: Ein Früchtchen des Zorns
von DANIEL BAX
Der Protest war absehbar. Als Anfang des Jahres bekannt wurde, dass der Rapper Eminem gleich mehrmals für den Grammy nominiert wurde, den höchsten Musikpreis der USA, rief dies umgehend Frauenverbände und die Gay and Lesbian Alliance Against Defamation auf den Plan. Deren Sprecher nannte die Nominierung von Eminem ein verstörendes Signal. Sein Verband wirft dem Musiker vor, sich mit Schwulenfeindlichkeit zu brüsten und Gewalt gegen Frauen zu verherrlichen.
Dabei wollte die Grammy-Jury mit ihrer Wahl bloß auf der Höhe der Zeit sein. Bisher stand sie schließlich im Ruf, eher konservativ zu sein und etablierten Altrockern den Vorzug vor dem Nachwuchs zu geben. Im vergangenen Jahr etwa fiel die Wahl auf Carlos Santana.
Einen derzeit erfolgreicheren Musiker als Eminem, dessen Album „The Marshall Mathers LP“ sich weltweit mehr als 1,25 Millionen Mal verkauft und dessen Gesicht es auf die Titelseiten sämtlicher großen Musikmagazine geschafft hat, einen geeigneteren Kandidaten also hätte das Gremium für seine heutige Preisverleihung in Los Angeles kaum finden können. Allerdings auch keinen kontroverseren. Die meisten Stücke des 28-jährigen Rappers mit dem käsigen Teint und dem blond gefärbten Haarschopf kreisen um Mord- und Totschlagsfantasien. Düsteren, assoziationsreichen Hörspielen gleich, hallt es dort wieder von quietschenden Reifen, aufheulenden Motorsägen und um ihr Leben schreienden Frauen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind dabei durchaus beabsichtigt: Das Stück „Kim“ trägt den Namen von Eminems Ehefrau und endet damit, dass er ihr die Kehle durchschneidet.
Eminem liebt den Knalleffekt: Bei seinen Konzerten zitiert er den Horrorschocker „Freitag, der 13.“, indem er mit Kettensäge und Eishockeymaske vors Publikum tritt. Und im Video zu „The Real Slim Shady“ präsentiert er sich in einer Zwangsjacke, wie von inneren Stimmen in den Wahn getrieben. Die Rolle des Psychos steht ihm gut. Seit Norman Bates hat sie kein weißer Junge mehr so überzeugend verkörpert.
Ob das nun brutal ist oder lediglich die Reflexion einer brutalen Welt, das ist die alte Frage nach der Berechtigung von Gewaltfantasien in der Kunst, wie sie schon am Roman „American Psycho“ von Bret Easton Ellis diskutiert wurde. Auch Eminem ist ein American Psycho. Dass das, was er macht, große Kunst ist, steht allerdings außer Frage: Seine finsteren Kurzgeschichten voller Doppelbödigkeit und Paranoia lassen sich in der Tradition eines Edgar Allen Poe ansiedeln, der in seinen Shortstorys manches Mal die Perspektive wechselte, um sich etwa in das Gehirn eines Serienmörders hineinzuversetzen.
Reimkunst und Flow
Eminem schreibt zwar keine Literatur, aber er beherrscht sein Handwerk – anders hätte er sich als Milchgesicht in der schwarzen Domäne des HipHop nicht durchsetzen können. Seine Reimkunst und sein Flow stehen über jeder Kritik, und sein vielschichtiges Spiel mit Rollen sucht seinesgleichen: Nicht nur hat er mit seinem Alter Ego Slim Shady eine Kunstfigur kreiert, durch die er spricht wie durch eine Handpuppe. Auch wechselt seine Sprecherposition häufig zwischen Marshall Mathers, so sein bürgerlicher Name, und Eminem, seinem Pseudonym. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Leben und Werk, zwischen Inszenierung und Wirklichkeit: Die eigene Mutter verklagte Eminem, weil er sie in seine Stücken als drogensüchtiges Wrack hingestellt hat. Und seine Ehefrau Kim brachte sich im Sommer letzten Jahres durch einen Selbstmordversuch in die Schlagzeilen.
