Ein Besuch bei LobbyControl in Berlin: Von Böcken, die gärtnern
Lobbyisten sind überall. Ein gemeinnütziger Verein versucht, das Geflecht zwischen Wirtschaft und Politik transparent zu machen.
„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“
(Amtseid, nach Art. 56 GG, für Bundespräsident, Bundeskanzler und die Bundesminister)
Die mächtigsten lobbyistischen Organisationen sind die Unternehmen, Verbände und diversen Zuarbeiter des Gesundheitssektors und der Pharmakonzerne, der Finanz-und Versicherungswirtschaft, Energie-und Atomwirtschaft, Rüstungs-und Automobilindustrie, Landwirtschaft-und Lebensmittelindustrie und einige mehr. Sie nehmen systematisch Einfluss auf die Gesetzgebung, manipulieren die sogenannte öffentliche Meinungsbildung und betreiben mit großer Energie und hohem Geldeinsatz die marktgerechte Zurichtung unserer Gesellschaft.
Allein das Gesundheitsministerium wird von mehr als 400 Lobbygruppen „beraten“, es geht um einen 260 Milliarden schweren Gesundheitsmarkt. Und wenn die Finanzwirtschaft in Brüssel dem EU-Parlament bei der Regulierung der Finanzmärkte zur Hand geht, dann scheint es naheliegend, die Europapolitik gleich zu privatisieren.
LobbyControl ist ein 2005 gegründeter gemeinnütziger kleiner Verein in Köln, der sich mit erstaunlicher Energie und Resonanz den intransparenten Aktivitäten der verschiedenen Lobbygruppen in Deutschland und Europa widmet, über Machtstrukturen und die erfolgreichen Einflussstrategien der Akteure aufklärt, der recherchiert, publiziert, Kampagnen organisiert und Forderungen aufstellt. Die Mitarbeiter veranstalten erklärende Stadtführungen durchs Berliner Regierungsviertel, direkt vor die Haustüren diverser Lobbyakteure. Sie haben „LobbyPlanet“ verfasst, einen sehr empfehlenswerten kommentierten Stadtführer durch den Berliner Lobbydschungel, und ebenso einen für das EU-Viertel in Brüssel. Und sie betreiben, für jeden frei verfügbar, „Lobbypedia“ (www.lobbypedia.de), ein lobbykritisches Onlinelexikon. LobbyControl ist unparteiisch, bezieht aber Partei dafür, dass das Wohl der Allgemeinheit vor den Profitinteressen Einzelner steht.
Politikwissenschaftler und Leiter der Berliner Büros von LobbyControl. Er wurde 1982 in Berlin geboren. 2001 Abitur. 2009 macht er am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität zu Berlin sein Diplom als Politikwissenschaftler, er leitete während des Studiums schon für LobbyControl Stadtführungen durch das Berliner Regierungsviertel und veranstaltete freiberuflich Seminare und Workshops zu Themen wie Migrationspolitik, Rechtsextremismus, Rassismus und natürlich auch Lobbyismus.
Ab Mai 2011 arbeitete er fest bei LobbyControl in Köln und beschäftigte sich vor allem mit dem Lobbyismus in Brüssel. Seit März 2012 leitet er das Berliner Büro von LobbyControl und hat seinen Schwerpunkt auf die Berliner Verhältnisse verlegt, auf Themen wie Lobbyregister, Parteienfinanzierung, Nebentätigkeiten von Abgeordneten und Interessenkonflikte. Nebenbei macht er politische Bildungsarbeit, z. B. über Asyl- und Migrationspolitik auf EU-Ebene. Timo Lange ist ledig, sein Vater ist Lehrer, seine Mutter Pflegerin in der Geriatrie.
