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GESETZENTWURF ZUR GLEICHSTELLUNG VON BEHINDERTENEin Anfang, kein „Quantensprung“

Menschen mit Behinderungen führen ein Sonder-Leben. Erst Sonderkindergarten und Sonderschule, danach, wenn sie Glück haben, der Sonder-Arbeitsplatz in der Werkstatt für Behinderte. Da verdienen sie wenig Geld und haben noch weniger Rechte. In Restaurants riskieren Behinderte, rausgeschmissen zu werden. Und wenn sie Pech haben, dürfen sie ihren Garten im Sommer nur wenige Stunden lang betreten, weil sich sonst die Nachbarn durch Anblick oder Geräusche gestört fühlen. Auf Initiative der Behindertenbewegung wurde 1994 eine Gleichstellungsklausel ins Grundgesetz geschrieben. Übrigens nicht unterstützt von der SPD, sondern vom damaligen Kanzler Helmut Kohl. Doch geändert hat sich nichts.

Jetzt soll das Gleichstellungsgesetz helfen, gegen Diskriminierung vorzugehen. Einige der vorgeschlagenen Regelungen, wie das Verbandsklagerecht für Behindertenorganisationen, sind wichtig, hilfreich und gut. Der Ansatzpunkt des Gesetzes ist aber eng; er beschränkt sich auf die „Barrierefreiheit“. Sie ist für den Alltag von Menschen mit Behinderungen in der Tat unverzichtbar. Doch sind bauliche Barrieren nur eines und nicht immer das drängendste Problem in einer Zeit, in der Menschen mit Behinderungen keine ausreichenden Pflegeleistungen mehr bekommen, in der die Sozialämter die Eingliederungshilfe immer restriktiver gewähren und Rollstuhlfahrer, die in ihrer Wohnung leben, aber in erheblichem Maß auf Assistenz angewiesen sind, aus Kostengründen gezwungen werden, ihre Selbstständigkeit aufzugeben und in Einrichtungen zu ziehen.

Seit längerem ist zu beobachten, dass entwickelte Industriegesellschaften wie selbstverständlich sortieren: Wer passt rein und wer nicht? Für Behinderte, die als integrierbar gelten, werden die Lebensgrundlagen verbessert. Sie erhalten mehr Rechte, um mehr zu nützen. Für die so genannten Schwerstbehinderten können sich die Verhältnisse sogar verschlechtern.

Das ist kein Argument gegen das Gleichstellungsgesetz. Aber zu großem Optimismus besteht angesichts der sozial- und biopolitischen Rahmenbedingungen kein Anlass. Das Gleichstellungsgesetz, von dem wir noch nicht mal wissen, ob es das Kabinett passieren wird, ist ein kleiner Anfang. Dass allerdings als „Quantensprung“ gefeiert wird, was eigentlich selbstverständlich sein sollte – dass nämlich jede und jeder die Möglichkeit hat, überall dort hinzukommen, wo die anderen auch sind – das stimmt für die zukünftigen Auseinandersetzungen über die Abschaffung von Diskriminierung eher bedenklich. OLIVER TOLMEIN

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