Der Rapper steht für eine soziale Realität, die man in den USA White Trash und hier zu Lande etwas freundlicher Modernisierungsverlierer nennt. Sein Vater verließ die Familie, als der Sohn gerade ein paar Monate alt war, die allein erziehende und häufig arbeitslose Mutter pendelte fortan zwischen Kansas und Detroit. Dort, in einer Stadt, deren Bevölkerung zu drei Vierteln schwarz ist und in der die weißen Armutsflüchtlinge aus dem Mittleren Westen als nichtsnutzige Hillbillies – so das Schmähwort für ungebildete Landeier – gelten, wuchs Eminem in einer fast ausschließlich schwarzen Nachbarschaft auf. Er behauptete sich mit Mimikry und Männlichkeitsbeweisen, wozu auch eine gehörige Portion Homophobie gehört. Anders als das Wort „Faggot“, das Schimpfort für Schwule, gehört das Wort „Nigger“ allerdings nicht zu Eminems Vokabular. „Aus Respekt“, wie er sagt. Vielleicht weiß er aber auch einfach, dass er für das liberale Middle-class-Amerika selbst bloß ein weißer „Nigger“ ist, aus der Art geschlagen wie die anderen seiner Klasse, für die das in ethnischen Fragen sensibilisierte Amerika mehr Verachtung übrig hat als für jede andere benachteiligte Gruppe.
„Wenn der erfolgreichste Rapper ein Weißer ist und der erfolgreichste Golfspieler ein Schwarzer, dann steht einiges auf dem Kopf in Amerika“, spottete kürzlich ein Beobachter über die Tatsache, dass die alte Ordnung nicht mehr stimmt, nach der „weiß“ automatisch gleichzusetzen ist mit „privilegiert“ und „schwarz“ mit „diskriminiert“. Bisherige HipHop-Adaptionen von Weißen – von den Beastie Boys bis hin zu Vanilla Ice – waren bürgerliche Aneignungen.
Aus Eminem sprechen nun tatsächlich das Getto und jener innere Schrecken, den es produziert und für den der Rapper seine eigene Sprache gefunden hat. Dass ihm mit Dr. Dre ein profilierter HipHop-Produzent zur Seite steht, zeigt, dass er von schwarzen Rappern respektiert wird. Dass er weiß ist, nützt ihm, um die weißen Kids in den Suburbs als Käufer seiner Platten zu gewinnen. Die erblicken in dem verbalen Amokläufer ein Früchtchen des Zorns, das pubertäre Ängste und Allmachtsfantasien ausmalt. Eminem artikuliert die Rache des Außenseiters, des Underdogs.
So kunstvoll die Metaphern auch sind, so sehr Ironie mitschwingt: Das Grauen dahinter ist real, die Verzweiflung echt. Eminem arbeitet in seinen Stücken seine Biografie ab. „Therapie“ hat er das einmal genannt. Darum bricht sich bei ihm kein politisch motiviertes Wüten gegen die Globalisierungsmaschine Bahn, sondern nur ein diffuser Hass auf eine Gesellschaft, die Menschen an ihrem Rand allein lässt. Es ist ein Topos, der sich früher auch im Country fand: Lieder von untreuen Frauen, prügelnden Ehemännern, Drogen, Gewalt und Ehre.
Sexismus und HipHop
Wenn Frauenverbände nun gegen Eminem Sturm laufen, offenbart dies allerdings, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Eigentlich haben sie es längst aufgegeben, gegen den Sexismus im HipHop zu protestieren – wenn schwarze Rapper von Frauen nur noch als „bitches“ sprechen, dann meinen sie schließlich schwarze Frauen. Nun aber ist ein Weißer das schwarze Schaf und stört damit den bisherigen Burgfrieden.
Dass Eminem bei der heutigen Grammy-Verleihung neben solchen Teen-Idolen wie Britney Spears und N’Sync Platz nehmen wird, an denen er in seinen Stücken üblicherweise kein gutes Haar lässt („Shitney Queers“, „N’Stink“), zeigt, dass er Kreide fressen kann. „You think I gave a damn about a Grammy?“, fragte er noch auf „The Real Slim Shady“. Die eigentliche Pointe aber ist: Ausgerechnet Elton John, der sich als bekannter Schwuler kürzlich als Fan von Eminem offenbart hat, wird ihn bei seinem Auftritt bei der Grammy-Show begleiten. Er wird den Refrain singen zum Song „Stan“ und mit der Zeile enden: „I’m your biggest fan – Elton“. Schwulenverbände haben Elton John deswegen bereits Blauäugigkeit vorgeworfen. Wahrscheinlich ist es aber eher ein Beitrag zur weiteren Domestizierung des Elternschrecks. Der Kampfhund wird handzahm.
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