Die Berliner Dependance hat ihren Sitz am Schiffbauer Damm 15, direkt an der Spree, unweit vom Brecht-Theater auf der einen und dem Sitz des Bundestages auf der anderen Seite. Schräg gegenüber liegt der Bahnhof Friedrichstraße. Einige Schilder von NGOs und Firmen hängen am Eingangsportal des ehemaligen DDR-Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Heute ist jede staatstragende Strenge aus dem riesigen Plattenbaukomplex verschwunden, die Glastüren stehen offen, die Pförtnerloge ist leer und verstaubt, der Aufzug gesperrt. In einem winzigen Büro im ersten Stock, hinten hinaus nach Norden, mit Blick auf Gleise und Züge, sitzt Timo Lange an seinem überladenen Schreibtisch. Er begrüßt mich freundlich und räumt einen Klappstuhl frei.
Umstandslos beginnt er zu erzählen: „Ja, ist ein bisschen eng auf 12 Quadratmetern für zwei Personen und zwei Schreibtische, es geht aber. Dafür zahlen wir auch nur 240 Euro Warmmiete. Das Gebäude steht in Teilen leer, auch weil es vom Abriss bedroht ist. Das ganze Ufer hier am Schiffbauerdamm soll ’umgestaltet‘ werden. Es sind natürlich ganz hervorragende Grundstücke. Für uns wäre es sehr schade, weil die Lage, derart nah am Bundestag, so was bekommen wir nie wieder.“
Die Rolle des Staates
Auf meine Frage, wie er zu LobbyControl kam, sagt er: „Ich war immer ein politisch interessierter Mensch, während des Studiums und auch davor habe ich mich politisch engagiert – aber ich war nie in einer Partei. Die Veränderung der Gesellschaft, allgemein gesagt, als Ergebnis der Auseinandersetzung von verschiedenen Kräften, Kräfteverhältnissen, das hat mich immer beschäftigt. Das hat sich ja auch stark gewandelt seit der Zeit, in der ich aufgewachsen bin.
Im Studium habe ich mir z. B. den Emissionshandel angeguckt, es ist ja sehr interessant, welche Akteure da wie ihre Interessen durchgesetzt haben. Oder auch im Bereich der internationalen Handelspolitik: Es geht praktisch immer um die Frage, welche Rolle spielt eigentlich der Staat, letztlich die Demokratie, vor diesem Hintergrund. Denn um die geht es! Und um die Frage, wie wollen wir eigentlich leben?! Ich hatte nach dem Studium Lust, statt zu promovieren, mich lieber konkret mit solchen Themen auseinanderzusetzen. Schon als Student habe ich nebenbei Führungen durchs Berliner Regierungsviertel gemacht für LobbyControl, und es hat sich dann glücklich so ergeben, nach dem Studium, dass eine Stelle frei wurde in Köln. Und nach der Eröffnung des Berliner Büros 2012 bin ich dann hierher zurückgewechselt.
Es ist ein Wahnsinn, welche Bandbreite an ganz unterschiedlichen Organisationen, Unternehmen, Verbänden in einem sehr engen Umkreis um den Bundestag rum hier in Berlin-Mitte anzutreffen sind. Das zeigen wir bei unseren Führungen. Und bei unserer Arbeit insgesamt geht es genau darum, nämlich die Phänomene und Mechanismen aufzuzeigen und zu erklären, was ist eigentlich Lobbyismus? Wie funktioniert er, was folgt daraus, worin besteht das Problem? Was müssen wir daran ändern, damit sich nicht einseitig finanzstarke Interessen zum Leid der Allgemeinheit gegen schwächere Interessen durchsetzen können. Mit ’schwächeren Interessen‘ meine ich z. B. Patienteninteressen usw.
