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Ein Aufstand der Dinge

John Lasseters digital erzeugter Animationsfilm „Toy Story“ (Wettbewerb) macht philosophische Späße über Kunst und Künstlichkeit  ■ Von Mariam Niroumand

Eine gespenstische Reinheit ist das erste, was einem an „Toy Story“ ins Auge sticht. Keines Zeichners Hand hat je diese makellosen, erstmalig komplett computeranimierten, digital präzisierten Bilder berührt. Rosa, braun, strahlend himmelblau lächelt einen alles kalt an. Optisch sind wir ein bißchen wieder in den Fünfzigern gelandet. Auch topographisch: Ort der Handlung ist Suburbia, und ein Kinderzimmer noch dazu. Aber wie bei „Edward mit den Scherenhänden“ entpuppt sich auch hier gerade dieses Terrain als das märchenfähigtste. Mit der Auffältelung der Handlung erscheinen die Bilder plötzlich als neue Klassik. Man denkt an David, de Chirico, Hopper, Hockney, Rosenquist: strahlende Flächen, die „Ja“ sagen.

Das Bewundernswerte ist, daß die solchermaßen entstandenen Protagonisten nicht nur irgendwelche Gesichtsausdrücke tragen, die dem Wetterberichtsschema folgen — lachender Mund, gewellter Mund oder nach unten weisende Mundwinkel — sondern, daß sie amerikanische Gesichtsausdrücke machen (der Film empfiehlt sich also für deutsche Hollywood-Aspiranten, nirgends kann man diese Mimik in solcher Reinkultur studieren).

Auch der Konflikt ist Fifties: Andy hat viele Spielsachen, und ihr Reich ist unser Reich. Sein Lieblingstoy war bis zu diesem Geburtstag der Cowboy Woody, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Montgomery Clift aufweist, und der bislang mit dem Demokratieverständnis eines Frontierman für ein harmonisches Zusammenleben der Dinos, Dackel, Ferngläser (!), Gokarts, Soldaten und so weiter gesorgt hatte. Über die Hausfunkanlage hören sie gebannt, wie Andy ein Geschenk nach dem anderen auspackt. Wird Woody Konkurrenz bekommen? Bislang ging alles gut: Rollschuhe, Pullis, Süßigkeiten, nicht der Rede wert, aber ach! Als letztes entnimmt er einem Paket die Figur von Buzz Lightyear, eine Space Ranger Actionfigur. Buzz also landet mit einem Whopp! Auf Andys Bett, erwacht unter seiner Kapsel, reckt ein nicht unerhebliches John-Wayne-Kinn und versucht, Kontakt mit seiner Commander-Base aufzunehmen. Er betätigt allerhand Knöpfe und Laserstrahler, und spricht zu den ihn mit offenem Mund anstarrenden Mit-Toys: „I‘m Buzz Lightyear. I‘m from planet Orion. I come in peace.“ Soso, entgegnet Woody, ich bin von Matell, und gib hier nicht so an und das Bett da, Andys Bett, ist mein Platz, und deine ganzen Tricks kannst du auch stecken lassen. Du bist auch nur ein Spielzeug, und du kannst auch nicht fliegen, sondern was du da machst, ist „falling in style“. Gutmütig versetzt darauf der große Buzz: „Oh, thats only laser-envy“ (die Toyform von Penisneid).

So geht es hin und her, und führt unter der Hand also den Kunstvorwurf ein, den sich diese computergenerierte Filmform natürlich auch wieder einhandeln wird: Du bist bloß ein Spielzeug, du bist nicht echt! Aber Montgomery Clift war auch nicht „echt“! Nun, aber man sah doch echte Menschen sich bewegen und Dinge tun! Ach was, man sah Zelluloid und sieht auch hier wieder Zelluloid! Dieses Pingpong läßt sich noch ein paar Stufen weiterdrehen, wenn die beiden Helden schließlich aus dem Kinderzimmer in die weite Welt hinausziehen. Woody hat Buzz aus dem Fenster katapultiert, beide haben sie sich, ohzne daß Andy davon weiß, an das Auto gehängt, mit dem er und seine Mutter zum Pizza-Planet fahren.

Die Tankstelle, an der sie halten, übertrifft an steriler Tristesse Hoppers düsterste Träume. Fast schnappt man nach Luft, so vakuumverpackt wirkt alles. Im Pizza Planet greift sie, aus Gründen, die hier nicht erläutert werden können, ein Metallarm und wirft sie in die Hände des kleinen Spielzeugquälers und Amateur-Surrealisten Nick. Er hält Puppen ins Feuer, schraubt Köpfe ab, setzt sie auf Krakenarme, gibt den Beinen einen Froschschädel und so weiter — sein dunkles Kinderzimmer ist ein Ort des Schreckens, in dem ein giftiger kleiner Kurt Schwitters im Punk-T-shirt grausige mechanische Balletts tanzen läßt.

Die Objekte sind alive and kicking, die Menschen hingegen wirken etwas untot. Aufstieg und Fall der Dingwelt nehmen ihren Höhepunkt, wenn Buzz im Fernsehen seinen Werbespot sieht, mit Preisangabe und allem drum und dran. Nun selbst in Western-Dialogfetzen sprechend sagt er seinem Freund Woody: flieh ohne mich weiter, ich bin eh nichts wert. Ich bin ja wirklich nur ein Spielzeug.

Aber Regisseur Lasseter wäre nicht Disney-Animateur, wenn es nicht die Zuschauergefühle wären, die die Objekte zum Tanzen bringen. Selbst ein so mutloses Objekt wie den armen Buzz Lightyear, der sich so in seiner Natur täuschte.

„Toy Story“. USA 1995, 80 Min. Regie: John Lasseter

Heute um 21 Uhr in der Urania

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