präsident, dessen derzeitigen Aufenthaltsort die Behörden nicht zu kennen behaupten, ist inzwischen zur Unperson geworden, was seinem Nachfolger und jetzigen Amtsinhaber Zedillo nur nützen kann. Auf die Gefahren dieser Sündenbocklogik weist der Politologe Jorge C. Castaneda in der Wochenzeitschrift Proceso hin: „Ich sehe lieber die Freiheit von Salinas, wenn dafür das System abstirbt, als daß dieses dank seiner Bestrafung überlebt.“ Anne Huffschmid

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