Es gibt nur einige wenige erfolgreiche und anhaltende Protestbewegungen, wie beispielsweise die Anti-AKW-Bewegung, die ihre Teilnehmer über einen langen Zeitraum mobilisieren konnte; ihr Fokus liegt im Wendland. In anderen Fragen, z. B. dem modernen Datenschutz und dem Urheberrecht im Netz, da gibt es mal einen großen Aufschrei. Es gehen deutschland- und europaweit sehr viele Menschen auf die Straße, wie bei den Protesten gegen Acta.“ (Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Das geplante multilaterale Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen konnte vorerst verhindert werden, es wurde 2012 aufgrund der massiven Proteste vom EU-Parlament nicht ratifiziert. Anm. G.G.) „Aber solche kritischen Bewegungen über einen längeren Zeitraum wirklich zu mobilisieren, das ist nicht leicht.
Da sind die großen Konzerne natürlich im Vorteil, die können für 10, 20 Jahre schauen, wie wirkt sich unsere Lobbystrategie eigentlich aus. Die brauchen die Straße nicht, sie haben andere Druckmittel. Sie haben einen privilegierten Zugang zu den Abgeordneten und versuchen durch verschiedene Strategien die Gesetzgebung zu ihrem Vorteil zu beeinflussen.
Zwei Hauptforderungen
Es ergeben sich daraus zwei Hauptforderungen: 1. Eine Registrierungspflicht für Lobbyisten. In Washington – das wird Sie vielleicht überraschen – gibt es so was seit Längerem und es funktioniert weitgehend, denn es gibt Strafen für den, der sich der Pflicht entzieht. Es wird zwar der Einfluss der Lobbyisten nicht schwächer dadurch, das ist auch nicht das Ziel der Registrierungspflicht, aber die Kontrolle wird wesentlich besser. In Washington wurden 2011 über 3 Milliarden Dollar für Lobbyarbeit ausgegeben. Man kann als Öffentlichkeit sehen: Aha, Boeing hat 18 Millionen Euro für Lobbyarbeit im Rüstungsbereich ausgegeben. Da kann man dann auch auf einer anderen Grundlage über Lobbyismus diskutieren, fragen, wo floss das hin? Journalisten haben was in der Hand und können recherchieren.
Gerade auch bei der Rüstungslobby wird deutlich, wie intransparent Lobbyismus in Deutschland ist. Es wäre wichtig und im öffentlichen Interesse, zu wissen, wer eigentlich im Hintergrund Lobbyarbeit etwa für Rüstungsexporte macht. 2011 durchsuchte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft das Firmengelände von Heckler & Koch. Es bestand der Verdacht, dass mit verdeckten Parteispenden Genehmigungen für Waffenexporte nach Mexiko erkauft werden sollten. Das Ermittlungsverfahren läuft noch.
Grundsätzlich geht es im Rüstungsbereich zum einen um einen sogenannten Beschaffungs-Lobbyismus: Man möchte Aufträge bekommen. Zum anderen geht es um Exportgeschäfte und die allgemeine Regulierung von Waffen, z. B. durch internationale Abkommen wie dasjenige zum Verbot von Streubomben.“ (Wie erfolgreich die deutsche Rüstungsindustrie ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzt, zeigt sich auch daran, dass bei Merkels Staatsbesuchen überall in der Welt Rüstungslobbyisten regelmäßig mit im Kanzlerinnen-Airbus sitzen. Anm. G.G.)
„Die 2. Forderung betrifft den ’Drehtüreffekt‘, man kann es auch ’Seitenwechsel‘ nennen, gemeint ist der Wechsel von Politikern aus der Politik in die Lobbytätigkeit.“ (Vorgeführt in besonders schamloser Weise während und nach der Amtszeit des Kabinetts Schröder im Oktober 2005. Schröder und seine ehemaligen Bundesminister Schily, Clement, Fischer wurden hoch bezahlte Lobbyisten in Bereichen, die sie zum Teil schon vorher „bedient“ haben. Anm. G.G.) Timo Lange spielt mit seinem Feuerzeug und sagt entschieden: „Diese ’Drehtür‘ zwischen Politik und Wirtschaft muss blockiert werden.
Was wir fordern, ist eine Karenzzeit von drei Jahren. Wir sehen das auch an Karrieren wie der von Herrn Hennenhöfer, dem aktuellen Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Diesen Job hatte er ja schon mal inne, von 94 bis 98, unter der damaligen Umweltministerin und heutigen Kanzlerin Merkel. In der Zwischenzeit hat er als Lobbyist für den AKW-Betreiber Viag – heute Eon – gearbeitet und er hat als Anwalt einer Kanzlei den Betreiber des Atommülllagers Asse beraten.“ (Wobei er u. a. empfahl, dass die Bürgerinitiative über den Zustand der desolaten Anlage nicht informiert werden solle. Anm. G.G.) „Also ein Wechsel vom staatlichen Atomaufseher zum Atomlobbyisten, dann zum Atomberater und wieder zurück auf den Posten des staatlichen Atomaufsehers. Es ist eigentlich unglaublich! Der Atomlobbyist als Strahlenschützer, verantwortlich für die ’Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und nukleare Ver-und Entsorgung‘ in unserem Land.
Ein anderes Beispiel ist auch Frau Yzer, die derzeitige Berliner Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung. Zuvor war sie von 1997 bis 2011 Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller, also in einem der mächtigsten Lobbyverbände. Noch früher war sie im Kanzleramt beschäftigt und, wenn ich mich nicht irre, war sie davor bei der Bayer AG.“ (Von 92 bis 94 war die CDU-Politikerin parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel, von 94 bis 97 diente sie dem Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Rüttgers, als parlamentarische Staatssekretärin und war zuständig für „Energie und Umwelt, Luft- und Raumfahrt, Multimedia und Biotechnologie“. Danach wechselte sie zum vfa, dem Wirtschaftsverband der forschenden Pharmaindustrie. Seine Mitglieder, Bayer, Pfizer, Novartis, Roche u. a. beherrschen mehr als zwei Drittel des deutschen Arzneimittelmarkts. Seit September 2012 ist sie Senatorin für Wirtschaft, Technologie und Forschung. Anm. G.G.) „Die Pharmalobby ist in Deutschland traditionell sehr stark, denn Medikamente sind im Vergleich zu anderen Ländern bei uns sehr teuer.
Ehemalige Politikerinnen und Politiker sind bei der Wirtschaft natürlich die beliebtesten Lobbyisten. Manche kommen aber auch aus der PR-Ecke, aus dem Journalismus. Sie bezeichnen sich selbst nicht als Lobbyisten, viele sagen, sie sind Berater, Politikberater. Viele sind Juristen, Politologen, die eben ihre Karriere erst mal im Bundestag als Mitarbeiter von Abgeordneten oder auch im EU-Parlament begonnen haben. Das sind perfekte Voraussetzungen, um Lobbyist zu werden. Noch perfekter ist aber, wie gesagt, der ehemalige Politiker, denn er verfügt über ein Netzwerk von Beziehungen und eine Vielfalt von Informationen, die dem neuen Arbeitgeber natürlich einen großen und absolut einseitigen Vorteil verschaffen. Wenn er, durch eine weitere Drehung der Drehtür, wieder in die Politik zurückkehrt, kann das von großem Nachteil sein für die Bürger.
Was jedenfalls den Wechsel von der Politik in die Wirtschaft betrifft und die dreijährige Karenzzeit, die wir fordern, so kann man davon ausgehen, dass nach drei Jahren das Kontaktnetz nicht mehr ganz so aktuell und das Insiderwissen nicht mehr ganz so frisch ist, so dass die Attraktivität diesbezüglich stark abnimmt. Über den Umfang der lobbyistischen Aktivitäten können wir keine zuverlässigen Angaben machen. Es sind schätzungsweise 5.000 Lobbyisten hier in Berlin tätig, in Brüssel ist es ein Vielfaches, wir wissen es nicht genau. Es gibt eben nur die ’Verbändeliste‘ im Deutschen Bundestag – die gibt es schon seit 1972, das war damals im internationalen Vergleich sehr fortschrittlich, heute ist das vollkommen unzureichend. Verbände, die im Bundestag gehört werden wollen, müssen oder sollen sich da registrieren. Zwar sind die Verbände immer noch wichtige Lobbygruppen, aber wir haben heute die ganzen großen Unternehmen, die hier ihre eigenen Lobbybüros betreiben, wir haben Lobbyagenturen, die Lobbyarbeit als Dienstleistung verkaufen, und auch Anwaltskanzleien sind in diesem Bereich unterwegs. Sie alle stehen nicht in der Verbändeliste, gehen aber ein und aus im Bundestag. Alle haben einen Hausausweis. Er berechtigt quasi nur durch Vorzeigen zum freien Zutritt, ohne Körperkontrolle oder sonstige Wartezeit.“
Auf meine Frage nach dem Ausweis und der Vergabepraxis erklärt er: „Es gibt zwei Wege, einen solchen Hausausweis zu bekommen. Der eine Weg ist der transparente, der öffentliche, durch Eintrag in die Verbändeliste. Dann bekommt man maximal fünf solcher Ausweise, sie gelten ein Jahr. Ich kann ihnen meinen mal zeigen.“ Er sucht zwischen den Papieren und reicht mir dann einen kleinen grünen Ausweis mit Foto, Name, Datum und Clip zum Anhängen. Kein Chip, kein Code. Jeder kann ihn nachmachen, hier scheint sie nicht zu existieren, die viel bemühte terroristische Gefahr.
Timo Lange fährt fort: „LobbyControl hat die Ausweise, um Gesprächstermine mit Abgeordneten wahrzunehmen. Man geht an die Pforte, hält den kurz hin und kann eintreten. Man wird nicht durchsucht und man muss nicht abgeholt und begleitet werden zum Büro des Abgeordneten. Kann sich direkt im Büro treffen. Der zweite Weg ist der intransparente. Da gibt es die Ausweise in beliebiger Zahl, aber nur dann, wenn der Sicherheitsbeauftragte der Fraktion dem zustimmt – in der Regel ist das der Parlamentarische Geschäftsführer. Früher reichten die Unterschriften von fünf Abgeordneten. Es gibt natürlich Unternehmen, die nicht öffentlich auftreten wollen und für die das keine Hürde ist.
In Brüssel, wo die Ausgaben für Lobbyarbeit inzwischen die Milliardenmarke längst überschritten haben, sieht es letztlich auch nicht viel besser aus. Zwar wurde 2011 das ’Transparenzregister‘ eingeführt, aber das hat nicht zu wirklicher Transparenz geführt. Die Registrierung ist weiterhin freiwillig. Ein Vorteil gegenüber dem früheren Register der Interessenvertreter ist lediglich, dass die Registrierung der Lobbyakteure nun Voraussetzung für den Erhalt dauerhafter Hausausweise zum Betreten des Parlamentsgebäudes ist. Dies ist immerhin ein Anreiz, sich auch tatsächlich einzutragen. Es müssen Angaben gemacht werden über Auftraggeber, Lobbybudget und Lobbyziele.
Aber Einflussnahme funktioniert natürlich auch dort ohne Hausausweis. Es ist das Problem, dass alles sich fast immer an der Grenze der Legalität entlang bewegt. Lobbyismus ist nicht verboten. Dennoch scheuen viele Unternehmen die Veröffentlichung ihrer Interessen und entfalten ihre Aktivitäten lieber im Dunkeln. Deshalb fordern wir, dass die Mitglieder der EU-Kommission nach britischem Vorbild ihre Treffen mit Lobbyisten online veröffentlichen müssen.
Transparenz ist auch ein Kontrollmechanismus, und den brauchen wir dringend. Wir werden übrigens demnächst eine neue Internetplattform starten, die die Lobbytransparenz in Brüssel deutlich erhöhen wird.
Ein anderes Problem ist, dass Politiker in vielen Fällen zugänglich oder auch selbst aktiv sind. Bei einem konkreten Fall, der uns gerade in der letzten Woche beschäftigt hat, geht es um den CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn, von dem Ende letzten Jahres bekannt wurde, dass er 2006, zusammen mit zwei Freunden – dem Lobbyisten Max Müller und seinem eigenen Büroleiter Markus Jasper –, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet hat. Die wiederum hat eine Beratungsgesellschaft verwaltet namens ’Politas‘, eine Lobbyagentur, die Kunden aus der Medizin-und Pharmabranche beraten haben soll. Genaueres weiß man nicht. Und Jens Spahn hat genau 25 Prozent der stimmberechtigten Anteile gehabt. Die Regeln des Bundestages sagen, dass eine Beteiligung bis 25 Prozent nicht meldepflichtig ist. Er musste also nichts offenlegen. Inzwischen ist die Firma aufgelöst. Aber damit ist der Fall nicht erledigt. So eine Nebentätigkeit ist natürlich hochgradig problematisch, bei einen Politiker, der auf diesem Gebiet politische Entscheidungen zu treffen hat.
Der Dritte im Bunde
Dieser Dritte im Bunde, Max Müller, ist übrigens ein anschauliches Beispiel für solche Interessenvertreter und ihre Vernetzung. Er hat einen relativ klassischen ’Lebenslauf‘, hat auch im politischen Bereich erst mal angefangen, war ja im Bundestag als Referent tätig. So gehen eben viele Lobbykarrieren los. Müller ist ’berufsmäßiger Lobbyist‘. Als solcher pflegte er viele Kontakte, u. a. zu DocMorris, und er war für den Pharmakonzern Celesio tätig.“ Er blickt auf den Bildschirm. „Im vorigen Mai ist er zu den Rhön-Kliniken übergewechselt …, ich seh grade, im Dezember ist er schon wieder raus. Bis 2008 jedenfalls war er Geschäftsführer der KPW-Gesellschaft für Kommunikation und Wirtschaft, einer Lobbyagentur.“ (In deren Internetprofil steht: „Die Gesellschaft entwickelt Analysen, Strategien und Konzepte in den Bereichen Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Die Umsetzung erfolgt auf Bundes- und Landesebene – kommunal und international. Unsere Aufgabe ist es, Sie und die für Sie wichtigen Entscheidungsträger oder Öffentlichkeiten gezielt zu informieren mit dem richtigen Maß an Transparenz und Nachhaltigkeit.“ Anm. G.G.)
Timo Lange schaut aus dem Fenster zu den Gleisen hinüber, wo elegant ein roter Zug dahingleitet, und sagt: „Wir haben allen dreien detaillierte Fragen gestellt und von keinem bisher eine Antwort erhalten. Aber wir wollen nicht lockerlassen, sondern erfahren, welche Beeinflussung lag hier möglicherweise vor. Das zu wissen ist das Recht der Bürger und Wähler.
Es gibt für die Unternehmen viele Möglichkeiten der Einflussnahme, sie haben ihre Verbände, wo sie Mitglied sind, dann hat man eine ganze Reihe von Lobbydienstleistern, und es gibt z. B. den klassischen parlamentarischen Abend für Abgeordnete, mit Ansprachen und Häppchen am Buffet, Getränken. Politische Landschaftspflege nennt sich das. Journalisten werden zu Reisen eingeladen, Studien werden bei Denkfabriken in Auftrag gegeben, um die eigene Argumentation zu belegen, oder man gibt auch gern an Hochschulprofessoren ’Forschung‘ in Auftrag.
Gerade vor ein paar Tagen hat der Bundesverband der deutschen Industrie zu einem großen Empfang geladen, einem ’Festlichen Abend‘ im deutschen historischen Museum. Alle von Rang und Namen sind da, Merkel sagt ein paar Worte, dann ist das offizielle Programm vorbei und nun kommt das Eigentliche, es wird ’genetworked‘. LobbyControl steht da nicht unbedingt auf der Gästeliste, wie sie sich denken können.
Die Konzerne haben ihre eigenen Lobbybüros, da arbeiten so fünf bis zehn Leute in der Regel. Sie haben spezielle Aufgaben, viel davon ist Recherche und Monitoring, Informationsbeschaffung. Die Arbeit des Lobbyisten besteht natürlich auch darin, möglichst viel Einfluss zu nehmen auf Abgeordnete. Um das überhaupt zu können, muss der Lobbyist erst mal erfahren, was ist überhaupt geplant. Und je früher er darüber Bescheid weiß, um so besser, um so gründlicher kann er eine Strategie entwickeln. Und zur strategischen Unternehmenskommunikation gehört übrigens auch blockieren, verzögern, verwässern, und sicherlich gehört auch dazu, zu versuchen bestimmte Themen möglichst aus der medialen Debatte verschwinden zu lassen oder ganz herauszuhalten. Gerade in Krisensituationen ist das natürlich erwünscht.
Was das Budget betrifft, aus der Perspektive eines Unternehmens, das geht, je nach Größe, von 100.000 bis hin zu 10 Millionen im Jahr, nur für Lobbyarbeit. Büro Unter den Linden usw., ein großer Teil geht in die Gehälter. Ein richtig guter Fachmann mit guten Kontakten wird so ab 100.000 Euro im Jahr bekommen.“ (Ein Bundestagsabgeordneter bekommt seit 1. Januar 2013 eine sogenannte Abgeordneten-Entschädigung von 8.252 Euro und eine Kostenpauschale von 4.023 Euro im Monat. Anm. G.G.)
Timo Lange lächelt und sagt: „Das ist ein bisschen mehr, als ich kriege. Ich bekomme 2.500 Euro im Monat, plus Reisekosten, wenn welche anfallen.“ Ich frage nach dem Budget von LobbyControl. „Das liegt so bei 300.000 im Jahr. Wir finanzieren uns ja nur über Spenden, Förderbeiträge, Geld von Stiftungen und dem Verkauf von ’LobbyPlanet‘ und Stadtführungen. Der finanzielle Unterschied ist natürlich sehr groß gegenüber denen, die wirtschaftliche Partikularinteressen vertreten. Aber es gibt viele kleine unabhängige Organisationen wie LobbyControl, die mit wenig Geld versuchen, gemeinwohlorientierte Interessen gegenüber der Politik zu vertreten, und öffentlich auch wahrgenommen werden.
Das Gesetz aus der Kanzlei
Ein weiteres großes Problem des Lobbyismus ist, dass Ministerien teilweise Gesetzentwürfe von Anwaltskanzleien erstellen lassen, wie es z. B. beim ’Finanzstabilisierungsgesetz‘ von 2008 der Fall war. Die haben ja auch Bankkunden. Besonders brisant war in diesem Fall, dass es Peer Steinbrück war, der denen als Bundesfinanzminister viel Geld zugeschanzt hat, indem er ihnen den Auftrag gab, und dass er später von dieser Kanzlei dann Geld für einen Vortrag bekommen hat. Ganz grundsätzlich: Gesetze sollen in den demokratischen Institutionen entstehen und nicht in internationalen Großkanzleien!“ (Am Investment-Modernisierungsgesetz, das 2004 in Kraft trat, hat direkt im Finanzministerium eine Juristin vom Bundesverband der Investmentgesellschaften mitgearbeitet und ebenso ein Mitarbeiter der Deutschen Börse. Sie saßen dort in einem eigenen Büro, im Rahmen des „ Personalaustauschprogramms“ von Bundesinnenminister Schily. Die Folge war, dass u. a. die hoch spekulativen Hedgefonds, die es zuvor in Deutschland nicht gab, zugelassen wurden. Hier hat die Finanzbranche sich ihre eigenen Gesetze schreiben und eine „Deregulierung der Finanzmärkte“ bewirken können. Anm. G.G.)
Zum Schluss will ich noch mal auf die Hochschulen zurückkommen, wo Transparenz auch sehr wichtig wäre. Wer finanziert hier wen und was? Wie unabhängig ist eigentlich diese staatlich geförderte Institution der Forschung?
Eine der Lobbystrategien besteht beispielsweise auch darin, dass man gute Kontakte zu Hochschulprofessoren pflegt, dass man bei Hochschulprofessoren Forschung in Auftrag gibt. Es gab ja den Fall, den Martin Kaul im Herbst 2011 in der taz mit aufdeckte. Da zeigt sich sehr anschaulich, wie so was vor sich geht. Das Deutsche Atomforum hatte 2008 bei einer Düsseldorfer Kommunikationsagentur eine Kampagne ’pro Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke‘ in Auftrag gegeben, sie sollte bis zur Bundestagswahl 2009 die öffentliche Meinung dementsprechend beeinflussen.“ (Die Bundestagswahl gewann dann Schwarz-Gelb, und ein Jahr später stimmte die Mehrheit im Bundestag für die Laufzeitverlängerung. Erst Fukushima machte einen Strich durch die Rechnung. Anm. G.G.) „Die Agentur hatte im Rahmen dieser Kampagne Herrn Professor Schwalbach von der Humboldt-Uni in Berlin eine Studie in Auftrag gegeben, sie hat den schönen Titel, ich muss ablesen: ’Gesellschaftsrendite der Kernenergienutzung in Deutschland. Eine Studie zum volkswirtschaftlichen, sozialen, gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen der Kernenergie‘. Diese Studie sollte mit 135.000 Euro honoriert werden und sie sollte belegen, was für positive Auswirkungen der Einsatz von Atomkraftwerken für die gesamte Gesellschaft hat. Atomenergie ist für alle gut: für Wirtschaft, für die Umwelt, wahrscheinlich auch für die Kultur.“
Er lacht leise. „Die Studie wurde nie veröffentlicht. Über den Grund kann man nur spekulieren. Eine These ist, dass es zu offensichtlich ein Gefälligkeitsgutachten war. Er hat es nebenbei gemacht, über seine eigene Agentur, oder die seiner Frau … LobbyControl und der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedenfalls haben, nachdem das alles öffentlich wurde, zügige Aufklärung der Affäre gefordert. Aber die Universität schweigt bis heute zum Thema und zu Disziplinarmaßnahmen. Es scheint, als würden auch hier alle Beteiligten die Sache einfach aussitzen“.
Professor Joachim Schwalbach ist Betriebswirt und Management-Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, einer seiner Schwerpunkte: „Der ehrbare Kaufmann“. Martin Kaul zitierte damals aus dem Abstract der Schwalbach Studie, wo u. a. zu lesen ist: „Die Kernenergiewirtschaft ist als Innovations- und Bildungstreiber von großer Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft.“ Der Professor hat 2011 ein weiteres Gefälligkeitsgutachten verfasst. Diesmal veröffentlicht, und zwar 2011, nach dem erfolgreichen Volksentscheid in Berlin. Auftraggeber war die Industrie und Handelskammer, der Auftrag: eine Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe als falsch und vollkommen unökonomisch darzustellen.
Es ist sehr zu befürchten, dass LobbyControl die Arbeit nicht ausgehen wird. Während ich hier schreibe, kommt die neueste Nachricht über die erfolgreiche Arbeit der Pharmaindustrie: Ein Entwurf der EU-Kommission für eine neue Verordnung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln und deren Erprobung am Menschen sieht vor, die Beteiligung unabhängiger Ethikkommissionen bei der Zulassung der klinischen Tests abzuschaffen. Ebenso die derzeit verpflichtende Beteiligung einsichtsfähiger, aber noch minderjähriger Kinder am Einwilligungsverfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen